Die Welt der Geheimdienste ist grimmig: Hanno Settele taucht zum Auftakt der 90-Minuten-Doku-Reihe in ein Netzwerk voller Daten ein. Zu sehen ist "Unter Verdacht – Im Visier der Geheimdienste" am Donnerstag um 20.15 Uhr in ORF 1.

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Wien – Mit einer Reihe von 90-Minuten-Dokus wagt sich der ORF im Hauptabendprogramm von ORF 1 auf neues Terrain. Den Auftakt macht am Donnerstag um 20.15 Uhr "Unter Verdacht – Im Visier der Geheimdienste". Am 8. Jänner folgt mit "Angst – Die Mutter aller Dinge" die nächste Langdoku.

Betreten wird die Welt der Spionage von Hanno Settele. Er trifft ehemalige Agenten vom MI5, BND und der NSA und berichtet über Österreich als Schaltzentrale von Geheimdiensten.

STANDARD: Nach der Recherche zur Doku: Gehen Sie mit Ihren Daten sensibler um? Etwa auf Facebook und Twitter?

Settele: Nein, ich war nie auf Facebook und werde auch nie auf Facebook sein. Das war mir von Anfang an suspekt. Ich sehe nicht ein, warum ich ein Foto von meinem Sohn posten soll oder von mir selbst? Ich mag es nicht, wenn Leute mit mir offensiv Geld verdienen wollen. Wenn, dann möchte ich auch etwas davon haben. Das Kapital bei Facebook sind die Menschen, die sich dort anmelden. Auf Twitter sage ich, was ich denke, dazu stehe ich auch. Im Zuge der Dokumentation ist mir klar geworden, dass man sich gar nicht ausklinken kann. Es beginnt mit deinem Gehalt, das du elektronisch überwiesen bekommst, und endet bei einem Buch, das du im Internet kaufst. Es ist einfach nicht möglich.

STANDARD: Verwenden Sie jetzt Verschlüsselungstechniken?

Settele: Ich möchte E-Mails verschlüsseln. Wenn du heute eine E-Mail von A nach B schickst, kannst du es wie die Luther'schen Thesen genauso gut an die Türe nageln. Das ist für jeden lesbar. Wie eine Postkarte. Ich muss aber nicht alles, was ich schreibe, verschlüsseln.

STANDARD: Beim ORF dürfen beispielsweise E-Mails nicht verschlüsselt werden. Wie schwierig war die Kontaktaufnahme mit den Informanten?

Settele: Relativ schwierig, weil die Anfragen aus der ganzen Welt bekommen. Annie Machon, Agentin des britischen Geheimdienstes MI5, ist nach ihrem Ausstieg durch ganz Europa gejagt worden. Viele legen ein sehr defensives Kommunikationsverhalten an den Tag und verlangen zum Teil zwei, drei Referenzen, damit sie überhaupt mit dir Kontakt aufnehmen. Alle Whistleblower ändern nach einem gewissen Rhythmus ihre Kontaktmöglichkeiten. Ich weiß nicht, ob ich sie heute noch erreichen würde. Aber: Von Annie Machon oder Thomas Drake (Ex-NSA-Mitarbeiter, Anm.) habe ich keine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Die sind nicht im digitalen Raum verfügbar wie ein Billa-Prospekt.

Hanno Settele im Gespräch mit der ehemaligen MI5-Agentin Annie Machon.
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STANDARD: War es den ehemaligen Geheimdienstagenten ein Bedürfnis auszupacken, um die Welt ein Stück transparenter zu machen?

