Vorabbesichtigen der letzten Wohnstätte ist ein makaberes Unterfangen.

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Pro
Ljubiša Tošic

Wer erst einmal - mit einem Puster - mehr als 50 Geburtstagskerzen ausgeblasen hat, dem fährt nach verflogener Vitalitätseuphorie bald eine Erkenntnis in die Glieder: Der Spruch "alle Zeit der Welt" verliert sekündlich an Glaubwürdigkeit, immer klarer wird, dass den Tod noch keiner überlebt hat. Es gilt also, sich den letzten Dingen zu widmen.

Narren werden dick wie Buddha und hoffen, im Nirvana zu landen. Paniker erstellen Testamente, im Glauben, nicht abtreten zu müssen, so sie sich selbst alles vermachen. Stoiker hingegen üben den finalen Umzug und besichtigen ihre letzte Wohnstätte.

Zum bequemen Probeliegen bieten sich besonders Geburtstage an, an denen - ab einer gewissen Faltenmenge - jeder Gratulation eine Portion Kondolenz beigewürzt wird. Da runde Geburtstage zu Emotionsbelästigungen von sadistischen Ausmaßen führen, drängt es sich förmlich auf, an Runden gleich Probebegräbnisse abzuhalten. In der Holztruhe liegend, genießt der Probetote schöne Nachreden oder liest vielleicht ein gutes Buch.

Kontra
Siegfried Lützow

Was für Mitglieder der ständig wachsenden Familie der Untoten und Wiedergänger höchst empfehlenswert erscheint, wirkt für Normalsterbliche auf den ersten Blick etwas dämlich. Und erinnert an den netten Rat, anlässlich einer Kur nur ja nicht die Schlammbäder auszulassen, weil es ja nie schaden kann, sich beizeiten an feuchte Erde zu gewöhnen.

Dümmer wäre vielleicht nur, in einer Urne probeliegen zu wollen. Und zwar nicht, weil es im hundertprozentig eintretenden Ernstfall nach der Kremierung um irgendwelche Hüften eng werden könnte, sondern weil traditionell mit Sarg eingeäschert wird - welche Verschwendung von Ressourcen, aus denen man zum Beispiel auch eine anständige Zeitung machen könnte!

Das Probeliegen im Sarg hat etwas Kindisches, ist ein bisserl wie lautes Singen im dunklen Wald. Als glaubensstarker Katholik könnte man sich genauso gut schon bei Lebzeiten einmal mit glühenden Zangen und Dreizacken traktieren lassen. Oder glauben Sie wirklich, dass Sie direttissimo in den Himmel kommen? (Rondo, DER STANDARD, 31.10.2014)