"Marco Polo"-Hauptdarsteller Lorenzo Richelmy.

Foto: Netflix

Paris - Da hätte er doch lieber den Mund gehalten: Die blumige Beschreibung des Reichs von Kublai Khan bringt den jungen Entdecker Marco Polo in eine verzwickte Situation. Vom Vater als Pfand für die Handelserlaubnis entlang der Seidenstraße am Hof des mongolischen Herrschers zurückgelassen, taucht der Italiener ein in eine fremde Welt. Netflix hat die Geschichte nun als epische Serie umgesetzt.

"Jeder hat von ihm gehört, aber nur wenige wissen wirklich etwas über ihn, abgesehen von dummen kleinen Legenden", beschreibt Autor und Produzent John Fusco die Ausgangslage für das TV-Drama "Marco Polo", dessen erste Staffel ab 12. Dezember über den Online-Videodienst abrufbar ist. Denn schließlich hat Polo mehr getan, als im 13. Jahrhundert "Nudeln in den Westen" zu bringen. "Die wahren Beschreibungen sind spannender und dramatischer als jede Mythologie", ist sich der US-Amerikaner sicher.

Zehn Episoden

Fusco sitzt gemeinsam mit Produzent und Regisseur Dan Minahan in einem Pariser Nobelhotel nahe des Louvre und steht europäischen Journalisten Rede und Antwort. Man merkt, dass Netflix große Erwartungen in seine neueste Produktion setzt. Historischer Anspruch, aufwühlende Intrigen und eine cineastische Umsetzung werden in den zehn Episoden, die in Venedig, Kasachstan und Malaysia gedreht wurden, vereint. Vergleiche mit Erfolgsserien wie "Game of Thrones" sind nicht von der Hand zu weisen, wurde doch auch für "Marco Polo" viel Liebe ins Detail gesteckt und eine atmosphärisch dicht gestaltete Welt aus längst vergangenen Tagen eingefangen.

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Dass keine Kosten und Mühen gescheut wurden, kann auch Hauptdarsteller Lorenzo Richelmy unterstreichen. "Wir haben sogar einen Krieg inszeniert. Normalerweise sieht man so etwas nicht im Fernsehen", meint der charmante Italiener. "Das war ein riesiges Set mit knapp 300 Darstellern. Und ich musste da mitten durch reiten. Einfach unglaublich, wann passiert dir das schon?" Aber immerhin hat Kublai Khan (Benedict Wong) nicht nur die südchinesische Song-Dynastie als Widersacher, sondern muss sich auch in den eigenen Reihen mit Misstrauen und Verrat herumschlagen. Anlässe für kriegerische Auseinandersetzungen gibt es also nicht zu knapp.

Entsprechend komplex gerät anfangs die Erzählung, die mit Marcos Ankunft beim Enkel des Dschingis Khan beginnt: Nur sukzessive kann sich der neugierige Europäer in den Alltag einfinden, sind doch Lebensweise und Umgangsformen kaum mit seinen eigenen Ansichten in Einklang zu bringen. Doch Sprachunterricht, Kampftraining und seine Beobachtungen führen den jungen Mann immer tiefer in diese Kultur, bis er zum Berater des Khan aufsteigen sollte. "Selten wurde bisher die Größe seiner Geschichte eingefangen", bezieht sich Fusco auf vorangegangene Dramatisierungen des Stoffes. "Wir wollten einen mutigeren Zugang wählen."

"Querverbindungen seiner Erzählungen"

Dem Autor ist das Vorhaben sichtlich ein Anliegen, das er schon länger mit sich herumträgt. In seiner Jugendzeit widmete er sich fernöstlicher Kampfkunst und ist dabei auch auf den Namen Marco Polo gestoßen. "In meinem Kopf bin ich mit ihm gereist." Für das Netflix-Projekt hat Fusco nun versucht, "Querverbindungen seiner Erzählungen in den verschiedenen Übersetzungen mit Chroniken aus Persien und China" herzustellen. Schließlich sind die Reiseberichte Polos bis heute in wissenschaftlichen Kreisen nicht ganz unumstritten.

"Er hat ja auch Drachen gesehen", schmunzelt Minahan. "Aber das ist für Filmemacher ein großartiger Ansatz, diese verschwimmenden Grenzen zwischen Wahrheit und Legende." Polo selbst hielt aber bis zu seinem Tod 1324 an seinen Erzählungen fest, wie Fusco erläutert. "Noch auf dem Totenbett gab man ihm Gelegenheit, seine Geschichten zurückzunehmen und als Lügen zu entlarven. Er aber meinte: Ich habe noch nicht einmal die Hälfte davon erzählt, was ich gesehen habe. Und genau um diese Hälfte ging es uns."

