Yotam Ottolenghi: "Vegetarische Köstlichkeiten". 352 Seiten, Dorling Kindersley 2014, € 27,80

Foto: Dorling Kindersley

STANDARD: Sie sind der wohl weltweit berühmteste Koch für vegetarisches Essen - sind aber selbst kein Vegetarier. Wie kam das?

Ottolenghi: Ich habe mich von Anfang an auf jene Art von Essen konzentriert, die ich durch meine Herkunft kannte. Im Nahen Osten spielen Gemüse, Leguminosen und Getreide eine zentrale Rolle - es schien uns natürlich, diese Zutaten, die unter Wert verkauft werden, entsprechend zu zelebrieren - obwohl wir immer auch Fisch und Fleisch serviert haben. Aber als der Guardian bei mir wegen einer Kolumne anfragte, sollte explizit unser Zugang zu Gemüse der Fokus sein. Das war es, was die Kollegen von der Zeitung neu und interessant fanden. Für mich war diese Spezialisierung nach einer kurzen Schrecksekunde wunderbar. Sie hat mir erlaubt, mich ganz auf eine Spielart unserer Küche zu konzentrieren. Und ich mag es, konzentriert zu arbeiten!

STANDARD: Stammen die Rezepte allesamt von Ihnen, oder gibt es heimliche Stars, die Ihnen die Rezepte schreiben?

Ottolenghi: Oh, absolut. Ich achte aber immer darauf, dass die Impulsgeber und Erfinder solcher Rezepte entsprechend gewürdigt werden - ich will mich nicht mit fremden Lorbeeren schmücken. Mir fällt ein absoluter Klassiker aus Plenty (auf Deutsch als "Genussvoll vegetarisch" auf den Markt gekommen, Anm.) ein: Black Pepper Tofu, ein chinesisch inspiriertes Gericht, auf das mich meine Freundin Helen Goh gebracht hat. Sie kommt ursprünglich aus Malaysia und verdient all das Lob, das mir für dieses Gericht zuteilwurde. Als Einzelner ist man stets limitiert in seiner Kreativität. Deswegen schaue ich sehr darauf, dass der Urheber immer am Beginn eines Rezepts vermerkt ist.

STANDARD: Weiß man als Kochbuchautor schon im Vorhinein, ob ein bestimmtes Rezept das Zeug zum Hit hat?

Ottolenghi: Ich bilde es mir ein, ja! Was fast immer ein gutes Echo hervorruft, sind Rezepte, die einer bekannten Zutat etwas Neues entlocken können oder sie in einen spannenden Kontext stellen. Mein Rezept für Sobanudeln mit Melanzani und Mango zum Beispiel, da bekomme ich bis heute Rücklauf, wie viel Freude die Leute damit haben. Da konnte ich schon beim Schreiben spüren, dass es das gewisse Etwas hat. Der Grund liegt in der Vertrautheit, die man mit diesen Zutaten verbindet: Nudeln, Melanzani, Mango, das kennt heute jeder. Aber die Kombination stellt sie in neuem Licht dar - und sie funktioniert auf unheimlich köstliche Art. Ich weiß nicht mehr, wie ich da draufgekommen bin, aber ich weiß noch ganz genau, wie ich es zum ersten Mal gekocht habe und mir dachte: Mein Gott, das ist richtig gut.

STANDARD: Der "bescheidenen Melanzani" widmen Sie in fast jedem Buch ein eigenes Kapitel oder sonst eine besondere Ehrerbietung ...

Ottolenghi: ... weil sie es verdient! Melanzani sind merkwürdige Früchte, die kein außerordentlich distinktives Aroma haben. Was sie aber haben, ist ein außerordentliches Mundgefühl. Melanzani sind wunderbar darin, Fett zu absorbieren. Der Mensch liebt Fett, darauf ist er konditioniert, und die Melanzani gibt es ihm auf eine wunderbar dezente, weiche, flutschige, bekömmliche Weise. Melanzani schmeckt nicht fett, aber sie inkorporiert Fett auf tolle Art. Ob man sie frittiert oder mit Öl einschmiert, bevor sie gegrillt wird: Solange das Öl von guter Qualität ist, wird der Geschmack wundervoll sein. Darüber hinaus gefällt mir der dezente Geschmack der Melanzani. Die unaufdringliche Balance aus zarter Süße und hintergründiger Bitterkeit: In Kombination mit anderen Gemüsen, mit gegrillter Paprika etwa, oder mit Linsen, agiert sie ebenso unauffällig wie souverän aus der zweiten Reihe: Sie muss sich nicht vordrängen, sondern hat diese Kraft, andere zum Glänzen zu bringen.

