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Udo Jürgens im Mai 2011.

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Auftritt 1992 im Amphitheater Windisch.

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Konzert 1987 im Züricher Hallenstadion.

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Zürich/Wien – Gerade war er noch da. Am 30. September wurde er 80 Jahre alt, und das Album, das er heuer veröffentlichte, titelte "Mitten im Leben". Das nahm man ihm ohne Anflug eines Zweifels ab. Udo Jürgens war der Inbegriff der Unverwüstlichkeit. Er schien einer zu sein, dem das Alter nicht viel anhaben konnte. Gut, die Haare waren gefärbt, aber sonst war er ein scheinbar immerwährendes Energiebündel, dessen Konzerte jedes Mal die Zwei-Stunden-Marke sprengten, als wäre er halb so alt. Nun ist einer der größten und erfolgreichsten Musiker und Entertainer des deutschen Sprachraums an Herzversagen gestorben.

Die Illusion der Unverwüstlichkeit war einem Werk und einer Karriere geschuldet, für die die Nachkriegszeit hierzulande keinen Vergleich findet. Geboren 1934 in Klagenfurt als Udo Jürgen Bockelmann, bekam er vom großen Krieg noch gerade so viel mit, dass er ihm einen bleibenden Gehörschaden einbrachte, als er in der Hitlerjugend eine Ohrfeige kassierte.

Weltstars und Song Contest

Mit 16 gewann er seinen ersten Preis als Nachwuchskomponist, seine ersten Auftritte unternahm er als Udo Bolán Band. In den 1960ern kam seine Karriere über Umwege in Fahrt. Damals komponierte er für Shirley Bassey "Reach for the Stars", das für die Künstlerin ein Welthit wurde. Jürgens war in die USA gegangen, hatte dem Nachkriegsmief seiner Heimat den Rücken gekehrt und spielte in New York mit schwarzen Musikern Jazz. Wieder in Österreich, versuchte er sich mehrmals am Song Contest. Drei Anläufe brauchte es, dann, 1966, erreichte er mit "Merci, Chérie" den ersten Platz.

In der Folge wurde Udo Jürgens ein Superstar des Schlagers. Den Begriff mochte er zwar nicht, er entkam ihm aber selten. Immerhin konnte sich Udo Jürgens zugutehalten, dass er das Fach um Inhalte bereicherte, die das seichte Heile-Welt-Genre zuvor nicht gekannt hatte. Er machte sich über Spießbürger lustig ("In diesem ehrenwerten Haus"), sang in "Rot blüht der Mohn" über Drogen und kam mit "Gehet hin und vermehret euch" in Bayern sogar auf den Index, nachdem sich Kirchenvertreter über dieses Lied zum Thema Überbevölkerung erregt hatten.

Lebemann mit Haltung

Da machten sie ihre Rechnung aber ohne die Udo-Jürgens-Fans. Diese gingen tatsächlich auf die Straße, um ihren Udo im Radio hören zu können. Das war in den 1980ern, und Jürgens war damals längst eine Institution. Ein Lebemann mit Hauptwohnsitz in der Schweiz. Er fuhr Rolls-Royce, besaß komfortable Nebenwohnsitze und genoss alle Annehmlichkeiten, die das Leben als Star mit sich bringt. Vier Kinder von drei Müttern waren ein Kollateralsegen dieses Lebensstils, zu dem Jürgens vollen Herzens stand: "Frauen lieben nun einmal Windhunde."

Seine Alben waren Selbstläufer, seine Lieder brannten sich ins kollektive Gedächtnis mehrerer Generationen ein: "Aber bitte mit Sahne", "Mit 66 Jahren", "17 Jahr, blondes Haar", "Griechischer Wein" oder das fahnenflüchtige "Buenos Dias Argentina", das er 1978 für die deutsche Nationalelf geschrieben hatte, wofür sich Österreich in Córdoba postwendend rächte.

Udo Jürgens soll in seinem Leben über 1000 Lieder komponiert und über 100 Millionen Tonträger verkauft haben. Er hat Titel für Frank Sinatra geschrieben, die von Sammy Davis Jr. gesungen wurden. Ihn umgab die Aura der großen, weiten Welt selbst dann noch, wenn er am Ende seiner Konzerte jovial im weißen Frotteemantel zur Zugabe schritt und darin aussah wie der Papa nach dem Sonntagsbad. Eine Masche mit Effekt. Die Damen kreischten, den Herren erschien er ungefährlich. Es machte ihn zum Star von nebenan. Irgendwie halt.

Kleine und große Hoffnungen

Schließlich sang er ja so herrlich nachvollziehbare Lieder. Er formulierte in seiner Musik kleine und große Hoffnungen und lieferte die Garantie mit, dass es okay sei, seinen Träumen nachzuhängen. Mit seiner Kunst begleitete er Millionen von Menschen, ging, wie er sagte, ein Stück weit mit ihnen. Das band ein riesiges Publikum über Jahrzehnte an ihn, das machte ihn hierzulande einzigartig. "Wirkliche Stars sind Menschen, die einen Teil unseres Lebens mit ihrer Kunst begleitet haben. Man ärgert sich hin und wieder über sie, findet manches schrecklich, aber aus deren Liedern haben wir auch unsere Zeit erkannt. Das Hand-in-Hand-Gehen mit dem Publikum, das ist ein Wert, der ist nicht einfach so aus dem Hut zu zaubern", sagte Jürgens 2006 zum STANDARD. Das klingt nicht bescheiden, aber es stimmte.

Vereinnahmungsversuchen von politischer Seite widerstand er und lehnte als Weltbürger das Kleingeistige seiner Kärntner Heimat unverhohlen ab. Sogar mit dem Feminismus machte er seinen Frieden. In demselben STANDARD-Gespräch sagte er, dass er heute lieber mit Alice Schwarzer auf ein gutes Gespräch ginge, als jungen Damen den Hof zu machen. Vielen Dank für die Blumen.

Mit den Zeiten ändert sich der Mensch. Und nun ist er gegangen. Am Sonntag ist Udo Jürgens bei einem Spaziergang in seiner Schweizer Wahlheimat bewusstlos zusammengebrochen und 80-jährig in einer Klinik an Herzversagen gestorben. Das gab sein Management in einer Presseaussendung bekannt. (Karl Fluch, DER STANDARD, 22.12.2014)