Kurz vor seinem Tod stellte Juan Muñoz in der Skulptur "Derailment" eine Zugkatastrophe nach. Versteckt im Zug wächst eine neue Welt.

Foto: Universalmuseum Joanneum / N. Lackner

Graz - Die junge Frau sitzt bewegungslos auf der Bühne und lässt andere an ihrem Gewand herumschnippeln. Männer und Frauen wechseln sich ab und zerstören mit einer Schere langsam alles, was diese trägt. Sie hat ihr schwarzes Haar im Nacken zusammengebunden, als man ihrem Dekolleté nahekommt und schließlich auch die Träger ihres BHs durchschneidet, schluckt sie, bleibt aber sitzen. Der Film mit diesen Szenen aus der Performance Cut Piece läuft gerade auf einem der Monitore in der Ausstellung Damage Control im Grazer Kunsthaus.

Die 32-jährige Künstlerin, die hier 1965 auf der Bühne der New Yorker Carnegie Hall ihre Performance durchzog, ist Yoko Ono. In der Ausstellung, die vom Hirshhorn Museum in Washington übernommen wurde, wird die Zerstörung in der Kunst des 20. Jahrhunderts in 96 Werken großteils amerikanischer Künstler aufgerollt. Diese tauchte nach dem Zweiten Weltkrieg, ab den 1950er-Jahren vermehrt auf. Auch der Vietnamkrieg ließ später Kunstschaffende Zerstörung in ihrer Arbeit reflektieren. Im Destruction in Art Symposium - 1966 organisiert von Gustav Metzger, der ebenfalls in der Ausstellung vertreten ist, fokussierte man erstmals intensiver darauf.

Man sieht in der Schau nicht nur deutlich den Wandel der künstlerischen Auseinandersetzung - von politisch-aktionistischen Statements über fast ästhetische Bilder von Atompilzen (Harold Edgerton) oder den explodierenden Blumenvasen des Israelis Ori Gersht bis zu ironischeren Arbeiten aus den 1990ern, etwa dem berühmten Triptychon Dropping a Han Dynasty Urn von Ai Weiwei oder dem Film Ever Is Over All der Schweizerin Pipilotti Rist, in dem sie fröhlich durch die Straße marschiert und Autoscheiben einschlägt.

Auch die Auslöschung der eigenen Kunst ist ein wiederkehrendes Motiv: etwa bei John Baldessari, der in seinem Cremation Project, Corpus Wafers 1970 sein gesamtes Werk aus den Jahren 1953 bis 1966 einäschern ließ und die Aktion auch noch vorher per Zeitungsannonce ankündigte. Ein klarer Schnitt, eine Katharsis, die Zerstörung in all ihrer Grausamkeit auch sein kann.

Noch radikaler ging dies Michael Landy an: Er hinterfragte die Sinnhaftigkeit seines Besitzes und inventarisierte drei Jahre lang alles, was er besaß. Dann wurden 7227 Gegenstände in einer Londoner Halle systematisch zerstört. Das Video Break Down (2001) zeigt die kontrollierte Zerstörung.

Poesie der Polizeifotografie

Eine besondere Poesie wohnt den Fotografien des Schweizers Arnold Odermatt inne. Seine Aufnahmen von Unfällen, wie dem halbversunkenen VW-Käfer in einem See, umringt von schönen Bergen, könnte man nicht besser inszenieren - als Sinnbilder der Ruhe nach Katastrophen. Die Schwarz-Weiß-Bilder aus den 1950ern, 1960ern und 1970ern des heute 89-Jährigen entstanden in seiner aktiven Zeit als Polizist. Erst in den 1990ern entdeckte sie sein Sohn, der Filmemacher Urs Odermatt, für die Kunst. Odermatts Bilder waren 2001 auch auf der Biennale in Venedig zu sehen.

In den 1960ern begannen immer mehr Künstler den eigenen Körper als Material zu erkennen und ihm Verletzungen zuzufügen. Dieser Aspekt fehlt in der US-amerikanischen Ausstellung. Naheliegenderweise reagierte man im Joanneum mit einer ergänzenden Ausstellung im Bruseum. In der Schau Body Art and Destruction 1968-1972 sieht man etwa die legendäre Zerreißprobe von Günter Brus selbst, aber auch Filme und Bilder von Aktionen vom Mur-Insel-Vater Vito Acconci, von Peter Weibel, Valie Export, Dennis Oppenheim und anderen. Die Arbeiten sind teilweise nichts für schwache Nerven - und eine perfekte inhaltliche Ergänzung zum Kunsthaus. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 26.11.2014)