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Uno-Beauftragter Staffan de Mistura bei einem Besuch in der syrischen Stadt Homs. Er betont, dass es bei seinem Plan für Aleppo keinen Sieger geben soll - beim Waffenstillstand in Homs war das Assad.

Foto: Reuters / Denis Balibouse

Damaskus/Wien - Seit "Genf 2" - der Versuch, das syrische Regime und die Opposition an den Verhandlungstisch zu bekommen - Mitte Februar 2014 im Sand verlaufen ist, gab es keine nennenswerte internationale Syrien-Diplomatie mehr. Genf 2 wurde zwar sowohl von den USA und Russland unterstützt, aber die Auffassungen, wie die Zukunft Syriens aussehen sollte, waren zu unterschiedlich: Der Druck auf die syrischen Akteure, speziell der russische auf das Regime in Damaskus, blieb aus - und die Ukraine-Krise rückte in den Mittelpunkt.

Am Jahresende 2014 steht nun ein neuer Versuch, einen Prozess einzuleiten, orchestriert vom UN-Beauftragten Staffan de Mistura. Er löste zur Jahresmitte den glücklosen Lakhdar Brahimi ab. Seit November entwickelt der italienisch-schwedische Diplomat seinen Plan, den Konflikt in Aleppo "einzufrieren".

"Politischen Raum" schaffen

Daraus soll nicht nur Ruhe und Hilfe für die umkämpfte Stadt, sondern möglichst auch ein "politischer Raum" entstehen, der vielleicht einen "Genf 3"-Prozess auf den Weg bringen könnte. Die Basis bleibt "Genf 1" von 2012, das die Grundlinien einer Übergangslösung, die von den Konfliktparteien akzeptiert werden sollte, festlegte: Allerdings schieden sich schon damals die Geister darüber, welche Rolle Präsident Bashar al-Assad - der sich Anfang Juni 2014 in einer nur von wenigen anerkannten Wahl auf sieben Jahre wiederwählen ließ - dabei spielt.

Aber warum sollte jetzt gelingen, was zuvor gescheitert ist? Ein Teil der Antwort ist im Vormarsch des "Islamischen Staats" zu finden: Die Entwicklungen schufen Fakten, die ein Handeln erzwingen: diesmal "von unten nach oben", wie de Mistura erklärt, anders als der Brahimi-Ansatz, der "von oben nach unten" ging.

Von unten nach oben

Das Assad-Regime wollte ja auch schon in Genf "unten" anfangen, beim "Terrorismus". Die Angst vor einem Legitimitätsgewinn für Assad macht es für dessen Gegner wie die Türkei oder Saudi-Arabien sowie die syrische Opposition natürlich nicht leicht, die Mistura-Initiative zu unterstützen. Die Rebellen haben noch dazu das Beispiel des Waffenstillstands in der Stadt Homs von Anfang Mai vor Augen, der in Genf 2 eingeleitet wurde: Dieser lief auf eine komplette Übernahme und Wiederetablierung des Regimes in Homs hinaus.

Deshalb betont de Mistura in Interviews, dass es sich in Aleppo eben nicht um einen Waffenstillstand wie in Homs mit Rückzug der Rebellen handeln würde. Das "Einfrieren" sei ein anderes Konzept, ohne Sieger und Verlierer.

Überwachung durch internationale Beobachter

Eine der Sorgen der Opposition ist dabei, dass Assad seine in Aleppo frei werdenden militärischen Kapazitäten an eine andere Front werfen könnte. Um das auszuschließen, strebt de Mistura eine Uno-Sicherheitsratsresolution und eine Überwachung durch internationale Beobachter an.

Mit Skepsis konfrontiert pflegt de Mistura zu sagen, dass sein Plan derzeit das "only game in town" sei. Nichts anderes liege auf dem Tisch. Parallel dazu treibt auch Moskau aber eine eigene Initiative voran, die Assad davon überzeugen soll, seine Regierung auf breite Basis zu stellen. Dieses Ansinnen wird prinzipiell auch von Teheran unterstützt. In einem Interview machte Vize-Außenminister Ali Sobhani jüngst das Assad-Regime ganz offen für den Krieg in Syrien verantwortlich.

Unterstützung in Brüssel

De Mistura ist zurzeit in Dauereinsatz: in Russland, im Iran, in der Türkei - wo er Gespräche mit der syrischen Opposition führte -, in Syrien und zu Wochenbeginn in Brüssel. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini stimmt zu, dass die Zeit wieder für Syrien-Diplomatie reif sei, nach einem Jahr, in dem sich die EU auf die Ukraine und auf die Iran-Gespräche konzentrierte.

Assad nannte die Initiative bereits im November überlegenswert, was das Misstrauen nicht gerade verringerte. Bei Aleppo handelt es sich um ein besonders sensibles Thema.

Neo-Osmane Erdogan

Seit im November der französische Außenminister Laurent Fabius in einem Gastkommentar für mehrere internationale Zeitungen für die Rettung Aleppos mobilisierte und der türkische Präsident Tayyip Erdogan die Bedeutung Aleppos in einer Rede erwähnte, blühen die Verschwörungstheorien in der arabischen Welt: Die Türken wollten Aleppo für sich haben, und die Franzosen seien bereit, es ihnen zu geben, so wie sie ihnen vor dem Zweiten Weltkrieg einen Teil Syriens, Alexandretta (Iskenderun), überlassen hätten. Bis nach dem Ersten Weltkrieg war der Vordere Orient Teil des Osmanischen Reiches, danach war Frankreich Mandatsmacht in Syrien.

Erdogan verlangte stets, dass gleichzeitig mit dem "Islamischen Staat" auch Assad bekämpft werden müsste. Der Mistura-Plan läuft in eine andere Richtung - auch Fabius äußerte bereits Bedenken vor einem allzu pragmatischen Umgang mit dem Regime. Und auch in Saudi-Arabien - wo sich de Mistura zur Wochenmitte aufhielt - muss wohl noch Überzeugungsarbeit geleistet werden.

Bei den Gesprächen mit der syrischen Opposition kommt hinzu, dass diese sich in einer Phase der Neuaufstellung befindet: Ende November wurde ein neuer Revolutionärer Kommandorat (RCC) als Dachorganisation gegründet, der wohl die Strukturen der FSA (Free Syrian Army) ersetzen wird. Auch innerhalb der Gruppen tut sich so einiges, so hat etwa die syrische Muslimbruderschaft eine neue Führung gewählt. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 19.12.2014)