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Ihren Durchbruch verdankt Eva Herzigova riesigen Plakaten am Times Square in New York und einem schwarzen Wonderbra.

Foto: REUTERS/Benoit Tessier

Mit "Hello, Boys!" lockte sie einst in einer Kampagne für Wonderbra. Das war 1994 und Eva Herzigova gerade einmal 21 Jahre alt. Die Kampagne machte sie schlagartig bekannt. Heute limitiert sich das "Hello, Boys!" auf ihren italienischen Ehemann und die drei gemeinsamen Söhne, mit denen sie in London lebt. Wir treffen sie in Mailand. Herzigova ist in der Stadt, um an der 50-Jahr-Feier der italienischen "Vogue" teilzunehmen.

Wenn die 1,80 Meter große Schönheit in einem Minikleid und Stilettos durch die Hotelhalle schreitet, wirkt sie wie ein außerirdisches Wesen. Alles um sie herum bewegt sich plötzlich in Zeitlupe. Nur sie scheint davon wenig Kenntnis zu nehmen und ist, wie sie es selbst nennt, auf Autopilot: Sie ist hier, um zu repräsentieren. Gut macht sie das. Lacht viel und schüttelt ihre goldenen Locken. Sitzt sie einem aber endlich gegenüber, dann streift sie das Supermodel-Image ab – und spricht mit der Natürlichkeit einer Frau, die schon vieles erlebt hat.

STANDARD: Sie gehören zur letzten Generation, die im kommunistischen Regime aufgewachsen ist. Welchen Bezug hatten Sie damals zur Mode?

Eva Herzigova: Mode? Ich kann mich nicht an Mode erinnern. Wenn, dann an jene kommunistische, praktische Mode für die Frau um die vierzig. Ich wäre niemals auf die Idee gekommen, dass man mit Mode Geld verdienen könnte, geschweige denn hatte ich eine Ahnung davon, was ein Model ist. Aber nur zu Ihrer Information: Ich bin sehr glücklich in diesem kommunistischen Regime aufgewachsen.

STANDARD: Was meinen Sie mit "sehr glücklich"?

Herzigova: Ich wuchs in einem kleinen Dorf an der deutschen Grenze im ehemaligen Sudetenland auf. Uns fehlte es an nichts. Für uns war es undenkbar, dass sich jemals etwas ändern würde. Wir kannten nichts anderes und akzeptierten unsere Situation. Rückblickend sehe ich es so: Wir hatten einen gewissen Spielraum und genossen ihn. Wir haben das Beste aus unserer Situation gemacht. Ich erinnere mich an herrliche Campingausflüge mit meiner Familie nach Jugoslawien, Bulgarien und Ostdeutschland.

STANDARD: Welchen Beruf übten Ihre Eltern aus?

Herzigova: Meine Mutter war Hausfrau, mein Vater Schwimmer des Nationalteams. Er bereiste die ganze Welt. Ich wurde zu Disziplin erzogen, dazu, mich ständig zu verbessern. Schönheit war keine Kategorie. Wir mussten unser Bestes geben, mit anpacken. Das sind die Werte, mit denen ich aufwuchs.

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Eva Herzigova in Cannes im Mai 2012.
Foto: Reuters/Pelissier

STANDARD: Was kannten Sie aus der westlichen Welt?

Herzigova: Ich sah den Film "Saturday Night Fever" und war hin und weg. Das war die einzige Referenz, die ich zu Mode und Schönheit hatte. Sonst gab es bei uns diesbezüglich keine Inspiration. Ich erinnere mich nicht daran, dass unser Vater viel von seinen Reisen erzählte.

STANDARD: Sie wurden im Jänner 1989 in der damaligen Tschechoslowakei als Model entdeckt. Wie ging das vor sich?

Herzigova: Eine Freundin erzählte mir, dass eine Agentin aus Paris hier sei. Als wir im Hotel ankamen, in dem sie uns Mädchen begutachten wollte, war mir die Situation nicht ganz geheuer. Nach einiger Warterei wollte ich wieder gehen und startete Richtung Aufzug. Da folgte mir eine Frau und lud mich ein, nach Paris zu kommen.

