Schaut ganz schön freaky aus: Bei Alexander McQueen hat Marina Hörmanseder gelernt, wie Lederkorsetts hergestellt werden.

Foto: Marina Hörmanseder

Hier einige Einblicke in Marina Hörmanseder kommende Frühlingskollektion: Kleider, die aus unendlich vielen Schnallen und Gürteln zu bestehen scheinen.

Foto: Marina Hörmanseder

Korsett, das den Körper in Form bringt.

Foto: Marina Hörmanseder

Robe mit typischen Gürtelmustern.

Foto: Marina Hörmanseder

Es riecht - und wie. Nach Farbe, Lösungsmittel, Terpentin, jedenfalls betäubt der Geruch beinahe die Sinne. Autolackiererei? Fotolabor? Tapetenkleisterbetrieb? Mode! In dieser weißgetünchten Kreuzberger Fabriketage arbeiten Modeschöpferin Marina Hörmanseder, drei Angestellte und ein Praktikant an Lederkorsetts, Bandagen, Schnallen, Röcken und Bustiers. Sie sehen aus wie Einfälle eines morbiden Menschen, ein bisschen Fetischware, ein wenig Horrorfilm-Utensil. Was Marina Hörmanseder alles überhaupt nicht darstellt. "Meine Mode ist avantgardistisch, aber ich will nicht mein Leben lang der Kunst dienen", sagt die Designerin.

Marina Hörmanseder, Wienerin, 28 Jahre jung, blonde Haare, ein Lachen, das manchmal so vom Herzen kommt wie bei einem Kind, wenn es das erste Mal den Zoo besucht. Und sie hat ja guten Grund, froh zu sein. Gerade hat die schwer angesagte Sängerin FKA Twiggs ein Korsett für einen Videodreh bestellt, Model Eva Padberg wird demnächst eines von ihr tragen, und sogar Lady Gaga hat Korsett, Rock und eine Bandagenhose bei der Wahl-Berlinerin in Auftrag gegeben. Es läuft, auch wenn dadurch kein Geld reinkommt. "Das sind Investitionen", sagt Marina Hörmanseder.

Direktorin in Schönbrunn

Ein Blick in ihr kleines Büro neben dem Atelier. Auf dem Schreibtisch ist irgendwo das Mobiltelefon unter Papierbergen vergraben, das Licht des Computers strahlt auf gelbe Post-it-Zettel an der Wand, darauf steht unter anderem die Studioadresse von Nicola Formichetti, dem ersten Stylisten von Lady Gaga, der mittlerweile zum Chefdesigner von Diesel aufgestiegen ist. Unter dem Tisch schnüffelt etwas in einen kleinen Teppich, laute Schmatzgeräusche, es ist der zehnjährige schwarze Zwergpinscher, der bellt - was dank der guten Akustik so klingt, als stünde der Hund von Baskerville vor der Tür.

Mit Tieren hat der Berufsweg von Marina Hörmanseder einmal begonnen - respektive, was sie sich darunter vorstellte. Ihre Schule lag nahe dem Tierpark Schönbrunn, so oft es ging, besuchte sie den Zoo, die Tiger hatten es ihr angetan, und eigentlich wollte sie mit neun Jahren nichts lieber als Tierpark-Direktorin werden. Hat dann aber nicht geklappt. Einfach, weil sie feststellte, dass sie den Tod eines Tieres nie ertragen könnte.

Trotzdem, Tiere. Am Wochenende ging sie mit ihren Eltern, Mutter Übersetzerin, Vater Manager in einem Kartonagenkonzern, in den Wald, sammelte tote Hirschkäfer und bastelte aus den winzigen Geweihen Ketten. Wenn es der Herrgott auf diesen Wanderungen gut mir ihr meinte, legte er ein totes Wildschwein an den Wegesrand. Was tut so ein junges Mädchen? Reißt dem Tier die Zähne aus, kocht diese zu Hause aus und bastelt daraus wieder Schmuck.

Französische Mutter

Die Mutter, eine Französin, hat es nicht gemocht. Dieser Geruch! Ob der schlimmer war als der im Berliner Atelier? Was ihre Mutter dem Mädchen hingegen beigebracht hat: Stil. "Sie lief sogar zu Hause immer mit hohen Schuhen herum", erzählt Marina Hörmanseder. "Sie ist immer schwarz und rot gekleidet - und würde nie außer Haus gehen, wie ich das manchmal getan habe: mit Jogginghose und Pulli."

