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Rohöl ist der Schmier- und Treibstoff der Industriegesellschaft – deshalb trug der massive Preisverfall in den vergangenen Monaten wohl dazu bei, dass das globale Wachstum nicht noch mehr ins Stocken geriet.

Foto: Reuters/Nicholson

Wien – Die Preise am Ölmarkt bleiben weiterhin unter Druck. Ein Barrel (159 Liter) der US-Sorte West Texas Intermediate (WTI) kostete am Montag in New York vorübergehend 79,76 Dollar (63 Euro), am Dienstag liegen die Preise wieder leicht höher. Damit unterschritt der Ölpreis die wichtige Marke von 80 Dollar. Noch weniger hatte das Barrel WTI zuletzt im Juni 2012 gekostet. Auch in London liegt der Ölpreis derzeit vergleichsweise niedrig.

Für den Preisabfall am Montag gibt es einen speziellen Grund. Die US-Investmentbank Goldman Sachs legte die Studie "The new oil order" vor. Kernaussage der 21-Seiten-Analyse: Die Preise werden weiter fallen. Der Grund: Die Weltwirtschaft ersäuft im Öl, die Nachfrage ist wegen der schwachen Konjunktur zu gering und das Angebot zu hoch.

Preise im freien Fall

Die Gründe wurden hinlänglich referiert, denn seit Juni befindet sich der Rohstoff zusammen mit vielen anderen Märkten im freien Fall. Das liegt unter anderem am US-Dollar. Weil die meisten Rohstoffe in Dollar notieren, führt eine stärkere US-Währung zu Druck auf den Märkten für Öl, Kupfer oder Gold. Bei der US-Ratingagentur Fitch hielten Ökonomen jüngst sogar Preise von nur 80 Dollar pro Fass für denkbar. Goldman Sachs kann sich bei WTI im nächsten Jahr Preise von unter 75 Dollar vorstellen.

Wie immer gibt es bei Preisverfällen Gewinner und Verlierer. Bleibt der Preis niedrig, könnte etwa die Europäische Union 80 Milliarden Dollar (rund 63 Milliarden Euro) an Energieimportkosten sparen, rechneten Reuters-Analysten vergangene Woche vor. Laut Reuters belaufen sich die Importkosten der Union für Öl, Gas und Kohle im Jahr 2013 auf rund 500 Milliarden Dollar, drei Viertel davon fließt in Öl. Bei einem durchschnittlichen Ölpreis von unter 90 Dollar je Barrel könnten die Importkosten auf unter 425 Milliarden Dollar fallen. Eine möglicherweise unerfreuliche Begleiterscheinung: In der Eurozone, die stark auf Energieeinfuhren angewiesen ist, lassen günstigere Ölimporte die ohnehin schon niedrige Teuerung weiter sinken und verstärken so die Furcht vor Deflation – einem Teufelskreis aus fallenden Preisen und schwacher Konjunktur.

Auslöser und Nutznießer

Die USA sind indes einerseits Auslöser und andererseits großer Nutznießer des rund 25-prozentigen Ölpreisverfalls. Mit ihrem Schiefergas- und -ölboom sorgt die weltgrößte Volkswirtschaft für ein Überangebot an den Märkten. Die USA haben ihre Produktion dank des Fracking-Booms kräftig ausgeweitet und fördern mittlerweile so viel Öl wie seit mehr als 30 Jahren nicht mehr. Zugleich macht der Preissturz die noch immer nötigen Ölimporte auch für sie deutlich billiger. Doch auch hier gilt: kein Licht ohne Schatten. Die Schieferöl-Revolution, die den Preisrutsch erst ermöglicht hat, könnte in den USA bald ihre eigenen Kinder fressen. Denn das Fracking, bei dem tiefliegende Gesteinsschichten angebohrt und das dort lagernde Schiefergas und -öl mithilfe von Wasser (dem in geringen Mengen Chemikalien zugesetzt sind, Anm.) gelöst wird, ist relativ teuer. Bei Ölpreisen von deutlich unter 80 Dollar rechnet sich ein wesentlicher Teil der Produktion nicht mehr. Dann würden der Schieferölboom und damit wohl auch der Absturz der Rohölpreise insgesamt gebremst.

Russland unter Verlierern

Dauerhaft niedrige Ölpreise belasten aber manche Volkswirtschaften, die abhängig von der Ölproduktion sind, ganz extrem. Russland, der Iran oder Venezuela etwa zählen als Weltmarktproduzenten zu den Verlierern. Russlands Wirtschaft stöhnt ganz besonders unter den schrumpfenden Erlösen aus dem Ölgeschäft, stammen doch rund 40 Prozent der Einnahmen des russischen Staates aus dem Rohölexport. Im Haushaltsplan für 2014 rechnet die Regierung in Moskau mit einem durchschnittlichen Preis von 104 Dollar je Fass, aktuell sind es weniger als 84 Dollar (66,4 Euro). Jeder Dollar weniger kostet Russland viele Milliarden, was den Druck auf die Führung erhöht, die Abhängigkeit von den Ölausfuhren zu reduzieren.

Insgesamt könnte der Preisrückgang die Nachfrage nach Öl etwas stützen. Ob es so kommt, ist derzeit ungewiss. Die Internationale Energieagentur (IEA), die die Industrieländer bei ihrer Energiepolitik berät, senkte jüngst ihre Prognose für die Ölnachfrage in diesem und im nächsten Jahr. Die Nachfrage nach Opec-Öl für 2015 könnte demnach um 200.000 auf 29,3 Millionen Fass täglich – mehr als eine Million Fass weniger, als die Opec derzeit produziert – sinken. Noch entscheidender für die Nachfrage ist aber ohnedies die weltweit schwache Konjunkturentwicklung. Die Weltwirtschaft wird aller Voraussicht nach 2014 mit 3,3 Prozent weniger stark wachsen als zunächst erwartet, hat dieser Tage der Internationale Währungsfonds erklärt. Und da kommt dem niedrigen Ölpreis die Rolle einer kleinen Anschubhilfe zu.

Flüssiges Konjunkturpaket

Denn billiges Öl kommt vielen Ländern in diesem Sinne auch zugute: Einem Modell der IWF-Ökonomen zufolge lässt ein zehnprozentiger Preisrückgang die weltweite Wirtschaftsleistung um 0,2 Prozent steigen. Je günstiger das Rohöl, desto weiter sinken die Produktionskosten vieler Industrieunternehmen. Die Konsumenten haben mehr Geld zum Ausgeben übrig, weil sie Sprit- und Heizkosten sparen. So gesehen haben das derzeit vergleichsweise große Konjunkturpaket für die Weltwirtschaft keine ausgabefreudigen Politiker geschnürt – es ist flüssig und wirkt im Hintergrund. (rebu, derStandard.at, 28.10.2014)