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Vor mehr als einem Jahr hat Russland ein Weinembargo gegen Moldau erlassen.

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Links sind die Weine für Wladimir Putin gelagert, auf der rechten Seite in einer Nische die Weine für John Kerry. Wer durch das unterirdische Weinmuseum in Cricova unweit der moldauischen Hauptstadt Chisinau spaziert, durchschreitet einen Symbolraum des neuen kalten Kriegs. Die Welten sind strikt getrennt. Links neben Putin liegt der Wein von Weißrusslands Alexandar Lukaschenko, rechts von Kerry jener von Polens Donald Tusk.

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Ob der Osten oder der Westen hier am Ende mehr Flaschen haben wird, ist noch unklar. Der russische Präsident dürfte genau genommen seine Weine, die er hier lagert, gar nicht mehr nach Russland mitnehmen. Denn vor mehr als einem Jahr hat Russland ein Weinembargo gegen Moldau erlassen. Abgesehen davon, dass das eigentlich schade ist, weil der Champagner in Cricova doch sehr gut schmeckt, bedeutet der Handelskonflikt für Moldau großen wirtschaftlichen Schaden.

Verluste in Höhe von 100 Millionen

Experten zufolge könnte das russische Embargo der ehemaligen Obstrepublik der Sowjetunion einen Verlust von 100 Millionen Euro bescheren. 25 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte, die Moldau exportiert, sind Weine, und Russland ist mit 28 Prozent der größte Exportmarkt. Aus Cricova wurden sogar 35 Prozent der Wein-Exporte nach Russland ausgeführt. Im Jahr werden hier in den 120 Kilometer langen Kellern 15 bis 17 Millionen Flaschen Wein und sieben Millionen Flaschen Champagner erzeugt.

Die Dame, die die Führung für die Touristen macht, meint, man habe viele der Ausfälle durch das Embargo mit neuen Exporten nach Tschechien, Polen und Rumänien kompensieren können. Auch der US-Außenminister hat im Weinkrieg eingegriffen und für den Wein aus Cricova im amerikanischen Fernsehen geworben.

EU-Standards

Das Embargo ist dennoch heftig für Moldau. Im Jahr 2013 noch kaufte Russland 43 Prozent der landwirtschaftlichen Exportprodukte des kleinen Landes. Die EU hat zwar ihren Markt geöffnet, doch viele Produkte entsprechen nicht den EU-Standards, und die moldauische EU-Ausfuhrquote für Äpfel beträgt bloß 80.000 Tonnen. Regierungssprecher Vlad Kulminski räumt Schwierigkeiten ein: "Wir sind noch nicht von der einen Sphäre in die andere gewechselt."


Eine Zollunion mit Russland sei aber keine Alternative für Moldau und auch wegen der geografischen Lage abzulehnen. "Wir haben keine Grenze mit Russland, und wir haben dorthin auch keinen Tunnel, und wir können auch nicht über die Ukraine drüberspringen", sagt er zum STANDARD. Bislang haben nur die Sozialisten und die Partei Patria angekündigt, dass sie das EU-Handelsabkommen aufkündigen würden, wenn sie an die Macht kämen. Die Kommunisten sind nicht gegen das Abkommen, aber für eine genauere Analyse.

"Dieses Assoziierungsabkommen spiegelt nicht zur Gänze die Interessen des Landes wider. Es ist zu befürchten, dass die lokale Industrie durch die Öffnung des Marktes für EU-Produkte gefährdet wird", meint der Politiker Mihail Barbulat. Er ist dafür, dass man eine Expertengruppe gründet, die die offenen Fragen zum Abkommen klärt. "Wir wollen mit der EU kooperieren, aber so, dass es keine negative Auswirkungen auf unser Verhältnis mit dem strategischen Partner Russland hat. Die meisten Leute wollen gute Beziehungen mit beiden Seiten." Die Regierungsparteien wollen erst einmal abwarten und nur dann neu mit der EU verhandeln, "wenn wir an unsere Grenzen stoßen", wie die Vizepräsidentin des Parlaments, Liliana Palihovici, meint.

EU-Abkommen ärgert Russland

Experten meinen, dass das EU-Assoziierungsabkommen ohnehin nur aus politischen Gründen so schnell abgeschlossen wurde, die Auswirkungen habe noch niemand erfasst. Das EU-Abkommen hat Russland jedenfalls stark verärgert. Am 10. Oktober traf Putin mit dem moldauischen Präsidenten Nicolae Timofti beim Commonwealth-of-Independent-States-Gipfel in Minsk zusammen und forderte von ihm, dass Moldau analog zur Ukraine das Abkommen vorerst aussetzt, um mit Russland zu verhandeln. Genau das will auch Barbalut.

Wahlplakate in Chisinau
Foto: Standard/Adelheid Wölfl

Das Assoziierungsabkommen mit der EU ist nicht nur in Moskau unbeliebt, sondern auch beim prorussischen Regime in Tiraspol, der von Moldau abtrünnigen Region Transnistrien. Die Auswirkungen sind dort politischer wie wirtschaftlicher Natur. Denn der schmale Landstreifen bekommt nun durch vermehrte Zollkontrollen und ohne den früher üblichen Schmuggel mit der Ukraine vermehrt ökonomische und finanzielle Schwierigkeiten.

