Dass unsere Kinder sich so gut entwickeln, sei ein großes Glück, hören wir oft. Kann es ohne Glück gesunde, fröhliche Kinder geben?

Foto: Gertraud Klemm

Die Sorgen kommen unvermutet: an der Supermarktkasse, auf einer Berghütte, auf dem Spielplatz. Wenn sich da beim Weinfest im Heimatort ein zwölfjähriger Bub vor mein achtjähriges Kind aufpflanzt und sagt: "Du bist nur eine Neger." Wenn eine ältere Dame beim Diskonter über meinen Einjährigen sagt: "Süß - aber der wird auch groß!" Wenn eine Tante zum sieben Monate alten, brabbelnden Baby sagt: "Wie heißt du denn? Sprichst du denn schon Deutsch?" und uns dann verzweifelt ansieht.

Vielleicht sollte ich von vorn beginnen. Unsere Kinder sind schwarz, oder, wie mein Sohn korrigieren würde: braun. Sie wurden im Alter von fünf und elf Monaten aus Südafrika adoptiert. Es sind Adoptiv-Wunschkinder. Wir hätten gerne ein leibliches Kind gehabt, aber, und das war eine böse Überraschung, das ging nicht. Die Entscheidung zu einer Auslandsadoption mit einem seriösen Verein kam intuitiv; transparent sollte das Verfahren sein und dem Haager Adoptions-Übereinkommen entsprechen. Die Wahl auf das Land fiel als Konsequenz des (Un-)Machbaren.

Die Kinder, die wir bei den ersten Treffen der kleinen Südafrika-Community verzückt beobachteten, wirkten überraschend normal und gefielen mir fast besser als die meisten weißen Kinder. Sie tobten, heulten, krachten in ihre Windeln und sprachen Wiener, Tiroler und Burgenländer Dialekt. Die Eltern erzählten von schlaflosen Nächten und Windelausschlägen, und wäre da nicht die Sache mit den Zöpfchen und der ewigen Suche nach Hautärzten mit Afrika-Erfahrung gewesen, es wären stinklangweilige Eltern-Kind-Treffen gewesen.

Ich las Bücher und litt unter ihnen. Adoption, las ich, sei ein unberechenbares Wagnis und die Trennung von der leiblichen Mutter eine nicht wiedergutzumachende Verletzung, egal, wie gut es die Adoptiveltern machen. Dann kamen erste Einsprüche aus dem Umfeld, die den braunen Kindern im rassistischen Österreich eine dunkle Zukunft prognostizierten. Nicht zuletzt: die genetische Verdächtigkeit. Dass ihr euch das traut! Da weiß man ja nicht, was man kriegt: Verbrecher, Erbkrankheiten, Psychos! Das "Prinzip der guten Hoffnung", lernten wir, gilt nur für das leibliche Kind.

Schon damals wollte ich sagen: Aber ihr wisst es doch genauso wenig! Die große Skepsis vor dem Unbekannten spießt sich hier mit der großen Illusion über die Herrlichkeit der eigenen Gene. Die genetische Rekombination ist eine gigantische Lotterie, und Mutter Natur hat manchmal einen schrägen Humor! Nicht alles, was ihr vererbt, ist super: Was ist mit der schweren Hüftfehlstellung, den Allergien, der Neurodermitis, dem vielen Krebs in der Familie? Dass Leiblichkeit keine Qualitätsgarantie ist, schien im Prinzip der guten Hoffnung unterzugehen.

Wir hätten natürlich auch liebend gerne gesehen, wie sich unsere Gene zusammenstreiten - blaue Augen gegen braune, Kleinfüßigkeit gegen Großfüßigkeit, Fußball gegen Klavier.

Haltet doch das Maul

Ach, wir hätten uns die vielen Kränkungen in dem ganzen Prozess gerne erspart. Dass "es einschlagen" würde, wenn wir uns nur entspannten. Dass "es einschlagen" würde, wenn das Adoptivkind dann da wäre. Dass es schade wäre, wenn ich das Wunder des Lebens versäumen würde. Vielleicht "sollte es nicht sein"? Haltet doch das Maul, wollte ich ihnen entgegenschleudern. Die Verletzungen und den Hass auf den eigenen Körper, der einem das Kinderkriegen unterschlägt, hätte ich entbehren können. Das emotionale Gefälle, das entsteht, wenn Mutter Natur so eindeutig unfähige Menschen mit eindeutig ungewollten Kindern segnet, ist hoch. Was einschlug, waren Missgunst, Neid; und die Gewissheit, von Mutter Natur, diesem Trampel, ungerecht behandelt zu werden. Wären nicht der Kinderwunsch so stark und Gespräche mit Adoptiveltern und Adoptierten so positiv gewesen, wir hätten uns abschrecken lassen. Aber wir machten weiter.