STANDARD: Wie schnell reisten Sie dann nach Paris?

Herzigova: Es dauerte ungefähr ein halbes Jahr, bis ich die Erlaubnis und die Papiere hatte. Wir mussten viele bürokratische Wege abklappern. Endlich, nachdem ich auch die Einwilligung meiner Schule bekam, gab mir eine staatliche Agentur den Stempel, mit dem ich das Land auf Zeit verlassen durfte. Es war die gleiche Agentur, die auch den Schlagersänger Karel Gott vertrat. Erinnern Sie sich an ihn?

STANDARD: Ja, natürlich! Der "Sinatra des Ostens"!

Herzigova: (lacht) Genau! Erst im September konnte ich nach Paris ziehen. Einen Monat später fand die Samtene Revolution statt.

STANDARD: Wie alt waren Sie damals?

Herzigova: Sechzehn. Ich kam mit zwei anderen Mädchen aus der Tschechoslowakei nach Paris. Wir wurden wie Aliens bestaunt – an das erinnere ich mich gut. Und ich erinnere mich auch sehr gut daran, dass in Paris alle durchdrehten, als die Revolution stattfand. Paris Match produzierte eine spezielle TV-Sendung über uns Mädchen: Ich fuhr wieder nach Hause, wurde mit meiner Familie und in meiner Schule gefilmt. Ich war ein bisschen in einem Schockzustand und dachte mir: "Wovon reden diese Leute? Es ist doch nichts falsch an meinem Heimatland?"

STANDARD: Ich erinnere mich, dass Models aus der ehemaligen Sowjetunion, sobald sie in Europa oder den USA waren, sofort diverse McDonald's stürmten. Sie etwa auch?

Herzigova: In meinem ganzen Leben war ich höchstens zwei Mal bei McDonald's! Aber ich erinnere mich daran, wie sehr mich all die arabischen Geschäfte in Paris beeindruckten, die auch im Winter Erdbeeren und Kirschen verkauften. Das war unglaublich für mich. Denn bei uns zu Hause gab es nur, was heute wieder sehr "in" ist: lokale, saisonale Produkte – Äpfel, Birnen, Kraut, Kartoffel. Zu Weihnachten gab es Kokosnüsse. Das war eine Sensation.

STANDARD: Als Model kamen Sie von Anfang an gut beim Publikum an, nicht wahr?

Herzigova: Die Agentur gab mir eine dreimonatige Versuchszeit. Danach wollte ich wieder zur Schule. Aber ich bekam viele Jobs, also blieb ich in Paris.

STANDARD: Tut es Ihnen heute leid, dass Sie die Schule nicht abgeschlossen haben?

Herzigova: Heute spreche ich vier Sprachen, ich habe die ganze Welt bereist und verschiedenste Kulturkreise kennengelernt. Ich wusste, dass diese Möglichkeiten, die mir gegeben wurden, ein Ausnahmefall und eine Besonderheit sind. Ich bin sehr diszipliniert und habe das Beste daraus gemacht.

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Eva Herzigova mit Adrian Brody bei einer Wohltätigkeitsauktion im Jahr 2012.
Foto: ap/langsdon

STANDARD: Erinnern Sie sich an Ihre erste wichtige Kampagne?

Herzigova: Das war für Guess Jeans mit der Fotografin Ellen von Unwerth. Kurz darauf bekam ich die Kampagne für "Wonderbra".

STANDARD: Damit wurden Sie schlagartig bekannt. Riesige Plakate am Times Square in New York verursachten sogar Autounfälle.

Herzigova: Ja, es gab heftige Reaktionen auf diese Kampagne. Sie machte mich sehr populär, und ich hatte kommerziellen Erfolg. Aber ich war nicht wie Christy, Linda oder Claudia ein "High End Fashion Model": Ich war zwar auf dem Cover für "GQ", aber nicht auf dem der "Vogue".

STANDARD: Dort waren Sie später aber auch. Sie wurden selbst zu einem "Supermodel".