Die EU hat sich einverstanden erklärt, dass Transnistrien bis Ende 2015 Zeit bekommt, die Präferenzbestimmungen, die bisher gelten, an das neue EU-Abkommen anzugleichen. Doch für das Regime in Transnistrien ist die Frage, ob es bei dem EU-Assoziierungsabkommen mitmachen kann, abhängig von der Zustimmung Russlands. Und für Moskau macht es aus strategischen Gründen keinen Sinn, seine Basis in dem Niemandsland zwischen Moldau und der Ukraine aufzugeben. Würde Transnistrien das EU-Abkommen übernehmen, würde man zudem indirekt eingestehen, dass man Teil der Republik Moldau ist. Und das will man nicht.

Einschnitte bei den Löhnen

In dem seit einem kurzen Krieg 1991 abtrünnigen Gebiet, das völlig von Russland abhängig ist, wurden nun aber die Löhne gekürzt und in einigen Betrieben die Viertagewoche eingeführt. Aufgrund der Ukraine-Krise ist auch der Zugang zu Odessa schwieriger geworden, deshalb ist man mehr auf Chisinau angewiesen. Alle, die aus dem Ausland nach Tiraspol wollen, können nun nur mehr in Chisinau landen. Die Kontrollen wurden verschärft, die Ukraine arbeitet mit Moldau in dieser Hinsicht zusammen. Die Transnistrier werden zudem aufgefordert, sich jetzt moldauische Pässe zu besorgen.

Die moldauische Politikerin Liliana Palihovici glaubt, dass sich Transnistrien letztlich aus wirtschaftlichen Gründen in Richtung Moldau bewegen wird. "Der Punkt, wo die sich drehen, wird bald kommen", sagt sie zum STANDARD. Regierungssprecher Vlad Kulminski meint, man müsse gegenüber Transnistrien "großzügig" sein. "Es muss möglich sein, dass sie weiter in die EU exportieren." Allerdings werde man kein eigenes Handelsprotokoll für Transnistrien akzeptieren. Wenn das jetzige Abkommen auslaufe, werde die EU Zölle einheben.

"Kozak-Memorandum"

Die Transnistrien-Frage scheint im aktuellen West-Ost-Konflikt ein Poker zu sein. Das war schon früher der Fall. Bereits 2003 wollte Russland das "Kozak-Memorandum" durchsetzen, das eine neue Staatsordnung in Moldau vorsah, wo transnistrische und gagausische Vertreter wichtige Entscheidungen blockieren hätten können. Diese Vetomöglichkeiten, wie es sie etwa für die Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina gibt, hätten Interventionen des Kreml in Moldau erleichtert. Doch der moldauische Präsident Vladimir Voronin weigerte sich damals zurückzutreten und stellte sich gegen Putin. 2006 gab es dann das erste russische Weinembargo gegen Moldau.

Im Westen gab es nach dem Krieg in Georgien im Jahr 2008, als Russland nach einem georgischen Militärschlag in abtrünnigen Gebieten intervenierte, ein Umdenken in Brüssel. Statt Georgien rückte nun Moldau in den Mittelpunkt der Osteuropapolitik der EU. Ab 2010 wurde das neue Abkommen mit Moldau verhandelt. Dabei wurden Vertreter Transnistriens zwar eingeladen, doch als diese (offensichtlich auf Geheiß des Kreml) die Forderung nach einem anderen Status bei den Verhandlungen erhoben und ihnen dieser nicht gewährt wurde, waren sie draußen.

Geopolitisches Machtspiel

Das geopolitische Machtspiel rund um Moldau war also bereits 2010 im Gange. Die EU brauchte eine Erfolgsgeschichte, und so wurde Moldau ab 2010 dazu erkoren, das Land mit dieser Erfolgsgeschichte zu sein. Der ehemalige Erweiterungskommissar Stefan Füle und der jetzige Premier von Moldau, Iure Leanca, studierten übrigens etwa zur selben Zeit, nämlich Anfang der 1980er-Jahre, am Moskauer Staatsinstitut für Internationale Beziehungen.

Es kommt auch nicht von ungefähr, dass der EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn nun seine erste Reise nach Moldau machte und nicht etwa in die EU-Kandidatenländer Montenegro, Albanien, Mazedonien oder Serbien. Moldau ist auch in der Energieversorgung stark von Russland abhängig. Nun soll über eine Pipeline von Rumänien nach Moldau eine alternative Gasversorgung möglich werden. Die Schulden bei der Gazprom haben zum Großteil aber die Transnistrier zu verantworten und nicht die Moldauer.

Große Strukturschwächen

Moldau hat jenseits der geopolitischen Bedeutung jedoch große Strukturschwächen, die daher rühren, dass es Teil der Sowjetunion war. Nach deren Zusammenbruch gab es etwa überhaupt kein Pensionssystem in Moldau. Das heißt, dass auch alle Einlagen, die in das alte System eingezahlt worden waren, verloren waren. Erst 1997 wurde ein neuer Pensionsfonds aufgebaut. Doch die, die seither einzahlen, müssen nun für alle jene aufkommen, die gegenwärtig in Pension sind. Nur ein Drittel der Menschen, die heute in Pension sind, haben demnach selbst dafür eingezahlt. Deshalb sind die Pensionen mit etwa 90 Euro äußerst gering. Es ist praktisch unmöglich, mit so einer Pension über die Runden zu kommen. Sie deckt vielleicht die Strom- und Heizkosten, aber nicht mehr. Auch die Bankeinlagen gingen für viele Moldauer nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verloren. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 26.11.2014)