Die meisten leiblichen Eltern gehen nun zum Verkehr über; Adoptivwerber treten in die Phase der Inquisition. In aller Kürze: Blut, Harn, Besitz, Einkünfte, Wohnverhältnisse. Präsentation der Psyche: die eigene Kindheit, Fehlgeburten, Nervenzusammenbrüche, Ehekrisen. Wir lernten, unsere Narben herzuzeigen. Ich fand die Inquisition erst beim zweiten Kind schlimm. Die Behörde, die einen prophylaktisch wie einen Schwerverbrecher behandelt hat, hat sich - nach erfolgter Adoption - nicht für das Kind interessiert; erst beim Ansuchen um ein Geschwisterkind (der Verein kontrolliert sehr wohl; er schickt Reports an die Behörde des Herkunftslandes). So oder so - man muss den Kinderführerschein ein zweites Mal machen, auch wenn man das erste Kind nicht gegen die Wand gefahren hat.

Die doppelte Kontrolle bestätigte meinen Verdacht: Nicht nur zum Kindeswohl wird kontrolliert, sondern weil es möglich ist. Was passiert mit den ungeliebten, ungewollten leiblichen Kindern? Was ist mit sexueller Gewalt, mit Vernachlässigung, mit Lieblosigkeit im Rahmen der Leiblichkeit? Welches Amt beschützt die Kinder vor ihren leiblichen Eltern? Dass die Behörden da immer wieder versagen, erfahren wir laufend aus den Medien, und die Dunkelziffer lässt uns ahnen, wie es um die "mitgeborene" Kompetenz der biologischen Elternschaft steht. Auf unserem Heimweg von einem dreitägigen, verpflichtenden Kurs über "Geschwisteradoption" hörten wir vom Fall F., der ja mit seinen "Enkeln" verwandt war und wohl deswegen nicht so genau überprüft wurde. Die gefälschten Briefe von der Tochter mussten reichen.

Als die Papiere in Afrika waren, begann die quälende Wartezeit (ein Jahr beim ersten, vier Jahre beim zweiten Kind). Gleich nachdem das erste Kind da war, ging es los: Gott, ist der süß. Darf ich ihn angreifen? Woher ist der? Und die "richtige" Mutter? Mit der Zeit verlor sich die Sensation, denn unsere Familie ist enttäuschend normal: Fußball, Schule, Skiurlaub, Sommer am Meer. Die Kinder und ihr Umfeld haben sich erstaunlich schnell angepasst. Fast hat man den Eindruck, die Umgebung freue sich über das bunte andere, über die gelungene Integration, über die kleinen "Alabas". Und wenn am Weinfest die Gleichaltrigen ihre Speckgürtel-Volksschul-Fäkalsprache auspacken, um unseren Sohn gegen den blöden Rassisten zu verteidigen, hat das etwas Rührendes.

Dass unsere Kinder sich so gut entwickeln, sei ein großes Glück, hören wir oft. Kann es ohne Glück gesunde, fröhliche Kinder geben? Leibliche Eltern betrachten ihre Kinder gerne als Bestätigung, alles richtig gemacht zu haben. Wir Adoptiveltern erwarten von unseren Kindern nicht, dass sie kleine Abziehbilder von uns werden. Das ist vielleicht der größte Unterschied: Sich in einem Adoptivkind zu erkennen, macht überglücklich, weil es unerwartet ist. Unser Weg ist immer ein beschwerlicher, und man bleibt wachsam. Und vielleicht hat man ja auch einmal etwas richtig gemacht.

Schwanger gewesen zu sein, geboren und gestillt zu haben, hätte mir geholfen, die Welt besser zu begreifen und mit dem weiblichen Körper versöhnlicher zu sein. Mütterliche Hormone hätten vielleicht Linderung verschafft. Aber würden wir leibliche Kinder mehr lieben? Adoptiveltern, die auch leibliche Kinder haben, schwören, dass es keinen Unterschied in der Intensität der Liebe gibt.

Wie fühlen die biologischen Mütter meiner Söhne? Manchmal reden wir über Afrika, mein Sohn und ich. Es sind seltsame Gespräche über seine leibliche Mutter, die für mich so mystisch sind und für meinen Sohn eher lästig; es sind biografische Dehnungsübungen gegen die Unsicherheit, die vielleicht kommen wird. Es gibt die Expertenmeinung, dass Kinder besser in einem Heim im Herkunftsland aufgehoben wären. Wenn meine Kinder nachts ins Bett kommen, wenn sie weinen und fiebrig auf mir kleben, weiß ich, dass das Unfug ist. Ich weiß es, weil ich ihre Mutter bin. In diesen Momenten danke ich inbrünstig all jenen, die sich für Adoption nach Haager Konvention aus diesem Land eingesetzt haben und damit unsere und andere Familien ermöglicht haben.

Die Sorgen werden bleiben: Pubertät, Identitätskrisen, Diskriminierung am Arbeitsplatz, Gewaltbereitschaft der Neonazis. Wir werden weiter unser Bestes tun. Aber im Endeffekt müssen wir - wie alle Eltern - loslassen und positiv denken. Negativ denken ist bei uns sowieso verpönt, denn da ist unser Älterer streng: "Mama, sag das nicht, in dem Wort kommt Neger vor!" (Gertraud Klemm, Album, DER STANDARD, 29./30.11.2014)