Demonstration nach dem Terroranschlag auf die Satirezeitschrift 'Charlie Hebdo' vor der französischen Botschaft in Wien.

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Die vielen Muslime und Musliminnen, die in Europa leben, sind heute keine anderen, als sie gestern waren: Das als Maxime des Denkens und Handelns am Tag nach dem Attentat in Paris von reflektierenden Menschen einzufordern ist möglich – und die Mehrheit wird es auch so halten. Dennoch ist zu fürchten, dass das Morden in der Redaktion von Charlie Hebdo, das unter dem Ruf der Rache für den Propheten des Islam verübt wurde, in der Zukunft einmal als Wendepunkt der Beziehung zwischen Nichtmuslimen und Muslimen in Europa ausgemacht werden wird.

Denn die Botschaft der Attentäter ist Wasser auf den Mühlen der Islamophoben à la Pegida, deren Ideen auch langsam intellektuelle Salonfähigkeit erlangen – siehe Michel Houellebecq: Das Leben in Europa wird bald völlig im Schatten des Islam stehen.

Der Anschlag war nicht einer der oft viel zahlreichere Opfer fordernden wahllosen Großattentate à la Kaida, in denen der Terror zum Kommunikationsmittel wird. Er war kein Akt eines oder mehrerer suizidaler Individuen, oft Einzeltäter, die auf ihrem Weg in den Tod noch ein paar ausgesuchte Opfer – die sie als Vertreter von Tätern sehen – mitnehmen. Das war eine Operation mit militärischem Charakter, die die Angreifer überleben wollten, und sie hatte tatsächlich den Zweck, jene zu "bestrafen", die sich nicht nach den Regeln der Ethik richten, die diese Leute als islamisch bezeichnen: Mit Muhammad darf man keinen künstlerischen Spott treiben.

Es ist dies ganz gewiss nicht der richtige Moment, darüber zu diskutieren, was Medien dürfen oder nicht dürfen. Charlie Hebdo hat sein radikal atheistisches Publikum, und ja, atheistisch darf man sein und das zeigen in Europa, ebenso wie man das Recht hat, seinen Glauben unbehelligt zu bezeugen. Und die Rolle von religiöser Satire in der europäischen Aufklärung darf man hochhalten und schätzen – und auch anderen empfehlen –, auch wenn man Religion respektiert. Denn das schlägt sich nicht.

Nun beginnt wieder die Zeit, wo muslimischen Vertretern auf der ganzen Welt Verurteilungen abverlangt werden – aber auch dem muslimischen Nachbarn nebenan, der womöglich gar nicht einsieht, dass man das von ihm erwartet. Wenn er dann vielleicht noch Kritik an der Muhammad-Satire anklingen lässt, dann steht er schon ein klein wenig unter Verdacht, mit den Verbrechern von Paris zu sympathisieren. Religiöser Konservativismus, der in anderen Traditionen akzeptiert ist, ist durch die Heimsuchung des islamischen Extremismus delegitimiert. Und so werden die Lager in Europa immer weiter auseinanderklaffen.

Radikaler Islam und Islamfeindlichkeit sind zwei kommunizierende Gefäße – aber es ist ein Unterschied, ob getötet oder demonstriert wird. Beide sind große Herausforderungen für liberale Gesellschaften. Die Art der "Verteidigung", die Bewegungen wie Pegida fordern, ist ebenfalls illiberal und eine Bedrohung der Werte, auf denen Europa auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs aufgebaut wurde.

Viele Muslime weltweit sind schwer erschüttert über das, was sich heute des Namens Islam bedient – etwa, am schlimmsten, der "Islamische Staat". Der Islam ist in der vielleicht finstersten Periode seiner Geschichte. Eine Katharsis vorauszusagen, das wäre am Tag des Verbrechens von Paris unangebracht. Aber Abscheu und Widerstand wachsen auch da, wo es am wichtigsten ist – unter Muslimen. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 8.1.2015)