"Europa war freier und zeigte Appetit auf frische Kost. Meine Beglaubigung habe ich von Europäern bekommen", so Robert Rauschenberg über die Rolle von Sammlern wie Peter Ludwig. Von dessen Pop-Infizierung profitierten auch Jasper Johns (li., "Target", 1974) und ...

Foto: Rheinisches Bildarchiv/Museum Ludwig/Britta Schlier

Roy Lichtenstein ("Takka Takka", 1962).

Foto: Rheinisches Bildarchiv

Andy Warhols Orange Car Crash (1963) war für die Kustoden im Museum früher einmal "ein Bild unter vielen". Susanne Neuburger, Sammlungsleiterin im Wiener Mumok, muss schmunzeln. Inzwischen schwinge aber immer mit, dass "man 50 oder vielleicht 120 Millionen Dollar durch die Gegend schiebt", beschreibt sie, die bereits seit 1983 mit der Kollektion des Aachener Kunstsammlers und Schokoladefabrikanten Peter Ludwig beschäftigt ist, das komische Gefühl im Umgang mit dem Gemälde. Befeuert wird solch zartes Unbehagen von Auktionen wie jener vor drei Wochen in New York: Da sauste das Hämmerchen für Triple Elvis bei 73 Mio. Dollar aufs Christie's-Pult.

Und erst unlängst gingen diese potenziellen Leinwand-Millionen wieder auf Reisen: Ludwig goes Pop heißt die große Ausstellung im Kölner Museum Ludwig. Eigentlich ist das Haus neben dem Dom - dank der Ludwig-Schenkung - eine der größten Sammlungen von Pop-Art jenseits der USA, aber für den zehnteiligen Mick Jagger (1975) ist man dort "den Wiener Kollegen auf den Knien dankbar".

Siebdrucke, bei denen Kurator Stephan Diederich ins Schwärmen gerät: Da zeige sich die Könnerschaft des Porträtisten, Lebendigkeit und Tiefe. Das sei schon was anderes als die Bilder, die man zurückbekam, wenn man 2000 Dollar und vier Passfotos an Warhol schickte. Nicht ganz so prominent platziert sind daher die vier Porträts von Peter Ludwig (1925- 1996); dabei geht es in der Schau - indirekt - um ihn, den "kunstbesessenen" Sammler.

Die Stars, die seit 1. Oktober bereits mehr als 56.000 Besucher angelockt haben, sind freilich die Werke von Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Jasper Johns und Robert Rauschenberg, den heute wohl kommerziell erfolgreichsten Proponenten der damals neuen, Alltag, Konsum und Warenwelt umarmenden Strömung - einer Gegenbewegung zur Abstraktion.

Aber Ludwig spielte, schenkt man den Worten Rauschenbergs Glauben, "eine historische Rolle im Leben jedes zeitgenössischen amerikanischen Künstlers". 1998 erinnert er sich: "Die Europäer nahmen uns viel früher ernst." Ludwigs "Begeisterung hat uns Amerikanern sehr geholfen."

Ein Goldgräber der Pop-Art war Peter Ludwig allerdings nicht. Der Industrielle, der - wie seine Frau Irene - Kunstgeschichte studiert und bis dahin hauptsächlich alte Kunst und jene der Klassischen Moderne erworben hatte, vertraute eher der Expertise der Galeristen: "Ich will sehen, was Sie kaufen", forderte er Rudolf Zwirner, seinen Geschmacksgaranten, auf. Aber er sammelte die Jungen rasant: Noch kurz zuvor hatte er Pop-Art abgeurteilt, aber 1968 stieg er - sicher angestachelt durch die aufsehenerregende Präsentation des jungen Sammlers Wolfgang Hahn - ein. "Wenn man sich einmal Pop 'eingefangen' hatte, konnte man kein Schild mehr betrachten wie zuvor", beschrieb Warhol einmal den Sog von Pop.

Peter Ludwig kaufte jeden Tag. Und so gingen bereits 1969 die ersten 100 Leihgaben an das Wallraf-Richartz-Museum, präsentiert in der Ausstellung Kunst der sechziger Jahre. "Pfadfinder Ludwig" lobte ihn die konservative Wochenzeitung Christ und Welt für die eingeschlagenen Wege zur neuen Kunst. Und Ludwig, Typus eines neuen unternehmerischen, aber niemals spekulativen Sammlers, erkannte rasch die kultur- und wirtschaftspolitische Dimension des Sammelns.

Heute sind die Kunstschätze des Ehepaares auf neunzehn Museen in fünf Ländern verteilt. Stark verkürzt: In Köln führte diese Großzügigkeit letztlich zu Gründung und Bau des Museum Ludwig, in Wien zum Museum moderner Kunst im Palais Liechtenstein. Der Wiener Bestand umfasst heute 446 Werke. Als 1977 die ersten Leihgaben kamen, sei Wien eine "Wüste ohne Perspektive gewesen", so Neuburger. "Ohne die Ludwigs wäre in Wien nichts passiert."

Das Kategorisieren der Kollektion überließen diese zwar den Museen, beim "missionarischen Sendungsbewusstsein" (Diederich) ließ man sich jedoch nicht reinreden. Es war ein Auskosten von Macht, verbunden mit ökonomischen Strategien, denn die Expansion betraf stets Länder, in denen Geschäftsbeziehungen intensiviert wurden. Umstände, die Kritik auf sich zogen. Zu den vielen Facetten, die der Katalog bietet, hätte diese Perspektive dazugehört - ganz ohne dabei posthum das Mäzenatentum zu schmälern.

Interessant am Sammlerpaar ist etwa auch der Umstand, dass 99 Prozent der Werke nie bei ihnen zu Hause hingen. Die Aachener Villa: ein eklektizistisches Stil-Potpourri, mit Heiligenfiguren neben dem Kamin und Lichtenstein-Stillleben über dem Kommödchen. Die Teilhabe des Paares sah anders aus. Man hatte zwei Sätze Karteikarten, die handschriftlich mit Fakten zu den einzelnen Schätzen gefüllt wurden. Auch das ist Leidenschaft.

Die Zeugnisse davon sind ab 13. Februar im Mumok zu sehen. (Anne Katrin Feßler, Spezial, DER STANDARD, 6./7./8.12.2014)