Lieber einen Schritt zur Seite machen und den schillernden Strom vorbeifließen lassen: Xaver Bayer schreibt über Figuren, die absichtlich aus dem Getriebe fallen wollen.

Foto: Heribert CORN

Die Erzähler und Protagonisten in den Texten des Wiener Schriftstellers Xaver Bayer sind Beobachter. Sie nehmen eine äußerst kritische Position gegenüber ihrer Umwelt ein und beteiligen sich nur ungern, widerwillig und am liebsten gar nicht am Geschehen, das den anderen Menschen unendlich wichtig erscheint und diese voll und ganz beansprucht.

Die Mitmenschen, der Erzähler betrachtet sie mit einer Mischung aus Faszination und Verständnislosigkeit, so wie man in einem Moment des Innehaltens auf das Gewusel einer Ameisenstraße blickt: interessiert, aber im Bewusstsein, dass diese Insekten in einem autarken System existieren, das mit der eigenen Lebenswelt in keinerlei Verbindung steht.

Bayers Figuren sind Flaneure in einer fremdartigen Umwelt, und sie sind dies bereits seit rund 20 Jahren, wie der soeben in der Edition Korrespondenzen erschienene Band Aus dem Nebenzimmer zeigt, der lose kürzere Texte des Autors aus dieser Zeitspanne versammelt, von Shortstorys von 1995 bis zu Langgedichten aus den letzten Jahren.

Die Sammlung zeigt auch, dass Bayers erzählende Ichs und deren Motive, die man manchmal als für ihn "typische" zu bezeichnen versucht ist, nicht dieselben geblieben sind. Sie haben in stetiger Wiederholung ähnlicher Gedankengänge ihre Haltung in kleinen Schritten verändert. Sie haben Hemmungen abgelegt, Distanzen verringert, andere bedacht aufgebaut. Sie haben begonnen, der "Normalität zu misstrauen". Sie haben die Absurdität des Alltags angenommen.

Das bedeutet nicht, dass ihnen der Umgang mit der Welt nun leichter fällt. Die große Kunst solcher Erzählungen von Xaver Bayer besteht darin, dass sie mit jedem minutiös geschilderten Detail ein Stück weit surrealer wirken. An einem Tag zögert einer der Ich-Erzähler, auf die Straße zu gehen. Er fürchtet, "im Gespräch mit Menschen nur sinnleere Laute hervorbringen zu können, wie einer, der den Tonfall einer Sprache imitiert, die er nicht beherrscht".

Präzise Kompositionen

Eine ähnliche Furcht beschleicht den Erzähler in Xaver Bayers zweitem diesen Herbst erschienenem Band Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich (Jung und Jung). Immer wieder ist ihm hier die Sprache der Konvention unverständlich.

Das Knistern aus dem Zauberreich besteht aus "Miniaturen", die an der Schwelle zwischen Traum und Erwachen angesiedelt sind, kaum eine länger als zwei Buchseiten, die auf den ersten Blick lose aneinandergereiht wirken, sich aber als aufeinander aufbauende, weitergedachte Tonfolgen einer präzisen Komposition entpuppen.

In ihnen erwächst ein Surrealismus der kleinen Dinge aus der Beobachtung heraus. Unter Bayers Augen zerfällt die eben noch intakte Welt in grobe Stücke, die sich nicht mehr richtig zusammensetzen lassen - so wie ein alltägliches Wort, wenn man es mehrmals hintereinander überdeutlich ausspricht, seinen Sinn verliert und zur absurden Lautfolge wird.

Das dem Buch vorangestellte italienische Motto, das aus dem geheimnisvollen Skulpturenpark des Renaissancegrafen Orsini in Bomarzo stammt, überlässt es dem Besucher des "Zauberreichs", ob die darin gezeigten Wunder zum Zweck der Täuschung oder allein um der Kunst willen gemacht sind.

Die Umwelt im "Zauberreich" ist keine feindliche, sondern fremd, geheimnisvoll, erinnert einmal an einen orientalischen Markt, ein andermal an einen Straßenzug aus Kafkas Prag. Durch unscheinbare Türen gelangt der Träumer in andere Welten, er schreitet drauflos, "als hätte er ein Ziel". Geheimnisvolles Knistern aus dem Zauberreich ist, was andere Bücher von Bayer auf diese Weise nicht sind, ein lustiges Buch. Es steckt voller skurriler Komik, ohne auf der Reflexionsebene etwas einzubüßen. Es ist faszinierend, wie Xaver Bayer über die Jahre seinen unverwechselbaren Stil zugleich fortschreibt und verändert: berauschend klare Sätze, die eine Sogwirkung entfalten.

Die Regeln des Spiels

Ein neuer ironischer, manchmal geradezu schelmischer Ton macht sich bemerkbar, etwa wenn der Ich-Erzähler seine gesamte Wohnung weiß streicht, die Wände, die Möbel, sogar das Klavier und die Stereoanlage (womöglich wurden auch die Bücher weiß, und vor dem Fenster fiel Schnee?), und bald darauf zu einer Party lädt, bei der die Gäste mit Reis und Milch verpflegt werden. Oder wenn er wiederum seine Wohnung akribisch in den Zustand der perfekten künstlichen Unordnung versetzt. In anderen Traumsequenzen ist der Erzähler der Einzige, der die Logik einer Versuchsanordnung nicht versteht und davon ausgeschlossen bleibt.

Darüber ist er nicht unglücklich, mitunter scheint es sogar, als wäre man besser dran, wenn man die Regeln des Spiels nicht kennt, da man sich nur so nicht daran beteiligen muss. Bayers Figuren wollen absichtlich aus dem Getriebe fallen. Lieber einen Schritt zur Seite machen und den schillernden Strom vorbeifließen lassen. (Isabella Pohl, Album, DER STANDARD, 15./16.11.2014)