Josefstadtdirektor Herbert Föttinger: "Meine Leidenschaft erstreckt sich über das ganze Haus, einschließlich Bühne."

Theater in der Josefstadt

STANDARD: Kürzlich wurde Ihr Vertrag bis 2021 verlängert, bei Vertragsende werden Sie 15 Jahre im Amt - und somit einer der längstdienenden Theaterdirektoren gewesen sein. Selbst Claus Peymann blieb nur 13 Jahre Burgtheaterdirektor. Haben Sie das erwartet?

Herbert Föttinger: Nicht im Geringsten. Bei meiner Ernennung dachte ich, in fünf Jahren ist es vorbei, falls ich es überhaupt so lange schaffe. Ich habe das Theater in einer schwierigen Situation übernommen. Es gab Schulden, und es fehlte an Geld, und das Letztere hat sich nicht wirklich geändert. Bis heute betragen allein die Personalkosten 80 Prozent des Gesamtbudgets. Es gibt bei uns hohe Einnahmen, die Menschen nehmen unser Theater voll an. Die Auslastung ist überragend, und meine deutschen Kollegen wundern sich, wie wir das schaffen. Aber wenn ich für die Spielzeit 2015/2016 keine Subventionserhöhung bekomme, dann weiß ich nicht, wie die Zukunft der Josefstadt ausschaut.

STANDARD: Welche Eigenschaften sollte ein guter Theaterdirektor haben?

Föttinger: Leidenschaft! Leidenschaft! Leidenschaft! Er muss das Theater wie sein Eigentum betrachten, sodass er ein Minus, ein Loch in der Kassa, nicht gleichgültig abschütteln kann, sondern es als seine persönliche Niederlage empfindet. Ich hasse Tricksereien mit dem Budget und alle Arten von Selbsttäuschungen. Manchmal drücken mich die Geldsorgen ganz schön nieder. Was mich hingegen erhebt, was mich glücklich macht, ist die Zusammenarbeit mit den Autoren, wenn ich sie dafür entflammen kann, für dieses Haus zu schreiben. Ich will, dass die Josefstadt zu einem Kreißsaal der zeitgenössischen österreichischen Literatur wird.

STANDARD: Nun inszeniert Christopher Hampton, der für sein Drehbuch zu "Gefährliche Liebschaften" den Oscar bekommen hat, sein eigens für die Josefstadt umgeschriebenes Stück "Die dunkle Begierde". War auch ein bisschen Angeberei dabei, diesen Weltstar an Ihr Haus zu holen?

Föttinger: Naja, wenn es mir gelingt, solche tollen Leute ans Haus zu holen, darf ich mir doch ganz kurz auf die Schulter klopfen. Mit Hampton ist es eine Freude zu arbeiten, er weiß so viel über die menschliche Figur. Er zeigt die zwei Götter der Psychoanalyse, Sigmund Freud und C. G. Jung, in ihrem privaten Dilemma. So sehr die beiden mit Röntgenblick in die Seele ihrer Patienten blicken konnten, beim Blick in ihre eigene versagten sie. Freud nahm die Welt, wie sie ist, er versuchte, den Einzelnen und seine Seele zu heilen. Jung ging einen Schritt weiter, er wollte die Heilung der Welt.

STANDARD: Sie spielen Sigmund Freud, Michael Dangl ist C. G. Jung. Wenn ich Ihnen so zuhöre: Wären Sie lieber Jung gewesen?

Föttinger: Hampton wollte unbedingt, dass ich den Freud spiele. Ich wollte anfangs gar nicht und habe ihm wochenlang andere Kollegen vorgeschlagen. Aber wer kann auf Dauer einem weltberühmten und sturen Engländer widerstehen? Ich nicht, ich spiele ja gerne. Michael Heltau hat gesagt, ein Direktor soll nicht spielen und nicht inszenieren. Aber nur ein Hausmanager zu sein, ist mir zu wenig. Meine Leidenschaft erstreckt sich über das ganze Haus, einschließlich Bühne.

STANDARD: Die Diskussion hat sich nicht zuletzt an Ex-Burgtheaterchef Matthias Hartmann und seinen Gagen entzündet.

Föttinger: Ungerechterweise. Es gab ja eine Kulturministerin, einen Bundestheaterchef, und mit denen verhandelt man gemeinsam über Gagen. Offensichtlich wurde allen seinen Forderungen zugestimmt. Wenn Hartmann die ausgemachten Regeln verändert hat, dann hätte man einschreiten müssen. Bei mir beispielsweise ist eine Regie pro Jahr Teil meines Direktorengehaltes, für die bekomme ich gar nichts. Das hätte man ja auch mit Hartmann so vereinbaren können. Dass man ihm im Nachhinein die Gagen vorwirft, finde ich unfair.

