Tübingen - Non-Hodgkin-Lymphome (NHL), umgangssprachlich auch als Lymphdrüsenkrebs bekannt, stellen in Deutschland mit jährlich mehr als 10.000 Neuerkrankungen eine der häufigsten Krebserkrankungen dar - mit steigender Tendenz. NHL sind in frühen Stadien meist dauerhaft heilbar, in einigen Fällen entwickeln sich jedoch aggressivere Formen, die nicht auf konventionelle Therapien ansprechen.

Nun haben Forscher der Universität und des Universitätsklinikums Tübingen gemeinsam mit slowenischen Kollegen die Erkrankung auf molekularer Ebene genauer untersucht. Wie sie im Fachblatt "Blood" berichten, konnten sie dabei einen Mechanismus entschlüsseln, der die unkontrollierte Vermehrung der Krebszellen beeinflusst.

Bei Patienten mit einem Non-Hodgkin-Lymphom vermehren sich Blutzellen unkontrolliert, in 80 Prozent der Fälle sind davon die sogenannten B-Zellen betroffen. Im gesunden Organismus spielt dieser Zelltyp eine wichtige Rolle bei der Immunabwehr: Erkennt das Immunsystem einen Krankheitserreger wie zum Beispiel bestimmte Bakterien, so werden die B-Zellen angeregt, sich zu vermehren und große Mengen an spezifischen Antikörpern gegen die Eindringlinge auszuschütten. Diese werden dadurch unschädlich gemacht.

Die Krankheitserreger werden von speziellen Immunsensoren auf der Oberfläche der B-Zellen erkannt. Wenn ein Eindringling andockt, leitet die B-Zelle ein Alarmsignal ins Zellinnere weiter: Dabei bindet das Protein MyD88 als zellinterner "Adapter" an den aktivierten Immunsensor und holt weitere MyD88-Proteine heran, welche dann sogenannte Signalkomplexe bilden. Diese wiederum schalten Signalwege an, die für eine vermehrte Produktion von B-Zellen und Antikörpern sorgen.

Bei Non-Hodgkin-Lymphomen ist häufig das MyD88-Protein mutiert. Die Tübinger Forscher konnten jetzt erstmals zeigen, dass die mutierten MyD88-Proteine "klebrig" werden und spontan aktive Signalkomplexe bilden. "Ohne Einwirkung von Krankheitserregern entstehen dann vermutlich ununterbrochen aktive Signalkomplexe und geben sozusagen Fehlalarm", sagt Olaf-Oliver Wolz, Ko-Autor der Studie. "Dies fördert die unkontrollierte Vermehrung der B-Zellen des Immunsystems, der Krebs entsteht.

Im Laborversuch mit Zellkulturen konnten die Forscher mit einem Hemmstoff das Verklumpen der mutierten MyD88-Proteine unterdrücken und die Krebszellen dadurch zum Absterben bringen. Nicht mutierte Zellen überlebten die Behandlung. "Die Krebs auslösende MyD88-Mutation kommt in sehr vielen, vom Verlauf und der Therapie her sehr unterschiedlichen Krankheitsbildern von Lymphdrüsenkrebs vor", sagt Alexander Weber, ebenfalls Ko-Autor der Studie. Er hofft, dass sich für diese Patientengruppe eine Therapie aus dem neu entdeckten Ansatzpunkt entwickeln lässt. "Zukünftige Wirkstoffe sollten wie im Laborversuch gezielt die mutierten MyD88-Proteine hemmen, und so die Krebszellen töten, die gesunden Zellen jedoch unbeeinflusst lassen." Zunächst müssten die Forscher die vom Protein MyD88 fehlregulierten Prozesse aber detaillierter verstehen. (red, derStandard.at, 13.1.2015)