Der deutsche Rapper Haftbefehl singt nicht nur für seine Leute aus dem Drogenhandel, auch das hippe Bürgertum liebt seine Authentizität.

Foto: Universal/Robert Wunsch

Wien - Um die Sache in der Sprache der Straße zu halten: Zuletzt musste der deutsche Rapper Haftbefehl kurz einmal den Schwanz einziehen. Nachdem der mutmaßliche Täter gefasst worden war, der im November in Offenbach die Studentin Tugce Albayrak derart brutal niedergeschlagen hatte, dass sie Tage später ihren Verletzungen erlegen ist, bekannte der Verdächtige, ein Fan des Offenbacher Rappers Haftbefehl zu sein.

Aykut Anhan alias Haftbefehl liefert sich bezüglich harter Musik an der Spitze der deutschen Charts derzeit nicht nur ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Helene Fischer, Grönemeyer oder AC/DC. Wenn ein Album mit der ständigen Wiederholung des Watschenbaum-Rüttlers "Ihr Hurensöhne!" beginnt - und dann mit geblafften Behauptungen wie "Die Freiheitsstatue ist eine Hure, und ich ficke sie" fortgeschwanzt wird, weiß man auch eines:

Männliche Aggression wird zwar nicht von pubertären Angebereien mit dicker Hose verursacht. Als Soundtrack eines Lebens, in dem dann eben auch wegen sozialpornografischen Begleitumständen wie zu wenig Liebe im Leben Gewalttaten ihren Platz haben, wurde sie aber im konkreten Fall produziert. Deshalb musste der 28-jährige Rapper dann auch im Interview mit dem Spiegel einräumen, dass ihn das Bekenntnis seines neuesten Fans, der eine Frau aus Gründen der "Ehre" totschlug, weil diese ihm gegenüber Zivilcourage zeigte, "sehr nachdenklich" gemacht habe. Das Nachdenkliche wird sich bald wieder legen. Mit reflexivem Lalelu verdient man im Genre zwar Respekt, aber wenig Kohle.

Offenbach, der Schauplatz aller Texte Haftbefehls, ist längst nicht mehr der Wohnsitz des mittlerweile gutbürgerlich mit seiner Mutter irgendwo bei Darmstadt lebenden und dichtenden Mannes. Dafür sei die Stadt in den vergangenen Jahren zu "schlimm" geworden. Im benachbarten Frankfurt seien die Mieten derart in die Höhe gegangen, dass Menschen außerhalb der gesellschaftlichen Mitte ins günstigere Offenbach ausgewichen sind.

Erlebniswelt Drogenhandel

Haftbefehl, als Sohn einer Türkin und eines Kurden in einem dortigen sozialen Brennpunkt bis zur Realität klischeehaft am Rand aufgewachsen, ist als Junge nach dem Selbstmord des Vaters auf die schiefe Bahn geraten. Er dokumentiert diese Verfallsbiografie seither in einem im Gangster-Rap immer schon gut zwischen Selbstmitleid und Angebertum und "Mutti ist die beste" austarierten Themenpark des rauen Lebens auf der Straße. Besonders deutlich wird das etwa in seinem vor lauter Dämlichkeit Schmerz verursachenden Video zu Chabos Wissen Wer Der Babo Ist vom letzten Album Blockplatin. Man sieht darin mit Pumpguns ballernde Vermummte. Sie rollen im mattschwarzen, verdunkelten SL-Mercedes durch eine hessische Kleinstadtidylle, um in einer Pizzeria kurz einmal eine Geschäftsbegradigung durchzuführen. Das Kochen von Crack und der Handel mit Kokain sind zwar mehr denn je boomend. Und auch Sexarbeit rechnet sich nach wie vor, zumindest für die Vorstandsetage. Zu viel Konkurrenz vertragen aber Nischenprodukte auch nicht.

Haftbefehl-Tracks wie dieser oder Crackküchenmukke lobpreisen zum einen ein möglicherweise nicht ausschließlich imaginiertes Gangsterleben im großen Stil. Immerhin musste Haftbefehl vor seiner musikalischen Karriere Deutschland aufgrund eines gegen ihn vorliegenden Haftbefehls (aha!) wegen Kokainhandels für einige Zeit verlassen. Diese Vergangenheit außerhalb der Wohlfühlzone wird auf nun vier Alben heruntergebrochen auf den saugemütlichen hessischen Dialekt sowie mit englischen und türkischen Ausdrücken versetzt. Zusätzlich bedient sich Haftbefehl nun auch wieder auf seinem neuen Album Russisch Roulette natürlich der forsch elliptischen Sprache der jungen Leute von heute: "Ich mach dich Krankenhaus!"

Ganz ohne Moralin kann man das wie einen Mafiafilm zwischen Scarface und Der Pate anschauen. Ein Freizeitvergnügen für Dealer, böse Burschis, BMW-Leasing-Fahrer und hippe urbane Menschen mit Universitätshintergrund, die Haftbefehl gern hören, weil er so "authentisch" ist. Im deutschen Feuilleton aber wird Haftbefehl für seine Kunst als großer zeitgenössischer Volkskünstler und Russisch Roulette als Meisterwerk gepriesen. Angesichts dieses teilweise vollkommen sinnentleerten Macho-Gebells ist das dann als These doch ein wenig zu hip und zu urban. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 18.12.2014)