Es gibt Momente, die einem in Erinnerung rufen, woher der schöne Ausdruck "Hetz" stammt. Wir verdanken ihn der mittelalterlich-barocken Treibjagd - doch bezeichnenderweise ist daraus im Laufe der Jahrhunderte ein Synonym für "Spaß" geworden. Eine solche Hetz im doppelten Wortsinn genießt die österreichische Öffentlichkeit seit nunmehr drei Monaten am Fall der vormaligen Justizministerin Claudia Bandion-Ortner.

Über sie hat sich seither Häme und Spott ergossen, sie wurde von Vertretern der Richterschaft gerügt, von Parteien gegeißelt, von Amnesty gerüffelt, von Kommentatoren verhöhnt, verlor letztlich ihre Position im fraglos zwielichtigen Abdullah-Zentrum und soll nun - wenn es nach dem Willen von Alfred Noll ("Ein Schlag ins Gesicht für Richter", DER STANDARD, 26. Jänner) geht - auch von einer Rückkehr ins Richteramt ausgeschlossen werden, sind doch ihre "unsagbaren Worte zur Genüge kolportiert worden".

Sind sie das? In der medialen Erinnerung hängengeblieben ist vor allem ein Satz: "Das ist nicht jeden Freitag!" Weniger bekannt ist allerdings, dass Profil das Interview an dieser zentralen Stelle - man verzeihe den harschen Ausdruck - manipuliert hat. In der Gesprächsfassung wurde Bandion-Ortner mit dem Statement aus der Reserve gelockt, dass "jeden Freitagnachmittag nach dem Freitagsgebet öffentliche Hinrichtungen mit dem Krummsäbel stattfinden". "Jeden Freitag", wohlgemerkt, nicht - wie von Profil gedruckt - "an Freitagen". Der Unterschied mag manchem marginal erscheinen, aber er liegt genau auf jenem feinen Grat, der diese Aussage wahlweise entweder als Berichtigung oder als Beschwichtigung erscheinen lässt.

Was ist mit Singapur?

Natürlich hätte Bandion-Ortner, wie etwa der Präsident der Richtervereinigung, Werner Zinkl, moniert, ihren Widerspruch zur saudischen Praxis bereits vor Ort klar deponieren können, und es wäre ihr hoch anzurechnen gewesen. Aber wie üblich ist ein solcher Vorgang? Anlässlich seines Staatsbesuches in Singapur - dem Staat mit der höchsten Hinrichtungsrate weltweit - wollte Bundespräsident Fischer von Premier Lee lediglich wissen, ob dieser sich "vorstellen könne", die Todesstrafe abzuschaffen. Das konnte Lee nicht, aufgrund der Drogenproblematik -, und damit war das Thema offenbar erledigt. Kritik oder gar Protest sehen anders aus.

Zinkl findet es auch "höchst bedenklich", dass Bandion-Ortner die saudi-arabische Abaya "ein bisschen an den Talar erinnert". Mit Verlaub, diese Art von Unbehagen scheint mir nicht ganz ins 21. Jahrhundert zu gehören. Mir würde es in hohem Maß lächerlich erscheinen, die Würde des Gerichts - oder gar die Unabhängigkeit der Justiz (!) - von den subjektiven textilen Erinnerungsphänomenen einer ehemaligen Justizministerin abhängig zu machen.

Bandion-Ortner ist offenkundig nur begrenzt in der Lage, sich kontrolliert-abwägend in einer breiteren Öffentlichkeit zu äußern - das hat das Profil-Interview durchaus klargemacht. Aber der Ruf nach einer Art Berufsverbot geht entschieden zu weit. (Christoph Landerer, DER STANDARD, 29.1.2015)