Auch ein Gangster (Martin Vischer als Johnny Breitwieser) klappt irgendwann zusammen - dann am besten im schönsten Sakko und mit der richtigen Frau an seiner Seite (Franziska Hackl als seine Braut Anne). Da ist aber in der Verbrecher-Ballade am Schauspielhaus noch lange nicht Schluss.

Foto: Robert Polster

Wien - Der Akt der Umverteilung ist, wenn man ihn selbst in die Hand nimmt, aufwändig und gefährlich. Johann Breitwieser (1891-1919), ein wenig bekannter Wiener Held, half während des Ersten Weltkrieges die Not der Vorstädter zu lindern, indem er mit seiner Bande auf Raubzug ging. Banken waren sein bevorzugtes Zapfgebiet. Dafür bezahlte er mit seinem Leben.

Was ist anständig? Was ist in Zeiten, da der Staat wegbricht und Menschen ums nackte Überleben kämpfen, noch moralisch? Ist jedes Verbrechen schlecht? Die Brecht'sche Frage durchzieht die von Autor Thomas Arzt und Komponist Jherek Bischoff gemeinsam entwickelte Verbrecher-Ballade Johnny Breitwieser von Beginn an. "Der Asphalt macht dich erwachsen", heißt es. Davon können die Innenstadtboulevards und ihre wärmenden Nischen dieser Tage wieder ein Lied singen.

Die Ballade Johnny Breitwieser changiert zwischen Moritat und Wienerlied, erinnert an die Dreigroschenoper und ist in ihrer Beschaffenheit doch etwas ganz Eigenständiges, das auf organische Weise mit dem metallischen Klang des Bühnengeschehens (dazu später) korrespondiert. Kühle Gangsterluft durchzieht die Musik des kalifornischen Komponisten Jherek Bischoff; sie bildet in ihren Rhythmen harte Gehsteigkanten ab und den aus Kanaldeckeln aufsteigenden Dunst der Unterwelt. Diese Musik lotet das Revolutionäre und die Barmherzigkeit des Heldentums aus, live gespielt vom Streichquartett Lux und Schlagzeuger Mathias Koch.

Das bewährte Ensemble des Wiener Schauspielhauses, wo Johnny Breitwieser am Freitag Uraufführung feierte, wusste diese Musik in ihrer szenischen Mitte beherzt aufzufangen - mit mehr oder weniger Sprechgesang, immer aber voller Inbrunst und mit der größten niederschmetternden Aufrichtigkeit, die Sprechtheaterschauspielern beim Singen innewohnen kann.

Gitterstäbe, Glitzervorhang

Die gegenseitige Durchdringung von Erzählung und Musik gibt in der Inszenierung Alexander Charims das Bühnenbild (von Ivan Bazak) vor: Es ist ein riesiges Saiteninstrument, ein auf Rädern montierter Metallrahmen mit vertikal gespannten Saiten, durch die die Schauspieler immer wieder hindurchsteigen. Es markiert Gitterstäbe genauso wie einen glitzernden Showvorhang. Diese Wand erzeugt durch die Bewegung der Schauspieler immer wieder (zum Teil mikrofonverstärkt) jene harten metallischen Klänge vom Leben in Schächten und auf der Flucht.

Charim hinterlegt eine Inszenierung, die sich naturalistischem Sozialkitsch entzieht, die stattdessen die Vehemenz ihrer Behauptungen auf einer abstrakteren Ebene durchspielt, gebildet aus Klang und Tragödie, aus Coolness und wässrigen Augen. Sprich: Das Spiel aus Fleisch und Blut und die Abstraktion durch den Gesang wachsen auf wundersame Weise ineinander. Eine dicke Spur aus Wut und Mut, aus großzügiger Liebe und Traurigkeit zieht Martin Vischer als Johnny Breitwieser durch den fast dreistündigen, durchgehend anrührenden Abend. Der junge Schauspieler (er war in der letzten Saison bereits Princip in Biljana Srbljanovics gleichnamigem Stück) beleuchtet seine Wiener Heldenfigur mit dem Glamour, der märtyrerischen Klassenkämpfern anhaftet.

Franziska Hackl zeigt eine vielschichtige Anne, seine Braut; Thiemo Strutzenberger einen unheimlichen Bruder; Katja Jung eine verhärtete Geliebte; und Florian von Manteuffel formt schwungvoll das Profil der Sieger: der Polizeigewalt. Ein toller Abend, ein kleiner Meteor am Wiener Theaterhimmel. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 1.12.2014)