STANDARD: Steht seit der Burgtheaterkrise die gesamte Theater- und Kulturszene unter Verdacht?

Föttinger: Verdächtigt wird schnell und generell. Viele Leute glauben, diese Theatermenschen verdienen wahnsinnig viel Geld, verstehen nichts von Buchhaltung und verschwenden Unmengen von Steuergeld. Blödsinn. Ich habe jetzt eine Kampagne gegen solche Verallgemeinerungen gestartet, der erste Spruch prangt schon an der Fassade der Josefstadt: "Hier wird Fantasie verschwendet. Nicht Steuergeld." Natürlich kostet Kunst Geld, aber sie bringt auch viel davon wieder zurück, zum Beispiel durch Kulturtouristen. Oder glaubt wirklich jemand, dass die Welt nur wegen des Wiener Schnitzels nach Wien kommt?

STANDARD: Hat Sie eigentlich der Job des Burgtheaterdirektors gereizt?

Föttinger: Ein Theaterdirektor, der Ihnen ins Gesicht sagt, das Burgtheater würde ihn nicht im Geringsten interessieren, der lügt Sie an. Natürlich macht man sich Gedanken. Aber meine Baustelle ist die Josefstadt. Ich will wissen, was mit diesem Haus noch alles möglich ist.

STANDARD: Apropos Baustelle: Zuerst Renovierung des Theaters in der Josefstadt, dann der Kammerspiele, zuletzt Ausbau der Probebühne in der Seestadt Aspern - wollen Sie als der große Um- und Ausbauer in Erinnerung bleiben?

Föttinger: Ich will die Josefstadt anders verlassen, als ich sie vorgefunden habe. Nach außen und nach innen. Das Äußere, die Bauten und Umbauten, sind geschafft, ein Großteil davon mit privaten Geldern, die ich mit heißem Bemühen zusammengetragen habe. Jetzt verstärke ich die internen Debatten über die Zukunft des Theaters, der Literatur, der Gesellschaft.

Wie kann diese Zukunft aussehen?

Föttinger: Wenn Sie nach der Form des Theaters fragen, das wir hier spielen wollen, dann würde ich vom psychologischen Realismus reden. Den Inhalt kann man nur mit den Autoren entwickeln. Ich möchte immer mehr Gegenwartsautoren an dieses Haus binden. Ich möchte mich mit ihnen gegen den alltäglichen Wahnsinn empören, der uns umgibt und mich gegen diesen angeblich allein seligmachenden Kapitalismus wenden. Ich möchte am Theater von heutiger Armut und heutiger Arbeitslosigkeit erzählen und von Jugendlichen, die hier aufgewachsen sind, einen Wiener Vorstadtjargon sprechen und sich von heute auf morgen dem radikalen Islam zuwenden. Ich möchte mich über so vieles empören. Ich weiß, dass die Josefstadt als bürgerliches Theater gesehen wird. Und wenn es so ist: Auch Bürger können und müssen sich empören.

STANDARD: Was bedeutet "bürgerliches Theater"?

Föttinger: So wie ich mein bürgerliches Publikum kenne und schätze, so handelt es sich zumeist um Menschen, die einen Hang zur traditionelleren künstlerischen Form haben, aber gleichzeitig mit uns gemeinsam eine Sehnsucht entwickelt haben, neue Werke zu sehen und am Theater Neues zu erfahren.

STANDARD: Sie reden viel über Autoren: Schauspieler, Regisseur, Dichter - wer hat denn die wichtigste Rolle am Theater inne?

Föttinger: Das Theater ist eine gemeinsame Kunst, alle sind ein Teil des Ganzen. Das Wichtigste aber ist das Stück. Ich weiß schon, dass die Schauspieler gerne das Gefühl haben, sie seien der Mittelpunkt von allem, und man solle ein Stück suchen, welches auf sie passt wie ein gutsitzender Anzug. So wurde ja lange an diesem Hause agiert. Und sonst könnten sie ja auch Zeitungstexte und Telefonbücher talentiert vortragen. Aber in Wahrheit sind wir ohne ein dichterisches Werk verloren. Natürlich brauchen wir tolle Schauspieler, und wir brauchen Regisseure, die ihre künstlerischen und inhaltlichen Überzeugungen in das Theaterstück tragen. Leidenschaft ist von allen Beteiligten gefordert. Aber die Seele, der Motor des Theaters ist die Dichtkunst. Wenn Sie mir einen kurzen Rückgriff auf die Bibel erlauben: "Am Anfang war das Wort." (Andrea Schurian, DER STANDARD, 24.11.2014)