STANDARD: Woran erkennt man eine gute Melanzani?

Ottolenghi: Na ja, es gibt eine unglaubliche Fülle an Sorten, aber ich begnüge mich in den meisten Fällen mit der ganz normalen italienischen oder spanischen Melanzani. Da ist es ziemlich einfach, eine gute von einer schlechten zu unterscheiden: Sie sollte eine straffe, glänzende Haut haben und beim Angreifen fest sein. Von weicher Melanzani sollte man die Finger lassen - insofern ist sie das genaue Gegenteil einer Feige.

STANDARD: Gibt es Gemüse, dass Sie gar nicht mögen?

Ottolenghi: Nein, da fällt mir keines ein. Natürlich habe ich meine Favoriten, Karfiol zum Beispiel, oder jetzt gerade Kohlsprossen. Es gibt aber eine Frucht, die ich nicht ausstehen kann - Durian, auch bekannt als die Stinkerfrucht. Die ist wirklich abscheulich, obwohl viele meiner Freunde totale Fans sind. Ich bin nicht der Typ Mensch, der Genugtuung daraus zieht, etwas nicht zu mögen, und so habe ich es auch mit Durian oftmals probiert. Es ist nicht bloß der abstoßende Geschmack, es ist vor allem dieses Gefühl eines andauernd schlechten Atems, der einen nach dem "Genuss" dieser Frucht verfolgt, das ist schon sehr schwierig.

STANDARD: Und saisonale No-Gos?

Ottolenghi: Natürlich, das ist etwas anderes. Derzeit muss ich an eine Tomate nur denken, und es fröstelt mich. Als frische Frucht wohlgemerkt, Tomaten sind ja eines der ganz wenigen Gemüse, die auch aus der Dose zu etwas Erfreulichem werden können. Ich bin ein Fan von saisonaler Verknappung - manches wird erst dadurch so wahnsinnig gut, weil man es nur zu bestimmten Zeiten bekommen kann. Vorfreude ist ein nicht zu unterschätzender Faktor des Genusses.

STANDARD: Tiefkühlgemüse?

Ottolenghi: Ganz ehrlich: Ich verwende ziemlich viel davon. Manches eignet sich wunderbar, Erbsen etwa, oder frische Saubohnen, Mais. Manches gibt mir den Eindruck, frischer aus dem Tiefkühler zu kommen, als ich es beim Gemüsehändler je kriege. Aber auch weil es teilweise die Arbeit sehr erleichtert, fertig zugeputzte Artischockenböden etwa. Aber man muss wissen, wann man es einsetzt. Bei einem vor Frische und Sommerhitze vibrierenden Salat wäre es keine gute Idee, ebenso wenig bei einer zarten frühlingsmäßigen Komposition. Aber in einem Ragout, bei auf Holzkohle gegrilltem, mariniertem Gemüse - da darf ruhig etwas aus dem Freezer kommen, da bin ich nicht religiös.

STANDARD: Sie haben in Philosophie promoviert und einmal bemerkt, dass es mehr Arbeit war, "einen Teig mit Händen fühlen zu lernen", als Hegels Werke zu verinnerlichen. Was ist so geheimnisvoll an Kuchenteig?

Ottolenghi: Oh, da gibt es eine Fülle an Unberechenbarem, man weiß im Vorhinein nie, wie ein Teig reagieren wird. Der kann extrem launisch sein! Luftfeuchtigkeit, Außentemperatur, Beschaffenheit des Mehls, das alles spielt jedes Mal aufs Neue unterschiedlich herein. Das macht es aber auch spannend.

STANDARD: Sie haben als Zuckerbäcker begonnen - es heißt, dass Patisserie die Wissenschaft des Kochens sei, mit genau gewogenen Zutaten, exakt definierten Backzeiten, Temperaturen. Ihre salzigen Rezepte wirken vergleichsweise spontan und intuitiv zusammengestellt.

