Beate Meinl-Reisinger setzt auf Bürgerbeteiligung und will Anrainer stärker einbeziehen. Für die Neos wird sie bei der Wien-Wahl als Spitzenkandidatin antreten und liebäugelt mit Grünen-Themen.

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STANDARD: Parteiintern gelten Sie als Rampensau. Wieso eigentlich?

Meinl-Reisinger: Ich habe keine Scheu, vor Leuten zu reden. Vielleicht liegt es daran, dass ich Schauspielerin werden wollte.

STANDARD: Ein politischer Mitbewerber hat kürzlich über die Neos gesagt: "Am Anfang neu und locker, mittlerweile bei jeder kritischen Frage beleidigt und angebissen."

Meinl-Reisinger: Das hat David Ellensohn (grüner Klubobmann in Wien, Anm.) getwittert. Ich habe es anders wahrgenommen: Die Grünen waren wahnsinnig angebissen, weil ich kritisiert habe, dass sie beim Wahlrecht umgefallen sind. Ich habe ihn auf eine Neos-Party eingeladen, damit er schauen kann, ob wir noch locker sind.

STANDARD: Warum kritisieren Sie bei der Wahlrechtsreform die Wiener Grünen scharf? Diese wollen im Gegensatz zur SPÖ etwas verändern.

Meinl-Reisinger: Die Grünen haben 2010 einen Notariatsakt für ein faires Verhältniswahlrecht unterzeichnet. Sie können jetzt nicht zugunsten des Machterhalts ihre Prinzipien über Bord werfen. Bei der Diskussion im Parlament über den Untersuchungsausschuss hat die grüne Klubobfrau Eva Glawischnig moniert, dass es längst Zeit gewesen wäre, weil die damaligen Klubobleute das Minderheitenrecht mit ihrer Unterschrift besiegelt hätten. Solche Pakte seien einzuhalten. Da denk ich mir, in Wien gibt es auch einen Pakt.

STANDARD: Ein Verrat an den Grün-Wählern?

Meinl-Reisinger: Sie haben ihre Grundprinzipien verraten. Die Grünen waren immer das demokratische Gewissen dieser Stadt.

STANDARD: Sie wollen bei der Wien-Wahl im nächsten Jahr zweistellig werden. Ist das Ziel noch aufrecht?

Meinl-Reisinger: Das ist nicht mehr aktuell. Ich gebe zu, das war in der Zeit nach der Euphorie bei der Nationalratswahl. Das Ziel ist, über Vorarlberg zu liegen. Dort lagen wir knapp unter sieben Prozent.

STANDARD: Waren Sie zu optimistisch?

Meinl-Reisinger: Ja, es gab einen Hype. Ich habe aber immer Demut eingemahnt. Erst einmal gilt: Sauber arbeiten, denn ich denke immer in Wellen.

STANDARD: Und wo stehen die Neos jetzt?

Meinl-Reisinger: Schauen wir einmal. Aber es kommt mir so vor, als ob es wieder nach oben geht.

STANDARD: Ist eine Regierungsbeteiligung in Wien nach wie vor Ihr Wahlziel?

Meinl-Reisinger: Wir haben Neos nicht nur gegründet, um eine Oppositionspartei zu sein. Wenn man gestalten will, darf man auch keine Angst haben zu regieren. Andererseits: Seit die Grünen regieren, ist das abhandengekommen, was sie früher hervorragend gemacht haben, nämlich beinharte Oppositionspartei zu sein. Das fehlt in Wien.

STANDARD: Sie setzen auf Bildung, Partizipation und Transparenz. Genau dasselbe könnte jemand von den Grünen sagen. Wo grenzen Sie sich ab?

Meinl-Reisinger: Bei Transparenz und Bürgerbeteiligung haben die Grünen viel vorgelegt. Was haben sie verwirklicht? Es gibt kein Transparenzgesetz. Bei der Mariahilfer Straße wurde Bürgerbeteiligung erst als Legitimation am Ende eines Prozesses eingesetzt.

STANDARD: Gibt es auch Themen, wo Bürgerbeteiligung kontraproduktiv ist?

Meinl-Reisinger: Wenn es um Minderheiten geht, ist es ein schützenswerter Bereich. Man kann nicht die Mehrheit über eine Minderheit abstimmen lassen.

STANDARD: Wie sinnvoll ist es dann, in der Frage des Drogenzentrums am Alsergrund die Bürger einzubeziehen? Wäre das nicht so ein Fall, wo es eine Minderheit zu schützen gilt?

Meinl-Reisinger: Nein, das glaube ich nicht. Es geht ja dort um den Standort und nicht um die Frage, ob es so ein Zentrum geben soll.

STANDARD: Aber es geht um kranke Menschen. Und Sie stellen sich auf die Seite der Anrainer, die die Drogenkranken nicht dort haben wollen.

Meinl-Reisinger: Anrainer müssen von Anfang an eingebunden werden. Angeblich wurden mehrere Standorte evaluiert. Niemand weiß, wieso der Standort der beste ist. Es sind Ängste da.

STANDARD: Aber wo in Wien gibt es einen Platz, wo Anrainer nicht dagegen sein werden? FP-Klubobmann Gudenus hat vorgeschlagen, das Zentrum in den Wienerwald zu verlegen.

Meinl-Reisinger: Raus aus der Stadt finde ich unmöglich. Ich weiß nicht, wo es einen besseren Ort gäbe. Vielleicht beim AKH? Aber ich glaube daran, dass man die Bürger ins Boot holen kann.

STANDARD: Sie setzen auch bei der Programmgestaltung auf Bürgerbeteiligung. Beim Bundesparteitag ist das ziemlich in die Hose gegangen – Stichwort Cannabis.

Meinl-Reisinger: Oder es ist ein Beispiel für gelebte Beteiligung. Es gibt bei uns keine Steuerung, dass wir Anträge nicht zulassen.

STANDARD: Die Neos haben ein Frauenproblem: Sprechen Sie bei der Kandidatensuche für die Wien-Wahl im Speziellen Frauen an?

Meinl-Reisinger: Bei der Suche nach Bezirkskoordinatoren habe ich gezielt Frauen gesucht – positive Diskriminierung quasi.

STANDARD: Ist es gelungen, Frauen zu finden?

Meinl-Reisinger: Nein, wir haben kein Verhältnis 50 zu 50. Das liegt auch an den Frauen.

STANDARD: Soll es eine Quote geben?

Meinl-Reisinger: Zuerst sollen gleich viele Frauen von sich aus mitarbeiten wollen.

STANDARD: Bei Gemeindebauten wollen Sie, dass Besserverdiener mehr zahlen. Wie stellen Sie sich das vor?

Meinl-Reisinger: Ich finde Durchmischung gut, weil sie nicht zu einem Ghetto führt. Aber das ist eine Frage der Gerechtigkeit: Wenn Leute mehr verdienen, können sie auch mehr zahlen.

STANDARD: Wie der Abgeordnete Peter Pilz.

Meinl-Reisinger: Ja, der könnte durchaus mehr zahlen. (Marie-Theres Egyed, Rosa Winkler-Hermaden, DER STANDARD, 16.12.2014)