Auf diesen Moment haben Uhrenliebhaber 25 Jahre lang gewartet: Mitte Oktober enthüllte Patek Philippe in den festlich geschmückten Räumlichkeiten seiner Produktionsstätten im Genfer Stadtteil Plan-les-Ouates die Uhr zum 175. Firmenjubiläum. Begleitet von begeisterten "Ahs" und "Ohs" der 300 geladenen Gäste präsentierten Philippe Stern und sein Sohn Thierry, der amtierende Präsident der Manufaktur, die Grandmaster Chime - einen Zeitmesser, der alle Stückerln spielt.

Ein Eindruck von den Feierlichkeiten zum 175. Geburtstag der Marke im Oktober 2014
Foto: Patek Philippe

Die auf sieben Exemplare limitierte Jubeluhr hat 20 Komplikationen und setzt sich aus insgesamt 1.580 Teilen zusammen. Mehr als 100.000 Arbeitsstunden wurden für deren Entwicklung, Fertigung und Montage aufgewendet, davon 60.000 Stunden für die Einzelteile des Uhrwerks.

Glasige Augen

Komplizierte Uhren, besser: Kunstwerke, dafür ist das Familienunternehmen weltberühmt. Uhrenaficionados bekommen glasige Augen, erwähnt man nur den Namen der Genfer Manufaktur. "Der Begriff Haute Horlogerie reicht nicht aus, um die Produkte von Patek Philippe zu beschreiben", lautet die einhellige Meinung. Sammler legen Millionen für spezielle Modelle auf den Tisch. Die Grandmaster Chime beispielsweise kostet 2,5 Millionen Schweizer Franken (rund 2,3 Millionen Euro).

Superlativ: Von der Uhr zum 175-Jahr-Jubiläum, "Grandmaster Chime", an der insgesamt neun Jahre gearbeitet wurde, wird es nur sieben Stück geben. Sie kostet 2,3 Millionen Euro. Die detaillierte Beschreibung finden Sie hier.
Foto: Patek Philippe

Der legendäre Ruf speist sich aus Präzision und Tradition. Gemäß dem Firmencredo ihrer Gründer baut Patek Philippe nicht nur die besten und schönsten Uhren, sondern auch die kompliziertesten Uhrwerke der Welt, die aus bis zu 1.728 Einzelteilen bestehen. Außerdem war man nie anfällig für Modetorheiten. Ingenieure und Uhrmacher der Manufaktur widmen sich Komplikationen, jenen gleichsam technisch überflüssigen wie faszinierenden Funktionen, die über die Anzeige von Stunden, Minuten und Sekunden hinausgehen, wie etwa ewigen Kalendern, Tourbillons, Chronografen, Zeitzonenanzeigen, astronomischen Indikationen wie Sternzeit, Mondphasen, Sternkarten, und natürlich den Schlagwerkuhren mit Minutenrepetition, Grande und Petite Sonnerie, Westminsterschlag, die als Krönung der komplizierten Uhren gelten.

Solche Komplikationen sind äußerst schwer zu realisieren, was ihre Stückzahl auf natürliche Weise beschränkt. Daran soll sich auch in den nächsten 25 Jahren nichts ändern - das versicherten Vater und Sohn Stern an diesem Abend.

Behutsames Wachstum

Denn die Besitzerfamilie verfolgt einen behutsamen Wachstumskurs. Eine zu hohe Uhrenproduktion würde den Raritätscharakter gefährden. Die Produktion liegt bei 55.000 Uhren pro Jahr. Aber gerade das macht sie so begehrt. Die Fabrik ist jedenfalls bis obenhin ausgelastet, wie man hört. "Den Anspruch, die schönsten und begehrenswertesten Uhren herzustellen, können wir nur erfüllen, wenn wir uns mit Blick auf die Produktionszahlen eine Obergrenze setzen", sagte Thierry Stern unlängst gegenüber der NZZ.

