Vor kurzem wurde der Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit verliehen. Unter den Siegerprojekten befindet sich eines, das die gesellschaftspolitische Verantwortung besonders ernst nimmt.

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Ich kenne den Unterschied zu dem, wie's früher war, damals noch im alten Haus", sagt ein junger Mann, nennen wir ihn Max. "Und jetzt ist es eindeutig besser. Die Räume sind sauber, hell und angenehm gestaltet. Jedes Zimmer hat ein kleines Bad mit Dusche und WC. Und irgendwie ist hier im Laufe der Zeit eine Gemeinschaft entstanden. Wir sind wie Nachbarn zueinander." Max ist einer von rund 25 Männern in seiner Wohngruppe. Max geht gerade am Gang spazieren. Max hat noch zwei Monate.

Foto: APA/Pfarrhofer

Letzten Dienstag wurde das Gefängnis Korneuburg, das unfreiwillig temporäre Zuhause von derzeit knapp 270 Insassen, mit dem Staatspreis für Architektur und Nachhaltigkeit ausgezeichnet (alle Preisträger siehe Ansichtssache). Das außergewöhnliche Justizzentrum mit Gerichtsgebäude und Strafvollzugsanstalt ist damit einer von insgesamt fünf Preisträgern, die allesamt unter Beweis stellen, dass gestalterische, funktionale und ökologische Aspekte längst keine Gegensätze mehr bilden, sondern durchaus vorbildlich in Einklang zu bringen sind.

Foto: BMLFUW/Kurt Hoerbst

"Das Gebäude ist ein Passivhaus, aber man sieht es ihm beim besten Willen nicht an", meint Wolfgang Turner, Leiter der Vollzugsanstalt, dunkelblaue Justizwachemontur, Wappen mit Adler auf dem Ärmel. "Die Energiekosten sind dramatisch zurückgegangen, das Klima in den Innenräumen hat sich, nachdem wir das System zwei Saisonen lang fein hin und her justieren mussten, gut eingependelt." In Zahlen: Der Heizwärmebedarf beträgt 5,2 kWh/m²a. In Buchstaben: Zertifizierung A++. Das ist ein Spitzenwert.

Foto: BMLFUW/Kurt Hoerbst

Zu verdanken sei dies der kompakten Bauform und dem im Vergleich zu einem Wohnhaus etwas geringeren Glasanteil in der Fassade, erklärt Architekt Conrad Messner, einer der Planer der Tiroler ARGE Dieter Mathoi & DIN A4 Architektur. "Eigentlich mussten wir in den Innenräumen nur noch eine kontrollierte Belüftung ergänzen. Das war's. Insofern war es ein Leichtes, das Justizministerium und die Bundesimmobiliengesellschaft (BIG) davon zu überzeugen, dass es sinnvoll wäre, Gerichtsgebäude und Gefängnis als Exempel für ressourcenschonendes Bauen zu errichten."

Foto: Putschögl

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Das Resultat ist ein helles und in vielerlei Hinsicht offenes Haus, in dem sich die Insassen bei guter Führung untertags frei bewegen können. Bei sehr guter Führung werden die Zellen innerhalb der Wohngruppen gar nicht mehr abgeschlossen. Es ist zehn Uhr morgens. Die meisten Türen stehen sperrangelweit offen. Die Hafträume sind leer. Auf dem Bett liegt Strickzeug, lila Angorawolle, an der Wand hängen Bilder und Fotografien, wer weiß, vielleicht von den Liebsten, ein bisschen erinnert das Ganze an ein kleines, sehr kleines Wohnzimmer.

(Das Foto entstand noch während der Bauphase des Justizzentrums.)

Foto: APA/Pfarrhofer

"Es ist ziemlich cool hier drin. Ich sage oft: Das ist mein Hotel Trivago", meint eine Frau, die ihre Freiheitsstrafe ebenfalls im offenen Strafvollzug abbüßt. "Aber was soll ich sagen? Natürlich hat das alles nur auf den ersten Blick mit Hotel und Zuhause zu tun, draußen vor dem Fenster sind Gitterstäbe und Stacheldraht."

Foto: BMLFUW/Kurt Hoerbst

Die atmosphärische Nähe zum eigenen Lebensmittelpunkt, erklärt Gefängnisleiter Wolfgang Turner, ist Programm: "Die Insassen in dieser Anstalt haben Strafzeiten bis zu 18 Monaten. Das sind absehbare Ausmaße. Daher legen wir Wert darauf, das Leben hier drinnen so normal wie möglich zu gestalten. Letztendlich ist es Aufgabe der Justiz, dafür Sorge zu tragen, dass Menschen so früh und so rasch wie möglich auf ihre Resozialisierung vorbereitet werden."

Foto: Putschögl

Die Haftanstalt Korneuburg ist nicht nur ein ökologisches Vorzeigebeispiel, sondern auch ein soziales. Die Menschen sind ausgeglichener und gesünder. "In der alten Haftanstalt am Hauptplatz gab es mehr Gewalt, mehr Raufereien und mehr verbale Attacken", erinnert sich Turner. "Gegenüber damals sind die Disziplinarvorfälle um circa 30 Prozent zurückgegangen." Noch dramatischer ist der Rückgang bei den Medikamenten. Der Bedarf an Schlafmitteln und Psychopharmaka, rechnet Turner vor, sei um mehr als 75 Prozent gesunken.

Foto: BMLFUW/Kurt Hoerbst

Vor zehn Jahren war Nachhaltigkeit ein Außenseiterthema", sagt Roland Gnaiger, Juryvorsitzender und Staatspreisbeauftragter des Lebensministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft. "Heute zeigt sich, wie groß und breit dieser Begriff geworden ist. Nachhaltigkeit hat nicht nur mit ökologischem Bauen zu tun, sondern auch mit einem generellen, gesellschaftspolitischen Verständnis von Lebensraumgestaltung." Wie sagte doch Leo Tolstoi, preisverdächtig fürwahr? "Um einen Staat zu beurteilen, muss man seine Gefängnisse von innen ansehen." (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Album, 17.1.2015)

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