Mit 15 Jahren war Marina allerdings weit entfernt davon, eine Stilikone zu sein. Sie spielte Schultheater, den alten Gutsbesitzer Klapproth im Lustspiel "Pension Schöller", und kickte gern auf dem Fußballplatz. "Ich trug einen Pagenschnitt und spielte in der Schülerliga als Mario Hörmanseder mit."

Nach der Matura folgten ein Jahr Schauspielunterricht am Konservatorium Wien (abgebrochen) und fünf Jahre Wirtschaftsstudium auf Drängen der Eltern (abgeschlossen). Der Deal war einfach: Wenn sie das schaffte, unterstützten ihre Eltern ein Modestudium. Denn das wollte Marina Hörmanseder eigentlich lieber machen, nicht weil sie stundenlang durch Zeitschriften blätterte und Glamour aufsog, sondern weil sie tagelang stickte, nähte und stopfte - und das Handwerk unendlich liebte. "Und wenn nicht, hätte ich eine Tischlerlehre gemacht."

Am Tag der Freiheit, dem 10. Juni 2010, als sie endlich den Magistertitel in Wirtschaft trug, hatte sie bereits ihre Zulassung für die Esmod-Modeschule in Berlin in der Tasche. Drei Jahre vergrub sie sich, ging kaum aus in dieser großen Stadt, in der es Wiener, Londoner, Römer jedes Wochenende zu Ausschweifungen zog, und perfektionierte ihr Können. Vier Monate arbeitete sie noch als Praktikantin bei Alexander McQueen, 18-Stunden-Tage in London und Paris, manchmal weinte sie, oft musste sie alles wieder auftrennen, was sie gerade genäht hatte, noch einmal, noch einmal, 26-mal dasselbe probieren. Wenn sie davon erzählt, klingt es ein wenig wie ein Straflager in den Katakomben der Luxusindustrie. Aber es schwingt Trotz mit: "Ich war stolz darauf, nicht gut behandelt zu werden."

Etwas zum Festschnüren

Aus dem Studio McQueen nimmt sie einen entscheidenden Impuls mit: sich mehr mit Korsetts zu beschäftigen. Die Marke produzierte viele Lederkorsetts, hing die Entwürfe an sogenannte Körperkäfige. "Ich habe viel recherchiert, wie die klassischen Renaissancekostüme zum Festschnüren gemacht wurden - und dadurch bin ich auf die Orthopädie gestoßen." Richtig gehört, Marina Hörmanseder inspiriert seitdem die Kunst des richtigen Stützapparates.

Noch ein Blick an die Wand. Da hängen Bilder aus einem orthopädischen Handbuch, Fotos von Bandagen an Arm- und Fußgelenk. Was die Designerin daran fasziniert? "Die Technik, die richtige Verschlussmöglichkeit zu finden, wie ich einen Schlitz in das Leder hineinarbeite, damit ich es noch einmal umwickeln kann."

Sie zeigt ihre aktuellen Entwürfe. Kleider, die aus unendlich vielen Schnallen und Gürteln zu bestehen scheinen. Cremefarbene Lederjäckchen, die an der Schulter mit hellblauen Schnallen zusammengehalten werden. Und seit kurzem Taschen in dem typischen Gürtelmuster. "Da versuche ich, kundenorientiert zu sein", gibt sie zu. In drei Jahren möchte sie schwarze Zahlen schreiben. Accessoires sind wie bei jedem großen Modehaus der Schlüssel dazu.

Im September eröffnete sie zum ersten Mal einen Showroom in Paris - während der Fashion Week. Franzosen, Berliner und ein großer arabischer Onlineshop platzierten Order. Jetzt muss Marina Hörmanseder schuften, liefern, jeden Morgen von ihrer Wohnung im verschlafenen Prenzlauer Berg ("zu Hause darf es ruhig etwas spießig sein") die U-Bahn-Linie 8 zum Moritzplatz nehmen und schneidern, denken oder Leder mit Lösungsmittel bearbeiten. Stört sie der Gestank nicht? "Echt, das riecht? Ich merke das gar nicht mehr." (Ulf Lippitz, Rondo, DER STANDARD, 14.11.2014)