Settele: Ganz sicher. Machon ist ja ausgestiegen, als sie mitbekommen hat, dass ihr Geheimdienst eine Gruppe bezahlt, um Muammar al-Gaddafi umzubringen. Für das wollte sie sich nicht anheuern lassen, sondern um Böses und Terror zu verhindern und nicht, um solche Sachen selbst zu begehen. Ihr damaliger Lebensgefährte, auch ein MI5-Agent, hatte es damals, das war 1997, minutiös vorbereitet, wie sie an die Presse gehen und wo sie dann sein werden, um nicht ausgeliefert zu werden. Am gleichen Tag ist Lady Diana gestorben. Das heißt, die Weltpresse hat 20 Seiten über Lady Dianas Tod berichtet und hinten noch gebracht, dass es da Whistleblower gibt. Nichtsdestotrotz hat sie der Geheimdienst um die halbe Welt gejagt. Zurückgezogen hatten sie sich in einem kleinen Dorf in Frankreich. Ohne Telefon und Internet. Sie wurden selbst paranoid. Wenn sie der Bäcker schräg angeschaut hat, sind sie schon in den nächsten Ort gezogen.

STANDARD: Und trotzdem packt sie aus?

Settele: Sie redet auch heute nicht über jene Dinge, die in ihrem Arbeitsbereich gerechtfertigt waren. Dafür könnte sie strafrechtlich belangt werden. Sie redet nur über Dinge, die illegal waren. Die über das Pouvoir des Geheimdienstes hinausgingen, wenn er selber zum Täter wird. Sie verteufelt nicht generell Geheimdienste, sondern definiert nur für sich eine Linie. Bei der NSA gibt es die nicht mehr. Da verschwimmen Täter und Opfer.

STANDARD: Sie schildert, dass das Eindringen in die Privatsphäre anderer Leute zuerst eigenartig war, sich aber nach einer gewissen Zeit aber eine Art Normalität einstellt. War das bei den meisten so?

Settele: Das erzählen sie, ja. Privatsphäre gibt es nicht. Nach einer gewissen Zeit war für sie der Reiz aber vorbei. Nach dem vierten Mal abhören, wie sich zwei Menschen näherkommen, ist das fünfte Mal auch nicht mehr lustig. Das können sie mit expliziten Abbildungen im Internet vergleichen. Bemerkenswert ist nur, wie sie auf die Dauer nichts mehr dabei finden. Das ist ihr Job. Dann wird halt registriert, dass jemand in einer Apotheke ein Mittel gegen ein Prostataleiden kauft. Das wird zur Normalität. Die Gefahr ist, den richtigen Pfad zu verlassen.

STANDARD: Und nicht nur Terroristen zu jagen?

Settele: Ja, Machon ist ein sehr gutes Beispiel für jemanden, der nicht Fundamentalkritik betreibt und sagt, das ist alles Mist, sondern für sich eine Grenze definiert hat. Bei allem, was darüber hinausgeht, muss man Geheimdienste in die Schranken weisen. Was im digitalen Zeitalter immer schwieriger wird.

STANDARD: Weil alles abgefischt wird?

Settele: Alles. Von Leuten, die sich nicht gut auskennen, hört man oft: Ich habe eh nichts zu verbergen. Und nicht nur Whistleblower sagen: Passt auf, hier spielt sich der Wahnsinn ab. Es geht um eine schleichende Volldurchleuchtung des Menschen, die am Ende in eine Steuerung mündet. Jeder weiß, dass er Krimivorschläge bekommt, wenn er bei Amazon einmal Krimis sucht. Das ist nicht einmal die Spitze des Eisbergs, sondern maximal eine Schneeflocke. Am Ende bestimmten diese Daten mit, ob du einen Kredit bekommst, oder einen Arbeitsplatz. Und hier hat die Doku ihre Berechtigung. Wir belehren niemanden oder wollen keine Angst schüren, sondern es einfach offenlegen.

STANDARD: Aufklären als Leitlinie?

Settele: Es ist komplex. Gehen Sie auf die Straße und fragen Leute, was Echelon ist. Neun von zehn werden es nicht wissen. Vor ein paar Monaten hätte ich es auch nicht gewusst. Mit der Dokumentation wollen wir das bewusstmachen. Beachtet, welche digitale Datenspur ihr hinterlässt. Wie viele Autos haben GPS? Vermischen Sie das mit Handys, ist ein lückenloses Bewegungsprofil möglich. Das passiert ja schon.

