Anstellen – haben Sie die Geduld dazu?

Foto: Lukas Friesenbichler

Pro
Von Eric Frey

Mein Name ist Ungeduld. Eric Ungeduld. Anstellen ist mir ein Gräuel, egal ob an der Supermarktkasse oder am Skilift. Jede Minute, die ich dabei vergeude, tut mir psychisch und körperlich weh.

Umso erstaunlicher ist es, mit welcher Gleichmut andere das Warten erdulden und keinerlei Anzeichen für Eile zeigen. Das lässt nur einen Schluss zu: Die anderen ticken anders, sie genießen solche Zwangspausen oder ärgern sich zumindest nicht über sie. Dieser Charakterunterschied gibt mir die Lizenz zum Vordrängeln. Jede Minute, die ich gewinne, gibt mir mehr, als sie anderen nimmt. Das ist eine Umverteilung zu denen, die es am meisten brauchen.

Das Ganze hat nur einen Haken: Es darf niemand merken. Denn sonst beginnen andere aus Bestemm zu drängeln, dann bricht die Ordnung zusammen und das Chaos aus. Daher bastle ich seit Jahren an Techniken, wie ich höflich und ohne Aufsehen in der Schlange nach vorn komme. Von anderen Meistern in diesem Fach nehme ich gerne Tipps an.

Kontra
Von Irene Brickner

Kurzfristig betrachtet scheint es lohnend, mit erhöhtem Tempo und Hakenschlagen rascher dorthin zu gelangen, wo der Kuchen verteilt wird. In Zeiten der Mogelpackungen - vom Gugelhupf aus dem Supermarkt zum existenzerhaltenden Job am Arbeitsmarkt - liegt dieser Gedanke besonders nah.

Doch wer vor dem Vordrängen die Zeit findet, das Hirn einzuschalten, wird darauf lieber verzichten. Erstens weil er oder sie damit das richtige Timing versäumt hat: Wer drängt, muss das rasch tun, oder eben nicht.

Er oder sie könnte beim Nachdenken aber auch auf die dunkle Seite der Jetzt-komm-ich-nach-mir-die-Sintflut-Strategie gestoßen sein: auf die unerwünschten Nebenwirkungen. Zufrieden hält der Vorgepreschte inne, blickt hinter sich. Und was sieht er oder sie? Die anderen, die das Nachsehen hatten. Und wie schauen die drein? Richtig, wenig amüsiert. Und was heißt das? Dem freudigen Vordrängen folgt vielfach sozialer Frust - und der ist nicht zu verachten. (Rondo, DER STANDARD, 21.11.2014)