Dudu Kücükgöl: Junge muslimische Österreicherinnen und Österreicher fordern nicht nur Gleichheit und Gehör vom Staat, sondern auch von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich.

Foto: Tina Herzl

Die miefigen Schubladen sind zu klein geworden oder zumindest zu wenig. Es ist in Österreich etwas passiert, das so nicht geplant war: Inmitten der medialen IS-Orgie, der öffentlichen Paranoia, der täglichen islamfeindlichen Übergriffe und des populistischen Politdiskurses melden sich mündige österreichische Musliminnen und Muslime zu Wort und nehmen an demokratischen Prozessen teil. Sie wollen sich mit gesetzlich festgeschriebener Diskriminierung nicht zufriedengeben, holen juristische Expertisen ein, zitieren Verfassungsjuristen und treten selbstbewusst auf. Ja, kann es sie wirklich geben?

Diese jungen Österreicherinnen und Österreicher fordern nicht nur Gleichheit und Gehör vom österreichischen Staat, sondern auch von der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich. Sie möchten mitgestalten und Verantwortung übernehmen, sind es leid, von Menschen vertreten zu werden, die offensichtlich nicht fähig dazu sind.

Vom Himmel gefallen?

Die absolut natürliche Entwicklung und Selbstdefinition einer neuen muslimischen Generation dürfte manche überraschen. Aber sind diese jungen Leute vom Himmel gefallen? Nein, natürlich nicht. Kennern der österreichischen Jugendarbeit und der muslimischen Community sind sie seit langem bekannt. Manche von ihnen sind verbandlich organisiert, andere nicht, aber: Man nimmt sie in unterschiedlichen Bereichen immer stärker wahr.

Die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) leistet seit fast 20 Jahren qualitativ gute Jugendarbeit und ist für ihren innovativen Zugang sowie ihr starkes, ehrenamtliches Engagement bekannt. Während andere sich lediglich in Medien oder Konferenzen wichtig machen, bietet die MJÖ seit Jahrzehnten Services und sinnvolle Freizeitbeschäftigung für junge Musliminnen und Muslime an und arbeitet aktiv gegen Extremismus.

Politische Arbeit ist kein Schwerpunkt der MJÖ. Doch der skandalöse Entwurf zum neuen Islamgesetz hat gezeigt, dass manche unserer Vertreter – allen voran der Präsident – stark problematische Haltungen vertreten. Wir sahen uns gezwungen, unsere Stimme gegen jene zu erheben, die auch heute noch unsere Zukunft mit einer Gastarbeitermentalität bestimmen wollen.

Es geht um Machterhalt

Die starke Präsenz hat viele verunsichert und irritiert: Für Teile des muslimischen Establishments, das sich bestimmte Ressourcen aufgeteilt hat, stellt sie eine Bedrohung dar: Da kommen junge Leute, die es womöglich besser machen können.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch latent islamophobe Intellektuelle, Pseudo-Expertinnen und -Experten oder Politikerinnen und Politiker, die mit einem bestimmten Islambild arbeiten, das ihnen nützt: gefährliche Musliminnen und Muslime, die im besten Fall nur rückschrittlich sind, um im schlimmsten Fall als terroristische Bedrohung zu gelten. Mit diesem Bild lassen sich gut Berichte schreiben, Aufträge kassieren oder populistische Politik betreiben.

Achtung, Verschwörungsfantasien!

Da mit Argumenten nichts zu gewinnen ist, mussten Verschwörungstheorien und Verleumdungen her. Und die sind in ihrer Gesamtheit betrachtet wirklich amüsant – so man nicht um die Dummheit der Menschen trauert.

Auf der muslimischen Seite gibt es einige, die nicht verstehen, wie man mit professioneller Medienarbeit, guten Inhalten und Sprachkenntnissen (!) in die Medien kommt. Das Anzweifeln ihrer religiösen Obrigkeiten gepaart mit Neid und einer Brise Antisemitismus und Antiamerikanismus, bringt dann ungefähr diese Theorien hervor: "Die werden von den Zionisten unterstützt, sind US-finanziert und freimaurerische Obama-Anhänger! Noch dazu Feminismus?! Teufelswerk!"

Auf der anderen, nichtmuslimischen Seite - gefüttert von Pseudowissenschaftern und sogenannten "liberalen" Muslimen - ist man überrascht, inmitten eines katastrophalen Islambilds und neben unglaubwürdigen Islamvertretern "typisch österreichische" Musliminnen und Muslime zu sehen. Hier gehen die Verschwörungstheorien in die entgegengesetzte Richtung: "Das sind Muslimbrüder und Al-Kaida! Die sind Saudi-Arabien/Katar/Türkei-finanziert und leisten Vorarbeit für den Terror!" Und jene, die um ihren Status und ihre Aufträge fürchten: "Die sind fremdgesteuert! Die sind gar nicht so cool, wie sie wirken!" Dabei bin ich mir sicher, dass sie - wenn sie allein sind - unsere Youtube-Videos schauen und sich beim Schmunzeln ertappen.

Zusammengefasst: eine zionistisch-islamistische, sektenartige, radikalfeministische, erzkonservative Türkei/Katar/Saudi-Arabien/US-finanzierte Muslimbrüder-Obama-Connection! Besser könnten es krude Islamophobie-Thinktanks nicht zusammenbasteln!

Unfassbar: Partizipation in einer Demokratie

Überhaupt sei die MJÖ nur gegen den Gesetzesentwurf, weil er die Organisation so hart träfe! Deshalb zum Mitschreiben: Die MJÖ ist ein Jugendverein und kein religiöser Verein. Sie bekommt nur jene Mittel, die auch ähnliche, österreichische Jugendorganisationen bekommen. Deshalb ist sie an sich vom geplanten Gesetz nicht betroffen.

Sehr wohl betroffen sind wir aber als österreichische Musliminnen und Muslime, als vom Rechtsstaat überzeugte und bekennende Demokratinnen und Demokraten, die sich nicht durch das Machwerk weniger als Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse sehen wollen. Wir werden nicht einfach akzeptieren, dass die Existenz von muslimischen Österreicherinnen und Österreichern geleugnet und mit fadenscheinigen Argumenten ein diskriminierendes Gesetz beschlossen wird.

Der intellektuelle Horizont mancher scheint leider nicht sehr weit zu gehen, und ich frage mich: Was daran ist verwunderlich, dass junge Österreicherinnen und Österreicher ein verfassungskonformes Gesetz wollen? Leben wir denn nicht in einer Demokratie? Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sollen nicht nur, sondern müssen partizipieren damit eine Demokratie funktioniert.

Souveränes Auftreten, die Kenntnis unserer Verfassung, das Eintreten für ihre Befolgung und demokratische Partizipation sorgen in Österreich offensichtlich für heftige Verwirrung. Das sollte uns zum Nachdenken anregen. (Dudu Kücükgöl, derStandard.at, 23.1.2015)