Echelon-Abhörstation bei Bad Aibling in Deutschland.
Foto: ORF

STANDARD: Beinahe jeder verwendet mehrere Vorteilscards, die Schritte und Einkäufe dokumentieren.

Settele: Ich gebe gern bekannt, dass ich Quanto-Weichspüler kaufe, das ist mir egal. Wird das mit 30 weiteren Datensätzen verbunden, dann gibt es ein Profil, das ich nicht von mir hergeben möchte. Facebook-Chef Zuckerberg sagt, dass die Zeit der Privatsphäre vorbei ist. Das zeigt mir, dass der Herr zwar ein genialer Geschäftsmann ist, dass ihm aber in gewissen Bereichen die Lektüre des einen oder anderen Buches noch guttäte. Wenn jemand sagt, das Private ist vorbei, hat er elementarste Bedürfnisse der Menschen nicht verstanden. Grenzen setzen, das macht der Mensch seit Jahrtausenden. Zuckerberg wird das nicht einfach wegbeamen, es zeigt aber, wie weit er – außerhalb von Bits und Bytes – entwickelt ist.

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Mark Zuckerberg, ein Totengräber der Privatsphäre?
Foto: Reuters/Abidi

STANDARD: Hat sich bei Ihnen eine Art "Best of Böse"-Liste herauskristallisiert?

Settele: Das nicht, aber dramatisch ist die Verknüpfung der Smartphonehersteller mit jenen, die Daten auswerten. Hier fallen einem im ersten Moment Apple und Google ein. Experten sagen, dass es eigentlich einfach wäre, zumindest 95 Prozent des gesamten Smartphone-Traffics vor Geheimdiensten fernzuhalten. Derzeit hängen sie einfach das Kabel hin und sagen: jawohl, danke. Mit einer Primitivverschlüsselung könnte man schon irrsinnig viel gewinnen. Das ist aber nicht deren Interesse. Warum kosten Google Smartphones nur die Hälfte von anderen, vergleichbaren Produkten? Weil Google damit Daten sammelt. Die würden die Hardware vielleicht auch verschenken, es geht nur darum, dass du das Telefon mit hast und ihnen permanent Daten schickst.

STANDARD: Microsoft, Google und Facebook argumentieren, dass sie Opfer der NSA wurden.

Settele: Zumindest bei Google ist das nicht glaubwürdig. Jene, die die Hardware selbst herstellen und Handys bauen, könnten leicht Abhilfe schaffen. Das sagen Experten. Natürlich ist die US-Gesetzgebung so, dass sie weltweit gilt. Ist es ein amerikanischer Provider, verlangt die NSA, dass der gesamten Traffic mitgelesen wird. Egal um welches Land es sich handelt. Hier sind die europäischen Staaten nachlässig. Nur weil eine US-Firma in Österreich tätig ist, kann es nicht sein, dass die hier ihr Hoheitsgebiet auspacken. Dann soll sie es in die Botschaft geben, dort können sie machen, was sie wollen. Ich glaube: Wenn du in Österreich etwas machst, solltest du österreichischen Gesetzen unterliegen. Außer in deiner Botschaft. Dort kannst du gern aufführen, was du willst.

STANDARD: Ein Teil der Doku beschäftigt sich mit Österreich. Sehen Sie das Land auch als Dreh- und Angelpunkt von Geheimdienstaktivitäten, wie das oft behauptet wird?

Settele: Für Geheimdienste gibt es hier mehrere Vorteile. Erstens ist die Gesetzeslage so schwammig, dass man mehr oder weniger alles machen kann, solange es nicht gegen Österreich gerichtet ist. Aber: Was ist gegen Österreich gerichtet und was nicht? Das ist eine lasche Wo-kein-Kläger-da-kein-Richter-Haltung. Zweitens ist Wien eine der sichersten Großstädte der Welt und Sitz vieler internationaler Organisationen. OPEC, Uno oder Atomenergiebehörde. Wien ist ein traditioneller Treffpunkt. Bevor der Eiserne Vorhang fiel, war Wien die östlichste Hauptstadt der sogenannt freien Welt.

