Bild nicht mehr verfügbar.

Die Schlacht gegen die Einführung einer Internetsteuer haben Ungarns Demonstranten gewonnen. Ihr Ziel, auch Premier Viktor Orbán loszuwerden, liegt aber trotz wachsender Unzufriedenheit mit dem Klima der Korruption weiter in der Ferne.

Foto: Reuters / Laszlo Balogh

Mehr als 10.000 Menschen haben Montagabend vor dem Parlament in Budapest gegen den rechts-populistischen Premier Viktor Orbán und gegen die korrupten Zustände in dessen Umfeld demonstriert. Zu der Kundgebung unter dem Motto "Tag der allgemeinen Empörung" wurde im Internet mobilisiert. Die Parteien der Opposition spielten keine Rolle, die Redner waren weitgehend unbekannt. Der Protest knüpfte an ähnliche Demonstrationen an, die sich vor drei Wochen gegen die von Orbán geplante Einführung einer Internetsteuer entladen hatten. Orbán verzichtete schließlich auf die umstrittene Abgabe.

Doch der Keim des Protests liegt seitdem in der Luft. Einen neuen Humus fand er in den im Vormonat bekanntgewordenen Korruptionsvorwürfen der US-Regierung gegen die Orbán-Führung. Sechs hohe Regierungsbeamte und Orbán-nahe Geschäftsleute haben US-Einreiseverbot, weil sie korrupt sein sollen - oder korrupte Aktivitäten verschleiert hätten. Bislang gab nur Ildikó Vida, die Leiterin der Landessteuerbehörde NAV, zu, auf der Liste zu stehen.

Orbán nahm Vida mehrfach in Schutz und schloss ihre Ablösung - etwa um die Vorwürfe unvoreingenommen prüfen zu lassen - dezidiert aus.

Ein Gesicht für die Malaise

Die politisch geförderte und instrumentalisierte Korruption ist inzwischen ohnehin zur Erfahrung geworden, die in Ungarn viele Lebensbereiche durchdringt, von der Vergabe der Konzessionen für Tabakgeschäft an Leute aus der Regierungspartei Fidesz über die Verteilung des staatlichen Pachtlandes bis hin zu Sondersteuern, die so präzise zugeschnitten sind, dass sie politische "Feinde" schädigen und eigene Oligarchen begünstigen. Mit der Affäre Vida bekam das Phänomen ein konkretes Gesicht - denn mit dem Finanzamt hat in dieser oder jener Form jeder ungarische Staatsbürger zu tun.

So war der vergleichsweise bekannteste Redner am Montagabend der ehemalige Finanzbeamte András Horváth. Er hatte als Steuerprüfer die Mehrwertsteuer-Betrügereien aufgedeckt, deretwegen die USA die betroffenen Ungarn auf ihre Watchlist gesetzt haben. Horváths Ermittlungen wurden aber auf Anordnung "von oben" gestoppt, der Beamte entlassen und von den Strafbehörden wegen "Verrats des Dienstgeheimnisses" übel schikaniert. Seine eigene Anzeige blieb folgenlos.

"Orbán will Vida im Amt halten, damit sie die Spuren der Korruption verschwinden lässt", rief Horváth Montagabend vom Podium der Kundgebung. Die Menge skandierte "Orbán, hau ab!", "Demokratie!", "Fidesz-Mafia!".

Demonstranten zogen in Richtung Parlament

Nach den Reden erklärten die Organisatoren die Kundgebung für beendet. Mehrere Tausend Demonstranten blieben aber auf dem Kossuth-Platz vor dem Parlament einfach stehen. Sie dachten nicht ans Heimgehen. Sie begannen, gegen die Parlamentsstiege vorzurücken, worauf sofort hunderte Bereitschaftspolizisten in voller Kampfmontur erschienen. Demonstranten- und Polizistenmassen drückten einander hin und her, zu Gewalttätigkeiten und Festnahmen kam es aber nicht.

Auch in mehr als einem Dutzend Provinzstädten demonstrierten Montagabend Tausende. Die Unzufriedenheit mit dem von ihnen als arrogant und europafeindlich empfundenen System Orbán, das sie im Korruptionsmief wahrnehmen, scheint zu wachsen. Welche Erscheinungsformen sie annehmen wird, ist noch unklar. (Gregor Mayer aus Budapest, DER STANDARD, 19.11.2014)