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Geier haben eine extrem robuste Verdauung. Forscher wissen jetzt, warum verdorbenes Fleisch für diese Tiere kein Problem darstellt.

Foto: Channi Anand/AP/dapd

Aarhus/Wien - Der Geier hat keine gute Nachrede. "Hol's der Geier" ist eine Verwünschung, als Pleitegeier erfreut er sich in der Wirtschaft geringer Beliebtheit. Und auch Franz Kafka hat mit der Erzählung "Der Geier" wenig zur Imagekorrektur beigetragen: Da frisst der Titelheld dem Icherzähler nämlich zuerst einmal die Füße weg, rammt ihm dann den Schnabel in den Hals, ehe der Vogel am Blut des Autors ertrinkt.

Im wahren Leben würde das freilich nie passieren, denn die großen Greifvögel sind fast ausschließlich Aasfresser. Und womöglich hängt es - neben dem nicht allzu erhabenen Profil des Geierkopfs - mit eben diesen als eklig empfundenen Ernährungsgewohnheiten zusammen, weshalb die verschiedenen Geierarten im Vergleich zum verwandten Adler als Image- und Wappenträger völlig abstinken.

Das verweste Fleisch, von dem sich die großen Aasfresser hauptsächlich ernähren, würde bei den meisten anderen Tieren im Normalfall zu schweren Vergiftungen führen. Für die Wissenschaft - zumal aus menschlicher Reizdarmperspektive - ergibt sich daraus freilich eine interessante Fragestellung: Wie schafft es das Gedärm des Geiers, das verfaulte Fleisch von Tierleichen zu verdauen, das jede Menge gefährlicher Bakterien und anderer, eher tödlicher Toxine enthält?

Licht ins Dunkel des Geierdarms

Ein dänisch-amerikanisches Forscherteam hat nun Licht ins Dunkel des Geierdarms gebracht und die Bakteriengemeinschaften (wissenschaftlich: Mikrobiome) analysiert, die sich im Verdauungssystem der Vögel befinden. Konkret wurde die Untersuchung an Truthahn- und Rabengeiern durchgeführt, und zwar nicht nur an deren Därmen: Die Forscher um Lars Hansen (Uni Aarhus) nahmen auch die Bakterien am kahlen Geierkopf unter die Lupe.

Das hat mit den Fressgewohnheiten der Greifvögel zu tun. Die brechen ihr Aas gern von hinten auf und stecken bei dickhäutigen Kadavern den Kopf zuerst in die Körperöffnungen, die der Ausscheidung gedient haben. Entsprechend lebendig geht es auf der Gesichtshaut eines Geiers zu: Hansen und sein Team entdeckten Spuren von 528 verschiedenen Arten von Mikroorganismen.

Im Geierdarm hingegen weht ein anderer Wind, berichten die Forscher im Fachblatt "Nature Communications": Dort fanden sie nämlich das Erbgut von nur 76 Mikroorganismen. Eine sehr saure Darmflora sorgt für extreme chemische Bedingungen und wirkt wie ein Filter für Mikroorganismen. Sehr wohl überleben im Geierdarm Clostridien und Fusobakterien, die dort aber keinen Schaden anrichten, sondern den Tieren allem Anschein nach bei der Verdauung helfen. Diese Kombination dürfte dafür sorgen, dass sich Geier zumindest an Aas von wilden Tieren nicht vergiften.

Ein Wirkstoff allerdings stellt für Geier (und Adler) eine tödliche Gefahr dar: Das Schmerzmittel Diclofenac, das in Asien lange in der Tierzucht eingesetzt wurde, hat bereits Millionen von Geiern das Leben gekostet. Fressen die Greifvögel das Aas von Tieren, die damit behandelt worden waren, bedeutet das für die Verdauungskünstler den sicheren Tod. (tasch, DER STANDARD, 26.11.2014)