Ottolenghi: Dieser Eindruck ist völlig falsch. Ich bin ein extrem strikter, genauer Koch, wenn es um Rezepte geht. In meiner Testküche wissen alle, dass ich die Mengenangaben am liebsten auf das Milligramm genau haben will. Das Resultat soll entspannt und mühelos aussehen, aber es ist viel Hirnschmalz und Genauigkeit bei der Rezepterstellung vonnöten, damit es am Ende so gut wird, wie es auf dem Foto aussieht.

STANDARD: Was ist Ihr Lieblingsgericht?

Ottolenghi: Das wechselt. Im Moment habe ich oft Lust auf Mejadra, ein nahöstliches Gericht aus Linsen und Reis mit einem knusprigen Berg frittierter süßer Zwiebeln obendrauf. Eine simple Speise, mit gut gekochtem Reis, Linsen und nichts als ein paar bescheidenen Gewürzen hat sie die Kraft, einen mit Freude zu erfüllen.

STANDARD: Ich wollte Sie gerade auf Mejadra ansprechen: Wie machen Sie das, simpelstes Essen so begehrenswert und sexy aussehen zu lassen?

Ottolenghi: Es gibt so Mythen, dass manche Dinge nicht wirklich gut seien - das weckt dann meinen Ehrgeiz, das Gegenteil zu beweisen. Linsen haben oft einen schweren Stand, in Mitteleuropa hat es der Karfiol schwer, oder Steck- und Kohlrüben. Und natürlich gibt es Mittel und Wege, diese Gemüse auf absolut schreckliche Weise zu kochen. Aber mit etwas Beschäftigung lässt sich gerade aus diesen Dingen das Beste herausholen. Karfiol hat bei uns in England eine irre Wandlung durchgemacht - vor wenigen Jahren war es ein gefürchtetes Gemüse, und heute? Ist es eines der beliebtesten. Kein Wunder, in Italien, im Nahen Osten, in Indien gilt er von jeher als Star in der Küche. Das sind Traditionen, die sich dem Karfiol auf gewinnende Weise genähert haben.

STANDARD: Werden Sie noch zum Dinner geladen, oder haben Ihre Freunde zu viel Angst, für den großen Koch zu kochen?

Ottolenghi: Nein, überhaupt nicht! Ich bin der dankbarste Gast! Abgesehen davon, dass mir wirklich fast alles schmeckt, bin ich auch noch ziemlich gierig und kann beträchtliche Mengen verdrücken. Ich bin kritisch meinem eigenen Essen gegenüber, aber nicht bei dem anderer Leute.

STANDARD: Was ziehen Sie vor: einen Abend im neuen Gourmettempel oder ein Abendessen zu Hause bei Bekannten?

Ottolenghi: Bei Freunden zu Hause - was für eine Frage! Ich bin im reifen Alter von 45 Jahren und habe genug Restaurants gesehen, um zu wissen, dass ich dort nur in den seltensten Fällen etwas versäume. Worum geht es bei einem guten Abendessen? Zu entspannen, mit Freunden zu sprechen. Das geht zu Hause viel besser. Davon abgesehen ist auch das Essen meist besser, weil gute Gastgeber sich auf Speisen konzentrieren, die sie gut kennen und über die Jahre perfektioniert haben. Das ist mir im Zweifel lieber als die neueste, unter Hochdruck herausgeschossene Kreation.

STANDARD: Sie verwenden einen Haufen exotischer Gewürze und Zutaten. Jetzt hat eine britische Supermarktkette beschlossen, Gewürze, die Sie verwenden, ins Sortiment aufzunehmen. Ist das der ultimative Triumph eines Kochbuchschreibers - dass Konzerne ihre Einkaufspolitik nach ihm ausrichten?

Ottolenghi: Ich fürchte, ich bekomme Applaus für Dinge, für die ich gar nichts kann. Wobei: Natürlich ist es wunderbar, wenn ein paar Gewürze jetzt etwas einfacher zu finden sind. Dabei geht es gar nicht um exklusives, teures Zeug, sondern um ganz günstige Dinge wie in Salz eingelegte Zitronen, Za'atar, eine nahöstliche Gewürzmischung, oder Sumac.

STANDARD: Ein paar Fragen an den Philosophen: So wie die Welt aussieht - Überbevölkerung, Umweltzerstörung, Monokultur, Überfischung -, kann man sich da überhaupt noch auf ethische Weise ernähren?

