Bücher haben ihre Schicksale - und Autoren offenkundig ihre Zeit. Die Hoch-Zeit Franz Tumlers, des 1912 in Südtirol geborenen und im Jahr darauf nach Linz verpflanzten Autors, war das Jahrzwölft zwischen 1953 und 1965. Da erschuf sich der vormalige Nationalsozialist neu: als Modernist, der in der Raffinesse seiner Mittel und Erzähltechniken der sprachlich wie formal avancierten Trilogie Tauben im Gras, Das Treibhaus und Der Tod in Rom des Franz-Nabl-Preisträgers Wolfgang Koeppen an die Seite zu stellen ist. Das beweisen Volterra, Der Mantel sowie die Romane Nachprüfung eines Abschieds, Aufschreibung aus Trient und Der Schritt hinüber.

Seit den Fünfzigerjahren war Tumler ganz in Westberlin ansässig und widmete sich intensiv der Stadt und ihren beiden Hälften. Was unterschiedliche, darunter fünf bis dato ungedruckte Texte aus den Jahren 1946 bis 1991 belegen, die Toni Bernhart ausgewählt und in Hier in Berlin, wo ich wohne chronologisch arrangiert hat. Fast vier Jahrzehnte wohnte Tumler am oberen Ende des Kurfürstendamms, dort, wo Charlottenburg in Halensee übergeht.

Diese Stadtprosa ist Lebens-, Zeit- und Literaturhistorie in einem. Der Auftaktaufsatz von 1946, erst 1952 veröffentlicht, ist raunend formulierte Selbstexkulpation und noch zeittypisch apolitisch. Berlin. Geist und Gesicht, 1953 eine Einzelpublikation, signalisiert dann den Übergang zu surreal verfeinerter Wahrnehmung und subtiler Weltwortnachbildung: aus dem Fenster frühmorgens, auf Spaziergängen, auf der Fahrt durch die DDR, in den Straßen seiner Nachbarschaft, beim Dutschke-Attentat. Hinzu kommen Radio-, Zeitungs- und andere Gelegenheitstexte.

Landschaften und Erzählungen war 1974 Franz Tumlers letzte größere Veröffentlichung, zugleich sein letzter Prosaband. Im Jahr zuvor hatte er einen Schlaganfall erlitten und schrieb bis zu seinem Tod 1998 nur noch Lyrik. Bereits zu seinem 70. Geburtstag wurde er gewürdigt als, wie die linksliberale Frankfurter Rundschau formulierte, zu Lebzeiten Verschollener. Einen kleinen Einblick in sein poetisches Werk ermöglichen neun am Ende abgedruckten Gedichte.

In seinem zu knappen Nachwort irritiert der aus Meran stammende und in Berlin lebende Herausgeber, ein Literaturwissenschafter, Theater- und Hörspielautor, mit der Mitteilung, die Auswahl an Tumlers Berlin-Texten sei viel umfangreicher und ergäbe vollständig ediert einen mehr als doppelt so umfangreichen Band. Doch wie Franz Tumler in Berlin lebte, dass er offenkundig nicht nur mit Gottfried Benn verkehrte - und der persönliche Einfluss Benns war ja ein kurzer, starb dieser doch 1956 -, sondern als Mitglied der Akademie der Künste mit vielen anderen Umgang hatte, wie er mit dem Wandel Berlins umging, von der Frontstadt über die idyllische Aussteigerkapitale zur wiedervereinigten Stadt und Hauptstadt, das bleibt im Unklaren. (Alexander Kluy, Album, DER STANDARD, 6./7./8.12.2014)