Mittlerweile ist mit Thierry die vierte Generation aus der Familie Stern am Ruder.
Foto: Patek Philippe

Wer sich eine teure Uhr leiste, verlange schließlich Exklusivität - und selbstverständlich Qualität, in jeder Hinsicht: bei der Fertigung der Einzelteile und ihrer Montage, der aufwändigen Dekoration von Uhrwerksteilen auf Vorder- und Rückseite. Bei der Fertigung und Veredelung der Gehäuse aus Gold, Platin oder Edelstahl.

Die Geschichte des Traditionsunternehmens beginnt mit der Begegnung zweier polnischer Exilanten in Genf: Antoni Norbert de Patek und François Czapek. Gemeinsam gründen der Kaufmann und der Uhrmacher am 1. Mai 1839 Patek, Czapek & Cie - Fabricants à Genève. Obwohl von Anfang an erfolgreich, überwerfen sich die Gründer, und Patek hält bald nach einem neuen Partner Ausschau. Diesem begegnet er 1844: Jean Adrien Philippe. Der begabte französische Uhrmacher hat einen Mechanismus zum Aufziehen des Uhrwerks und Stellen der Zeiger ohne separaten Schlüssel erfunden.

Kongeniale Partner

Bald wird deutlich, dass sich mit Patek als gewieftem Geschäftsmann und Philippe als genialem Uhrmacher zwei ideale Partner gefunden haben. Am 1. Januar 1851 wird die gemeinsame Firma Patek, Philippe & Cie aus der Taufe gehoben. Von Patek kommen die Impulse für künstlerische Perfektion, die die Uhren mithilfe aufwändiger kunsthandwerklicher Bearbeitung mit Gravuren, Emaillierungen und kostbaren Edelsteinen in luxuriöse Kunstwerke verwandeln, während Philippe mit seinem uhrmacherischen Ehrgeiz die Technologie dahinter weiterentwickelt und die Entwicklung von Komplikationen vorantreibt.

Künstlerische Perfektion, die Uhren mithilfe aufwändiger kunsthandwerklicher Bearbeitung mit Gravuren, Emaillierungen und kostbaren Edelsteinen in luxuriöse Kunstwerke verwandeln, dafür steht die Marke.
Foto: Patek Philippe

Wer sich davon überzeugen möchte, dem sei ein Besuch des Patek-Philippe-Museums im Genfer Plainpalais-Quartier ans Herz gelegt. Diese Ambitionen werden die Marke auf ihren Weg durch die Geschichte prägen und begleiten. Die Philosophie, die Uhr als eine in sich geschlossene Gesamtheit zu betrachten, wird 2009 durch das Patek-Philippe-Siegel bekräftigt, dessen Reglement als Manufakturverfassung erstmals schriftlich niederlegt, was von jeher für alle Patek-Philippe-Uhren gilt.

Patek und Philippe fertigen Uhren für Europas Adel: Sie kreieren 1868 die allererste Schweizer Armbanduhr für eine ungarische Gräfin, fertigen die erste komplizierte Damenuhr mit Fünfminutenrepetition und die erste Armbanduhr mit Schleppzeigerchronograf, also mit einem zweiten Sekundenzeiger. Selbst Queen Victoria verfällt den Kreationen von Patek Philippe und erwirbt 1851 eine zierliche Anhängeuhr mit Diamantrosen auf blauem Email für sich und für ihren Prinzgemahl Albert eine Taschenuhr mit Chronometerhemmung und Viertelrepetition.

Ausnahme in der Branche

Eine Zäsur bahnt sich mit dem Börsencrash von 1927 an. Die Manufaktur geht beinahe pleite. Als Retter in der Not erweist sich die Zifferblattherstellerfamilie Stern, die eine freundschaftliche Beziehung zu Patek Philippe pflegt: Sie übernimmt das Haus - und leitet es bis heute.Auch das ist eine Ausnahme in der Branche, wurden doch viele Familienunternehmen im Laufe der Zeit von Konzernen wie Richemont, der Swatch Group oder LVMH übernommen.