Ottolenghi: Jeder muss seine eigene ethische Landkarte zeichnen, ich glaube, dass es da keine absoluten Antworten gibt - außer dass man gleich ganz aufhören muss, zu essen und sich des Lebens zu freuen, wenn man ganz sauber und anständig bleiben will. Worauf man sich wirklich verlassen kann, ist der gute Geschmack. Ich bin fest überzeugt, dass das der wichtigste Parameter ist. Ich fühle mich völlig desorientiert durch die Fülle an Botschaften, die an mich herangetragen werden, ob es die Biobewegung ist, die Vegetarier, Veganer oder irgendeine dieser vielen Heilsbotschaften. Aber: Worauf ich mich verlassen kann und was ich pflegen muss, ist mein Sinn für das, was gut schmeckt. Das habe ich in diesem Wirrwarr an Wahrheiten zu meinem Positionslicht erkoren: Wenn mir etwas schmeckt, wirklich Freude bereitet, dann tut es mir auch gut. Natürlich bedeutet ein wacher Geschmack auch, dass er beweglich und abenteuerlustig ist - unsere Welt ändert sich so schnell, dass es fatal wäre, wenn der Geschmack stehenbliebe. Ich hab das am eigenen Leib gespürt, als mich das Schicksal dazu verpflichtet hat, von heute auf morgen meinen Fokus auf Gemüse zu legen: So konnte ich erkennen, dass da ganze Galaxien an Großartigkeit auf mich gewartet haben, mit denen ich mich vorher nie so intensiv beschäftigt hätte. So habe ich auch gelernt, dass es keine Einschränkung bedeutet, entscheidend weniger Fisch zu essen. Und es ist so: Ich glaube, dass wir alle substanziell weniger Fisch essen müssen, um den Meeren doch noch eine Chance zu lassen. Aber auch hier sage ich: Das muss jeder für sich entscheiden. Für mich ist Fisch zu köstlich, zu wertvoll, als dass er mir angesichts dieses Zustands der Meere noch so schmecken kann wie vor 20 Jahren.

STANDARD: Ist Hunger der beste Koch?

Ottolenghi: Hunger? Da ist was dran. Ich habe meine besten Momente, wenn ich richtig hungrig bin. Das passiert in meinem Job leider zu selten, das vermisse ich aus meiner Präküchenära.

STANDARD: Essen Sie industriell hergestelltes Essen?

Ottolenghi: Da hab ich kein Problem. Sicher, da gibt es sehr arges Zeug. Aber die Sünde ist mir nicht fremd, es kommt schon vor, dass ich Junkfood verschlinge. Nicht oft, aber wenn mich etwas anlacht, dann fühl ich mich deswegen sicher nicht schuldig: I don't do guilt.

STANDARD: In Österreich lässt sich eine Köchin einsperren, weil sie sich die Verwendung von Holzbrett und hölzernem Kochlöffel in der Küche nicht verbieten lassen will. Was halten Sie von dieser Art von Hygienevorschrift?

Ottolenghi: Ich hasse solche Vorschriften aus der Tiefe meiner Seele. Sie nutzen überhaupt nichts, um schlechtes, unaufmerksam zubereitetes Essen sicherer zu machen. Aber sie legen qualitätsorientiert arbeitenden Betrieben jede Menge Steine in den Weg. Genauso die Allergene: Bevor ich meinen Gästen über unser Essen erzähle, über Geschmack, muss ich ihnen jetzt über die Allergene erzählen, vor denen sie sich eventuell in Acht nehmen müssen. Das halte ich für eine wirklich beängstigende Entwicklung. Es geht alles in die Richtung, den Menschen von seiner Eigenverantwortung zu erlösen und ihn von der Wiege bis zur Bahre wie ein Kind zu bevormunden.

STANDARD: Aber Allergikern muss man doch auf gesicherte Weise mitteilen, ob für sie gefährliche Zutaten verwendet wurden.

Ottolenghi: Die Idee, dass ein erwachsener Mensch in der Lage ist, Verantwortung für seine Gesundheit zu übernehmen, ist offenbar nicht mehr gültig. Es wird richtig bizarr - jetzt soll ich als Wirt die Verantwortung für das gesundheitliche Problem übernehmen, das ein Gast mit sich bringt. Sorry, aber irgendwo hat da jemand seinen Common Sense verloren. Das ist ein Thema, das mich richtig wütend macht.

(Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 19.12.2014)

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