Ein trostloser Anblick: Cornelius Gurlitts Häuschen in Salzburg. Die Garage, ein Schwarzbau, wurde abgerissen.

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Es geht um etwa 1700 Kunstwerke, Barvermögen und eine Liegenschaft in Salzburg, einst im Besitz des im Mai verstorbenen Cornelius Gurlitt. Dessen letzter Wille sah das Kunstmuseum Bern als Alleinerbe vor. Dort nützte man die gesetzliche Frist von sechs Monaten zur Entscheidung, ob man das Erbe antritt oder nicht. Angesichts damit verbundener Probleme, rechtlicher wie finanzieller Fragen und der Prominenz der Causa bedurfte es einer eingehenden Prüfung.

Freitagfrüh verkündete die Deutsche Presse Agentur, das Museum habe sich zum Antritt des Erbes entschlossen. Weder Matthias Frehner, Direktor des Kunstmuseums Bern, noch Monika Grütters (Kulturstaatsministerin, CDU) wollten dies bestätigen und verwiesen auf die für Montag anberaumte Pressekonferenz. Einerlei, diese Entscheidung wird nur ein Kapitel, aber nicht das Ende der Geschichte sein.

Der "Schwabinger Kunstfund", wie er in Deutschland fast verharmlosend bezeichnet wird, ist der Restbestand eines Depots des in der Ära der Nationalsozialisten aktiven Kunsthändlers Hildebrandt Gurlitt. Sohn Cornelius erbte diese aus heutiger Sicht tückische Melange: Kunstwerke mit geklärter und ungeklärter Provenienz, vieles davon unter Raubkunstverdacht. Zur Finanzierung seines Lebensunterhaltes verkaufte er im Laufe der Jahre einige Werke. Es war sein Eigentum, und er konnte darüber walten, wie ihm beliebte - bis zur Beschlagnahme im Februar 2012. Dann wurde die Causa und Deutschlands mangelhafter Umgang mit seiner moralischen Verantwortung öffentlich. Eiligst wurde eine Taskforce nominiert, die die Herkunft von knapp 500 Raubkunst-Kandidaten klären sollte.

Taskforce in der Kritik

Im Februar 2014, als auf Wunsch Gurlitts sein Nebenwohnsitz in Salzburg geräumt wurde, fanden sich weitere 300 Kunstwerke. Mit Arbeiten von Monet, Manet oder Renoir soll der Wert dieses Konvoluts deutlich über jenem des Münchener liegen. Details sind keine in Erfahrung zu bringen. Diese Gemälde und Zeichnungen befinden sich in Österreich. Noch. Auf Standard-Anfrage bestätigt das Bundesdenkmalamt, aktuell ein Ansuchen um "temporäre Ausfuhr" bewilligt zu haben. Befristet auf ein Jahr und mit der Option auf Verlängerung, wie Präsidentin Barbara Neubauer betont. Zweck sei die Bearbeitung durch die Taskforce.

Diese dürfte, als Teil der Vereinbarung mit Bern, weiterhin für die Klärung der Provenienzen der Kunstwerke zuständig bleiben. Jedoch war deren Arbeitsweise zuletzt in die Kritik geraten, besonders aufgrund mangelnder Effizienz. Der von Leiterin Ingeborg Berggreen-Merkel einst verkündete Zeitrahmen von einem Jahr war so ambitioniert wie unrealistisch. Wer sich je mit Provenienzforschung beschäftigte, weiß, dass die Rekonstruktion der Herkunftsgeschichte einzelner Kunstwerke oftmals Monate, wenn nicht Jahre dauert. Manches ist innert weniger Wochen recherchierbar, anderes muss unaufgeklärt ad acta ge- legt werden. Wie viel Prozent des Bestandes wurde mittlerweile bearbeitet? Konnte man Verdachtsmomente ausräumen? Und welcher Forschungszeitraum scheint realistisch?

Dazu will man nicht Stellung nehmen, erklärt der Taskforce-Sprecher im Gespräch. Kein Wunder, die Bilanz ist ernüchternd: Nur zu drei Werken liegen Gutachten vor. Darunter je ein Gemälde von Henri Matisse (Sammlung Paul Rosenberg) und von Max Liebermann (Sammlung David Friedmann), die schon vor Monaten als Raubkunst identifiziert wurden. Warum diese Fälle bislang nicht gelöst wurden? Weil es dafür erst eines offiziellen Erben bedarf.

Noch vor seinem Tod hatte Cornelius Gurlitt anspruchsberechtigten Erben faire und gerechte Lösungen im Sinne der Washingtoner Erklärung (1998) zugesichert. Das Kunstmuseum Bern wird, ja müsste diesem Wunsch folgen. Denn auch die Schweiz hat dieses Abkommen unterzeichnet und öffentliche Institutionen zur Einhaltung verpflichtet.

Dennoch warnte Ronald Lauder, Präsident des Jüdischen Weltkongresses, jüngst vor einer drohenden Prozesslawine. Dem Vernehmen nach habe Deutschland Bern zugesichert, Rechtskosten zu übernehmen, sofern Erben jüdischer Sammler das Museum auf Herausgabe von Werken verklagen.

Würde das Museum verzichten, kämen Familienmitglieder zum Zuge. Noch im Mai hatten Cousin Dietrich Gurlitt und Cousine Uta Werner das Testament vollumfänglich begrüßt. Dieser Tage erfolgte der Umschwung: Basierend auf einem Gutachten, das die Testierfähigkeit Cornelius Gurlitts infrage stellt, stellte seine 86-jährige Cousine eine Anfechtung des Testaments in Aussicht. Kurz vor Redaktionsschluss wurde bekannt, dass sie beim zuständigen Nachlassgericht einen Erbschein beantragte. Der Kampf um das Erbe scheint damit erst eröffnet. (Olga Kronsteiner, DER STANDARD, 22.11.2014)