Mittlerweile ist mit Thierry die vierte Generation aus der Familie Stern am Ruder. Unter ihrer Führung macht sich Patek Philippe daran, wie zuvor bei den Taschenuhren auch bei Armbanduhren zum führenden Hersteller komplizierter Zeitmesser zu werden. Als unabhängige Manufaktur genießt das Unternehmen kreative Freiheit. Noch 1932 wird mit der Ref. 96 ein Uhrenmodell lanciert, das als Prototyp der mittlerweile kultigen Calatrava-Kollektion in die Geschichte eingegangen ist. 1977 übernimmt Philippe Stern den Chefsessel.

Ein aktuelles Modell der Nautilus, die Patek Philippe Nautilus Travel Time Chronograph Referenz 5990/1A
Foto: Patek Philippe

Mit dem Slogan "Eine der teuersten Uhren der Welt ist aus Stahl" hatte er ein Jahr zuvor die sportlich-elegante Nautilus (Design Gerald Génta) auf den Markt gebracht. Dies kann auch als Statement gesehen werden: Denn noch sind die Ausläufer der Quarzkrise, die ab 1970 60.000 der insgesamt 90.000 Beschäftigten in der Schweizer Uhrenindustrie den Job gekostet hat, nicht überstanden. Viele Unternehmen gingen in Konkurs. Diesem Schicksal entgingen nur die Spitzenproduzenten der Schweizer Uhrenindustrie, wie etwa Audemars Piguet, Girard-Perregaux, Jaeger-LeCoultre, Patek Philippe oder Rolex. Sie sahen sich aber gezwungen, Quarzuhrkollektionen auf den Markt zu bringen.

33 Komplikationen

Philippe Stern weiß, dass die klassische mechanische Uhr gegen die präziseren und wesentlich günstigeren Quarzuhren nur dann eine Zukunft haben kann, wenn sie ein Produkt der höchsten Güteklasse - ein Kunstwerk und Sammlerstück - ist. Zum 150-Jahr-Jubiläum 1989 entwickelt die Manufaktur den kompliziertesten tragbaren mechanischen Zeitmesser der Welt: die Calibre 89 mit 33 Komplikationen, die bis heute nicht übertroffen wurde. Philippe Stern baut zudem die handwerklich geprägte Manufaktur in eine industrielle Manufaktur um.

Die heutige Produktionsstätte in Plan-les-Ouates bei Genf wurde 1996 bezogen.
Foto: Patek Philippe

1996 bezieht man die heutige Produktionsstätte in Plan-les-Ouates. Heute ist Patek Philippe mit nahezu 2.000 Mitarbeitern die weltweit wichtigste und größte unabhängige Familienmanufaktur. Thierry Stern obliegt es, die Familientradition weiterzuführen: Zum einen werden die traditionellen Handwerke gepflegt, zum anderen wird in der millionenschweren Forschungsabteilung an neuen Materialien wie Silizium und avantgardistischen Technologien gearbeitet.

Man verzichtet auf Testimonials

2014 präsentierte sich die Marke auf der Baselworld in einem neuen Pavillon und erzielte zudem einen neuen Jahresverkaufsrekord. Das alles wird nicht hinausposaunt. Patek Philippe ist keine Marke, die laut wirbt. Man verzichtet auf Testimonials. Man hat das gar nicht nötig - es sind dutzende Fotos von Celebritys und Staatsoberhäuptern zu finden, die einen Zeitmesser der Genfer Manufaktur an ihrem Handgelenk tragen.

Erst vor wenigen Wochen hyperventilierte der Boulevard, weil Angelina Jolie ihrem Brad eine drei Millionen Dollar teure Platin-Patek aus dem Jahr 1952 schenkte. "Wir arbeiten bereits an der Uhr für unser 200-Jahr-Jubiläum", sagte Thierry Stern an jenem Oktoberabend in Genf. Es ist davon auszugehen, dass es sich wieder um eine hochkomplizierte Uhr handeln wird, die alle Stückerln spielt. (Markus Böhm, Rondo Exklusiv, 12.11.2014)