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Dass sich aus der Analyse von Tierkreiszeichen und Sternbildern keine relevanten Aussagen für unser irdisches Leben ableiten lassen, sagt der Astronom und Buchautor Florian Freistetter.

Foto: apa

Manfred verkleidet sich beim Sex gerne als Ladyboy. Er mag es, mit den Grenzen der Geschlechter zu spielen. Seine Freundin findet das weniger prickelnd – zu Manfreds Leidwesen. Als er an einem Sonntagabend im Oktober in die Ö3-Talkshow "Sternstunden" durchgestellt wird und dem Radiopublikum seinen Fall schildert, wirkt er verzweifelt. Ob er mit seiner Freundin jemals ein befriedigendes Sexualleben haben kann? "Das wird nichts mehr", sagt Gerda Rogers. Zu unterschiedlich seien Manfred und diese Frau.

Die Astrologin kennt zu diesem Zeitpunkt die Sternzeichen, Geburtstermine und Geburtsorte von Manfred und seiner Freundin. Sie hat seine Stimme gehört und wie er sein Problem schildert. Bei der Verabschiedung klingt Manfred traurig. Schicksalsergeben, aber traurig. Es ist kurz vor 23 Uhr. Nachdem Manfred aufgelegt hat, spielt Ö3 eine Ballade.

Gerda Rogers berät seit 23 Jahren im öffentlich-rechtlichen Radio live ratsuchende Menschen. Die meisten Anrufer stecken in einer Beziehungskrise, überlegen einen Wohnortwechsel oder stehen vor einer beruflichen Entscheidung. Wer sich beraten lassen will, muss vorab sein Sternzeichen, exaktes Geburtsdatum und den Geburtsort bekanntgeben. Die "Sternstunden" zählen zu den beliebtesten Ö3-Sendungen, jede Woche hören Tausende Menschen zu. Das finden nicht alle unbedenklich.

Nichts Relevantes

Der Physiker Heinz Oberhummer zum Beispiel. Er wird emotional, wenn es um Astrologie geht – und kritisiert Horoskope scharf. "Sie haben keinerlei wissenschaftliche Grundlage", sagt Oberhummer. Er schreit es fast. "Das ist Humbug und reine Geschäftemacherei." Oberhummer sagt auch, dass viele Astrologen die Menschen ausnützen würden. Das regt ihn richtig auf. Dabei ist Oberhummer eigentlich Rationalist. Vor seiner Pensionierung war er Professor für Theoretische Physik am Atominstitut der Technischen Universität Wien. In den letzten Jahren hat er sich als Teil der Wissenschaftskabarett-Truppe "Science Busters" auch außerhalb akademischer Kreise einen Namen gemacht.

Dass sich aus der Analyse von Tierkreiszeichen und Sternbildern keine relevanten Aussagen für unser irdisches Leben ableiten lassen, sagt auch der österreichische Astronom und Buchautor Florian Freistetter. Die darauf basierende Astrologie sei "blanker Unfug". Auch Freistetter ist ein Mann der Wissenschaft. Er hat am Institut für Astronomie der Universität Wien promoviert und danach an der Sternwarte der Universität Jena und dem Astronomischen Rechen-Institut in Heidelberg gearbeitet.

Freistetter weiß, was Sterne können. Und er sagt: "Es gibt keinen einzigen wissenschaftlichen Hinweis dafür, dass die Position der Planeten am Himmel die Menschen in der Weise beeinflusst, wie Horoskope das suggerieren." Viele astrologische Angebote seien nur dazu gut, um verunsicherten Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Dass Astrologie keine Wissenschaft ist, sieht übrigens selbst Ö3-Chef Georg Spatt so: "Auch ich würde wahrscheinlich eher einen Zufallsgenerator nach meiner Zukunft befragen als die Sterne."

Nicht immer harmlos

Doch wer Astrologie kritisiert, kommt schnell selbst unter Beschuss. Zu unwidersprochen ist die Sterndeutung mittlerweile in unserem Alltag verankert. Gerne kommt sie als Unterhaltung daher – in Zeitungshoroskopen etwa oder auf den Zuckerbriefchen im Café. Dann sind ihre Aussagen meist so allgemein, dass sich jeder darin wiederfindet. Verraten Schwangere das Geburtsdatum ihres Babys, können sie damit rechnen, dass irgendjemand den angeblich vom Sternzeichen geprägten Charakter des Kindes kommentiert: "Ein Stier? Viel Spaß mit dem Sturschädel!"

