Bild nicht mehr verfügbar.

Die große österreichische Forscherin Marie Jahoda musste lange warten, bis das offizielle Österreich sie ehrte.

Foto: Picturedesk.com/Barbara Gindl/APA-Archiv /

Es sei eine furchtbare Entscheidung gewesen, und doch die beste in ihrem ganzen Leben, schrieb Marie Jahoda viele Jahre später in ihren Memoiren: Die damals 30-jährige Sozialpsychologin saß im Juli 1937 bereits seit mehr als einem halben Jahr im Gefängnis in der Wiener Rossauerkaserne ein. Und nun stellte man sie vor die Wahl, entweder Österreich sofort zu verlassen und die österreichische Staatsbürgerschaft aufzugeben - oder eben im Gefängnis zu bleiben.

Jahoda, die wegen ihrer Mitarbeit bei den Revolutionären Sozialisten von den Austrofaschisten verhaftet worden war, entschied sich für die Ausbürgerung, was auch bedeutete, fast alles - einschließlich ihrer damals siebenjährigen Tochter - in Wien zurückzulassen und allein nach London zu emigrieren. Hätte sie sich anders entschieden, hätte das den sicheren Tod bedeutet: Jahoda befand sich auf einer von den Nationalsozialisten erstellten Liste jener Personen, die sofort nach dem Fall Londons zu verhaften wären.

Erste Artikel mit 18

Was Marie Jahoda bis zu ihrer Verhaftung im November 1936 alles geleistet hatte, ist mehr als beeindruckend und schwer nachzuvollziehen: 1907 als drittes von vier Kindern in eine jüdische Wiener Bürgerfamilie hineingeboren, engagierte sie sich schon als Schülerin für die Sozialdemokratie und schrieb bereits mit 18 ihre ersten Zeitungsartikel.

Jahoda war früh davon überzeugt, nach der bevorstehenden Revolution sozialistische Erziehungsministerin zu werden. Die beste Vorbereitung darauf schien ihr ein Studium der Psychologie. Bereits mit 20 Jahren heiratete sie Paul Lazarsfeld, der im Exil in den USA zum Begründer der modernen Sozialforschung wurde, mit 23 wurde sie Mutter, mit 25 promovierte sie beim Psychologen Karl Bühler.

Mit den echten Problemen befassen

In dieser Zeit schrieb sie auch das Manuskript der Studie "Die Arbeitslosen von Marienthal", eines bis heute aktuellen Klassikers der Sozialforschung. Das Forscherteam um Jahoda, Lazarsfeld und Hans Zeisel zeigt darin eindrucksvoll, wie Arbeitslosigkeit zur - auch politischen - Apathie führt. Neben ihrer Tätigkeit als Sozialpsychologin war Jahoda bis zu ihrer Verhaftung auch noch Bibliothekarin, Lehrerin und in verschiedensten Funktionen politisch tätig.

Mit der erzwungenen Emigration änderte sich vieles, aber nicht alles: Jahoda forschte weiterhin als Sozialwissenschafterin und gemäß ihren Maximen, sich mit echten sozialen Problemen der Welt zu befassen und dabei das gesellschaftlich Unsichtbare sichtbar machen. Sowohl wissenschaftlich wie auch politisch blieb sich Jahoda zeit ihres Lebens kompromisslos treu - und bis zu ihrem Tod 2001 im englischen Exil eine in jeder Hinsicht beeindruckende Persönlichkeit, wie alle bestätigen können, die sie erleben durften.

Warten auf Anerkennung

Auf Würdigungen des offiziellen Österreich musste die große, vertriebene Tochter indes lange warten. Jahoda war längst eine international renommierte Forscherin, ehe ihr in den 1980er-Jahren zögerlich die ersten Ehrungen zuteilwurden.

Der Titel ihrer Memoiren, die 60 Jahre nach ihrer Ausweisung erschienen, lautet lapidar "Ich habe die Welt nicht verändert". Zumindest das Wissen um die furchtbaren Folgen von Arbeitslosigkeit wird immer mit ihrem Namen verbunden sein. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 24./25.12.2014)