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An manch stillem Örtchen wird bereits Urin gesammelt, um ihn dann in einer Testanlage in Dünger umzuwandeln. 1000 Liter werden so zu zwei Kilogramm Phosphordünger.

Foto: Picturedesk / Alexander Bernhard

Es gibt mit Sicherheit nur wenige Menschen, die den Wert ihrer Ausscheidungen zu schätzen wissen. Besonders Urin ist ein wahrer Quell an Mineralstoffen: Calcium, Magnesium und vor allem Phosphor finden sich darin. Der Mineralstoff ist lebensnotwendig für Pflanzen, Tiere und Menschen: Unter anderem stabilisiert er die DNA und spielt eine Rolle im Energiehaushalt. Weltweit streuen Landwirte denn auch tonnenweise Phosphordünger auf ihre Felder - nur so lässt sich ausreichend Nahrung produzieren. Doch seit Jahren mehren sich die Stimmen derer, die davor warnen, dass die Phosphorreserven schwinden.

Die Folgen wären fatal. Phosphorgestein bildete sich im Lauf von Jahrmillionen durch Ablagerungs- und Verwitterungsprozesse - weder lässt es sich künstlich herstellen, noch in Dünger ersetzen. "Erdöl kann durch andere Energiequellen ersetzt werden. Zu Phosphor gibt es keine Alternative", sagt Inga Krämer vom kürzlich gegründeten Netzwerk WissenschaftsCampus Phosphorforschung in Rostock.

Das Schweizer Wasserforschungsinstitut Eawag beschäftigt sich schon seit mehreren Jahren mit der Rückgewinnung des wertvollen Stoffes aus Urin. "Die Nährstoffe, die wir über das Essen zu uns nehmen, scheiden wir ja zum Teil wieder aus. Phosphat etwa liegt im Urin hochkonzentriert vor", sagt Bastian Etter, Koordinator des Projekts VUNA (Zulu für Ernte) in Durban, Südafrika.

Es fängt in der Toilette an

Dort fängt das Recycling direkt beim Toilettengang an. Vor zehn Jahren installierte die Stadtverwaltung in der Region um Durban rund 90.000 Trockentoiletten, in denen Urin und Kot getrennt gesammelt werden. Stadtangestellte sammeln den Urin ein und verarbeiten ihn in einer Testanlage zu Dünger. Aus 1000 Liter Urin lassen sich auf diese Weise rund zwei Kilogramm Phosphordünger gewinnen. Seit 2013 wird das Projekt mit 700 beteiligten Familien in größerem Maßstab erprobt.

"Industrialisierte Volkswirtschaften, auch Österreich, nutzen Phosphor ineffizient, viel Phosphor geht ungenutzt verloren", sagt Herbert Rechberger vom Forschungsbereich Abfallwirtschaft und Ressourcenmanagement der TU Wien, "die EU hat Phosphor aber unlängst in die Liste der kritischen Rohstoffe aufgenommen. Damit ist klar, dass wir die Phosphornutzung mittelfristig optimieren sollten." Auch in der Schweiz und in Deutschland arbeiten die Umweltministerien an einer Recyclingverordnung: Phosphor soll in Zukunft aus Abfall und Klärschlamm zurückgewonnen werden.

Ein Muss für Europas Landwirtschaft, die auf den Import von Phosphor angewiesen ist: Zwei Drittel der bekannten Rohphosphatreserven lagern in Marokko und der Westsahara. Auch China und die USA haben nennenswerte Vorkommen, aber auch einen hohen Eigenbedarf. Somit kontrollieren eine Handvoll Länder den Zugang zu einer Ressource, die für die Nahrungsmittelsicherheit notwendig ist.

Rasante Preissteigerungen

Was das bedeutet, haben Bauern in den vergangenen Jahren schon zu spüren bekommen: "Kurzzeitig gab es Preissteigerungen von bis zu 800 Prozent", sagt Krämer. Ein Rückgang der Nachfrage ist bei weiter wachsender Weltbevölkerung kaum zu erwarten. Im Gegenteil: Die landwirtschaftliche Produktion muss angekurbelt werden - ohne Phosphordünger gelingt das nicht.

Laut Krämer rechnen die meisten Wissenschafter schon in zwanzig Jahren mit dem sogenannten "Peak Phosphor", also dem Zeitpunkt, an dem die maximale globale Phosphorproduktionsrate erreicht wäre. Von da würde die Rate sinken und günstiger Phosphatdünger der Vergangenheit angehören.

Wissenschafter der USGS Behörde (United States Geological Survey) kommen zum Ergebnis, dass die Vorräte noch etwa 350 Jahre reichen. Exakte Berechnungen sind schwierig, denn Faktoren wie Nachfrage und Angebot, aber auch technische Entwicklungen und Politik müssen berücksichtigt werden. Sicher ist nur: Rohphosphat ist eine endliche Ressource.

Nicht nur aus wirtschaftlicher, auch aus ökologischer Sicht wäre Phosphorrecycling sinnvoll: Zwar ist der Verbrauch an Phosphordünger in Europa in den vergangenen Jahren zurückgegangen - auch weil die Äcker vielerorts überdüngt waren -, in vielen anderen Ländern wird der Dünger aber verschwenderisch eingesetzt. Die Phosphorkonzentration in Flüssen und Meeren steigt, im schlimmsten Fall "kippt" das Gewässer: Der Dünger bringt Algen zum Blühen, sie verwesen, entziehen dem Wasser Sauerstoff, und Fische und andere Lebewesen sterben. Weltweit wurden inzwischen 400 dieser sogenannten Todeszonen identifiziert.

Phosphor aus Klärschlamm

Phosphor lässt sich nicht nur aus Urin, sondern auch aus Klärschlamm oder Tierknochen recyceln. "Es existieren mehr als 50 Technologien zum Wiedergewinnen des im Abwasser enthaltenen Phosphors. Wichtig wäre nun, dass die vielversprechendsten weiterentwickelt werden. Dafür müssen aber vom Gesetzgeber geeignete Rahmenbedingungen geschaffen werden", sagt Rechberger.

In Europa wird Phosphor seit den 1980er-Jahren aus dem Abwasser entfernt und landet im Klärschlamm - in Deutschland sind das allein 55.000 Tonnen pro Jahr. "Davon ließen sich bis zu 90 Prozent recyceln", sagt Oliver Krüger von der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung in Berlin.

"Anders als im Abwasser liegt Phosphor im Urin hochkonzentriert vor. Das macht die Rückgewinnung effizient", sagt Etter, der auch in Europa Möglichkeiten für das Urinrecycling sieht: an Flughäfen oder in großen Bürogebäuden oder aber an Autobahnraststätten, die nicht an die Kanalisation angeschlossen sind.

In den nächsten Jahren will die Eawag das Urin-Sammelnetz rund um Durban weiter ausbauen. "Die Bevölkerung ist dem Projekt gegenüber durchaus positiv eingestellt", sagt Etter. Allerdings hielte sich der Glaube, dass die Trockentoiletten Armen-Klos seien, weil die Regierung nicht für fließendes Wasser bezahlen wolle.

"Dabei sind das die Klos der Zukunft", sagt Etter, "wir jagen ein Drittel unseres täglichen Wasserverbrauches - wohlbemerkt: Trinkwasser - durch die Klospülung. Das ist verrückt."(Juliette Irmer, DER STANDARD, 17.12.2014)