Neun von zehn denken, was will der Geheimdienst von mir? Der ist aber nicht primär das Problem, sondern die Agglomeration von Daten. Am Schluss möchtest du zu einer Krankenversicherung, und die sagen: Jössas, Sie kaufen in der Trafik jeden Tag eine Schachtel Marlboro.

STANDARD: Menschen geben diese Daten freiwillig her.

Settele: Runtastic und Weight Watchers und wie die alle heißen. Wer hätte vor zehn Jahren freiwillig jeden Tag sein Gewicht veröffentlicht? Und das machst du, wenn du es eingibst. Im vorletzten Satz einer 70-seitigen Erklärung steht, dass sie sich das Recht vorbehalten, deine Daten auszuwerten etc. "Candy Crush" ist eines der erfolgreichsten Handy-Spiele der letzten Jahre. Welche Rechte wollen die von Ihnen? Die Kontakte. Wozu brauchen die das, wenn es bei dem Spiel um gelbe Ballone geht? Weiter geht es mit den Fotos, den Telefonnummern. Alles wird ausgelesen. Um gelbe Ballons platzen zu lassen, genehmigst du das auch noch.

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Beliebt: Candy Crush.
Foto: Reuters/Allegri

STANDARD: Was hat Sie am meisten überrascht?

Settele: Am meisten überrascht hat mich, wie umfassend alles ist. Es ist nicht so, dass ein Böser im Eck sitzt und das Mikrofon hinhält. Das machen wir schon selbst. Ein Beispiel sind Computer, die du mit Gesten einschalten kannst. Das heißt, dass die Kamera immer an ist, sonst könnte sie die Geste nicht sehen. Und wir machen das freiwillig. Als Geheimdienst muss ich nicht einmal hacken, sondern nur das Kabel hinhalten.

STANDARD: Nach mehreren Stationen im ORF etwa als USA-Korrespondent oder Präsentator der "Wahlfahrt": Sind sie mit dem 90-minütigen Dokuformat jetzt in der "Königsdisziplin" angekommen?

Settele: Es ist ein mutiger Versuch des gesamten ORF, das ins Programm zu heben. Ob es Zuseherakzeptanz findet, wissen wir nicht. Königsdisziplin ist es nicht, aber ich mache gern mit. Für mich ist das etwas Neues. Übertragen sie die Herrenabfahrt in Kitzbühel, dann weiß ich, dass 1,2 Millionen oder mehr zuschauen, das kann ich mit dem Zirkel abstechen. Aber bei einer 90-minütigen Doku auf ORF 1 zum Thema Überwachung weiß ich es einfach nicht.

Mit dem Movember ist auch Setteles Schnauzer verschwunden. Die Verantwortlichen der ORF-Langdoku-Reihe: V. li.: Lisa Totzauer (ORF-1-Info-Verantwortliche), Produzent Alfred Schwarzenberger (Angst), ORF-Fernsehdirektorin Kathrin Zechner, Hanno Settele und Produzent Lukas Sturm ("Unter Verdacht").
Foto: ORF/Roman Zach-Kiesling

STANDARD: Das Format ist als Reihe geplant, kann aber aufgrund des Quotendrucks schnell den Bach runtergehen.

Settele: Das hoffe ich nicht. Ein Beispiel ist die hochgelobte, mit Preisen überhäufte "Heute"-Show im ZDF. Die hat eineinhalb Jahre ein Schattendasein gefristet. Mit schlechten Einschaltquoten. Die ZDF-Geschäftsführung hat Durchhaltevermögen bewiesen. Man muss hin und wieder einen längeren Atem haben. (Oliver Mark, DER STANDARD, 2.12.2014; Langfassung)