Astrologie ist aber nicht immer harmlos. Bedenklich wird sie, wenn sie Verunsicherten als Lebenshilfe dienen soll: Wenn Menschen ihre Partnerwahl oder andere Lebensentscheidungen davon abhängig machen, wie die Sterne stehen. Wenn Firmen auf Basis von Sternzeichen entscheiden, wen sie einstellen. Oder wenn sich Banken von Sterndeutern beraten lassen. Die sogenannte Börsenastrologie ist heute ein gut etablierter Zweig der Sternkunde. Es gibt einen Markt, der Menschen maßgeschneiderte und individuell abgestimmte Lebensberatung auf astrologischer Grundlage verspricht.

Prominente Unterstützer

Das funktioniert auch deshalb so gut, weil sich Astrologen heute seriös geben und sich so den Anschein der Wissenschaftlichkeit verleihen. Sie treten im ORF auf, dozieren an Volkshochschulen und Universitäten, sind als Berufsgruppe in der Wirtschaftskammer organisiert. Um sich als glaubwürdig zu präsentieren, setzt die Astrologie auf Unterstützer, die über jeden Zweifel erhaben sein sollen. Österreichs ehemalige Wissenschaftsministerin Elisabeth Gehrer verfasste im Jahr 2006 das Vorwort eines Buches mit "Liebeshoroskopen", ihr Nachfolger Johannes Hahn präsentierte sich im Jahr 2009 mit den Autoren eines Bandes zu "Astro-Medizin".

Heinz Oberhummer empört es, wenn sich Astrologen zu Lebensberatern aufschwingen. "Die pfuschen ins Leben von Menschen hinein", sagt er. "Durch ihre flapsigen Aussagen werden Lebensentscheidungen beeinflusst. Vor allem für labile Menschen ist das gefährlich." Jedes Bauchgefühl sei besser als der Rat eines Astrologen. "Die Leute sollten lieber selber denken als diesen Geschäftemachern zu vertrauen."

Struktur und Fiktion

Das mit dem selber Denken ist aber so eine Sache. Für viele Menschen ist Astrologie genau deshalb so attraktiv, weil sie der Selbstverantwortung enthebt. Weil sie den Eindruck vermittelt, dass der Verlauf des Lebens gewissermaßen vorgezeichnet ist. Und dass das persönliche Schicksal eine Bedeutung hat. "Viele Menschen finden es angenehm, die Verantwortung für ihr Leben auszulagern", sagt Freistetter. "Auszulagern an Konstellationen, die sie nicht beeinflussen können." Doch das entmündige die Menschen. "Wenn jemand bei der Partnerwahl sagt, dass er einen Löwen und keinen Schützen braucht, kann er sein Leben damit scheinbar strukturieren. Er muss sich vielleicht nicht fragen, warum eine Beziehung gescheitert ist. Doch diese Struktur ist eine Fiktion."

Religionsersatz

Früher hat die Religion den Menschen gesagt, was sie zu tun haben; diese Rolle erfüllt sie nicht mehr. "Es ist kein Zufall, dass die Esoterik-Bewegung in den 60er-Jahren aufgekommen ist, als die Religion an Bedeutung verloren hat", so Freistetter. "Es gibt eben ein menschliches Bedürfnis nach Weltverständnis." Es ist auch kein Zufall, dass Astrologie und Esoterik gerade heute boomen, wo der wissenschaftliche und technologische Standard höher ist denn je.

Zur Zeit der industriellen Revolution war der Fortschritt für jeden im Alltag zu sehen: Wo jahrhundertelang die Pferdekutschen zuckelten, ratterte plötzlich die Dampfeisenbahn. Wo Felder waren, standen nun qualmende Fabriken. "Heute ist Technik und Wissenschaft so sehr in unser Leben integriert, dass wir es nicht mehr merken", sagt Freistetter. "Man kann jetzt vor dem PC sitzen und in ein Onlineforum schimpfen, welche Lüge die Quantenmechanik ist und dabei ignorieren, dass jede elektronische Technik auf den Erkenntnissen der Quantenmechanik basiert." So lässt just der Fortschritt das Unwissen und den Aberglauben gedeihen. (Lisa Mayr, DER STANDARD, 27./28.12.2014)