In der nunmehrigen Umsetzung enthält diese "faszinierende Mischung aus Fakt und Fiktion" zu einem Gutteil auch recht explizite Sexszenen - ebenfalls ein mittlerweile bekanntes Stilmittel von Fernsehproduktionen. "Dass Sex eine Rolle spielen wird, wussten wir immer", betont Produzent John Fusco. "Schließlich beinhalten diese Reisen auch Marcos sexuelles Erwachen."

"Vergnügungspavillon"

Keinesfalls wollten die Macher von "Marco Polo" aber Erotik als bloße Effekthascherei einsetzen. "Wir wollten es nicht vulgär oder ausbeutend gestalten", unterstreicht Fusco. Schließlich hätte Khans berühmter "Vergnügungspavillon" eine wesentliche Rolle an dessen Hof gespielt. "Außerdem ist es eigentlich schwierig, eine Serie über Macht zu inszenieren, ohne Sex zu berücksichtigen", pflichtet Dan Minahan seinem Kollegen bei.

Die Gefahren der Lust muss wiederum Marco am eigenen Leib spüren, fällt sein Blick doch schon früh auf die "blaue Prinzessin" Kokachin. Vom Aufpasser der Prinzessin wird das mit Missmut beobachtet. "Denk nicht einmal daran", lautet sein Rat an den Italiener. Und doch birgt dieser Erzählstrang mehr als nur Konfliktpotenzial aufgrund der unterschiedlichen gesellschaftlichen Stellung der Beiden. "Sie ist wie Marco selbst eine Fremde am Hof des Khan", beschreibt die chinesische Schauspielerin Zhu Zhu ihre Rolle. "Deshalb gibt es von Anfang an eine Verbindung zwischen ihnen." Sie selbst hat sich zwar an historischen Fakten für ihre Darstellung orientiert. "Aber man kann nicht wirklich wissen, wie diese mongolische Prinzessin, die vor 700 Jahren gelebt hat, wirklich war. Also konnte ich mich kreativ ausleben."

Geschieht die Annäherung zwischen Marco und Kokachin nur langsam, wird früh der obligatorische Antagonist vorgestellt: Jia Sidao ist Kanzler der Song-Dynastie und von den Machenschaften der "Wilden" im Norden alles andere als angetan. "Er will sein Volk retten und ergreift dafür im Verlauf der Serie immer extremere Maßnahmen", umreißt Chin Han seine Figur, die er mit stoischer Ruhe und enormer Präsenz verkörpert. Gereizt hat ihn daran auch eine skurrile Nebensächlichkeit: "Er hat eine Enzyklopädie über Grillen geschrieben. Manchmal ist die Wahrheit wirklich schräger als Fiktion."

Lorenzo Richelmy zufrieden

Als Schicksal könnte man es wiederum bezeichnen, dass die Produzenten Lorenzo Richelmy für die Titelrolle gecastet haben. "Seit ich acht war, bin ich jedes Jahr mit meiner Mutter und meinem Stiefvater für zwei Monate in Asien gewesen. Ich war an all diesen Orten, die auch Marco besucht hat. Also habe ich allen gesagt: Ich kenne Marco Polo wohl besser als jeder von euch", grinst der Mittzwanziger. Druck habe er aufgrund dieser Koinzidenz aber nicht verspürt. "Wieso auch? Was das Publikum davon hält, kann mir eigentlich egal sein. Ich habe einen guten Job gemacht, das weiß ich. Wie es ankommt, ist doch in erster Linie Geschmackssache. Es wäre Paranoia, wenn ich mir darüber den Kopf zerbrechen würde."

Diese Ehrlichkeit sei es auch gewesen, die Fusco und Co von ihrem Hauptdarsteller überzeugt hat. "Wir haben gehofft, dass wir unseren Marco in Italien finden würden. Und bei Lorenzo gab es schnell einen Konsens: Er verfügt über eine entwaffnende Kombination aus Unschuldigkeit und Selbstbewusstsein, Charme und einer gewissen Kantigkeit. Von einigen wird Marco Polo ja als erster Journalist beschrieben. Er war ein unvoreingenommener Reisender, der sich den Menschen, den Kulturen gewidmet hat. Und Lorenzo ist da sehr ähnlich."

Und so durfte Richelmy sich in extravaganten Kampfsportarten üben, zu Pfeil und Bogen greifen oder sich am Rücken eines Pferdes wohlfühlen - ein wahrgewordener Bubentraum für den Darsteller. "Es war wie im gefährlichsten Vergnügungspark der Welt", meint auch Chin Han. "Man musste bei den Dreharbeiten wirklich aufpassen, obwohl alles sehr gut koordiniert war. Aber das ist das Schöne an dieser Serie: Sie beschwört das Flair des alten Hollywood, wie in 'Cleopatra' oder 'Ben Hur'." (Christoph Griessner/APA, 24.11.2014)