Herzigova: Wir Models in den 1990ern hatten Glück. Damals war es etwas Gutes, dass wir alle sehr unterschiedlich waren. Als ich zu arbeiten begann, waren die "Supermodels" schon bekannte Namen. Für mich waren sie wie schöne Avatare. Starke Frauen mit starken Persönlichkeiten, die mit berühmten Rockstars oder Schauspielern zusammen waren. Ich war ja irgendwie die "Kleine" ...

STANDARD: Wann veränderte sich Ihre Karriere?

Herzigova: Die ersten zehn Jahre hatte ich das Image der üppigen, sexy, glamourösen Frau. Als Mario Testino mich für das englische Magazine "The Face" mit dunkel gefärbten Haaren und natürlichem Make-up fotografierte, änderte sich dieses Image und damit meine Karriere. Das war ein bisschen so wie bei Linda Evangelista, als sie sich die Haare schneiden ließ. Ich fing an, mit Fotografen wie Peter Lindbergh, Helmut Newton und Paolo Roversi zu arbeiten und bekam Kampagnen für Calvin Klein, Burberry und Louis Vuitton.

STANDARD: Wie alt waren Sie damals?

Herzigova: 25. Meistens hört man in diesem Alter auf. Für mich begann eine neue Karriere.

STANDARD: Lag es auch an Ihrer Disziplin und Ihrem Charme, dass Sie so viel Erfolg hatten?

Herzigova: Ja, klar! Ich wollte Erfolg haben. Ich wollte die Beste sein. Ich wollte immer mehr erreichen, mehr sehen. Ich bin neugierig und lerne gerne dazu. Für meine Kinder würde ich mir allerdings etwas anderes wünschen. Aber sie haben ja bereits die Möglichkeit, die Welt zu bereisen und viele Sprachen zu lernen.

STANDARD: Wie wichtig waren Ihre Agenturen für Ihre Karriere?

Herzigova: Die meisten Agenturen sind natürlich froh, wenn man kommerziellen Erfolg hat. Meine damaligen versuchten, diesen bestmöglich auszunützen. Aber sie dachten niemals weiter: Was ist bei diesem Mädchen der nächste Karriereschritt? Welcher Fotograf könnte ihr Image verändern? Manchmal ist es deshalb notwendig, die Agentur zu wechseln.

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Eva Herzigova mit ihrem Mann Gregorio Marsiaj.
Foto: APA/EPA/GUILLAUME HORCAJUELO

STANDARD: Heute, mit 41 Jahren, arbeiten Sie noch immer viel. Dieses Jahr waren Sie in einer Kosmetikkampagne für Dior zu sehen, im Spezialheft "Icon-Vogue" waren Sie mit Ihren Kolleginnen Claudia Schiffer und Naomi Campbell auf dem Cover; im Oktober auf dem Cover des tschechischen "Harper's Bazaar". Als Schauspielerin arbeiten Sie ebenfalls.

Herzigova: Als Schauspielerin habe ich keinen Agenten, und ich gehe auch nicht zu Castings. So gesehen verfolge ich keine Schauspielkarriere. Ich mache es, wenn ein Angebot interessant klingt, so wie gerade jetzt die Zusammenarbeit mit dem tschechischen Regisseur Vladimir Michalek für den Film "Storyteller".

STANDARD: Drei Söhne mit acht, dreieinhalb und eineinhalb Jahren haben Sie auch.

Herzigova: Wenn Sie es genau wissen wollen: Ich bin ständig müde! Aber nach all den Jahren des Vagabundierens ist es schön, ein Zuhause mit einer großen Familie zu haben.

STANDARD: Hatten Sie jemals Angst, Ihre Karriere könnte mit dem Kinderkriegen vorbei sein?

Herzigova: Darüber habe ich nie nachgedacht. Ich habe Glück, dass ich immer noch arbeite, und noch mehr Glück, dass ich dazwischen auch noch eine Familie gründen konnte. Wir wollten gerne drei Kinder haben, allerdings dachte ich, dass ich vielleicht doch irgendwann ein Mädchen bekommen werde.

STANDARD: Sie könnten es ja noch einmal probieren?

Herzigova: Sind Sie wahnsinnig? Dafür bin ich jetzt wirklich zu alt! (Cordula Reyer, Rondo, DER STANDARD, 21.11.2014)