derStandard.at: 117 Jahre es gedauert, bis eine Frau Rektorin der Wirtschaftsuniversität wurde. Warum so lange?

Hanappi-Egger: Mit Blick auf andere Universitäten könnte man auch sagen, es hat nur 117 Jahre gedauert. (lacht) Ich denke, es ist zeitlich ein gewisser logischer Schritt, dass das jetzt passiert. Die WU hat einen großen Frauenanteil unter den Studierenden, 50 Prozent der Abschlüsse werden von Frauen gemacht. Viele kompetente Wirtschaftsfrauen sind Absolventinnen der WU, wir haben in der letzten Zeit auch einige Professorinnen an die Wirtschaftsuniversität berufen. Es gibt also eine kritische Masse, und es hat Frauen geben, die sich zur Verfügung gestellt haben.

derStandard.at: Im Vergleich zu anderen Unis hat die WU eine relativ hohe Drop-out-Rate. Woran liegt das?

Hanappi-Egger: Man muss vorsichtig sein, was man unter diesem Begriff versteht. Statistisch gesehen fallen unter Drop-out zum Beispiel auch Studierende, die Fächer bei uns einfach nur mitbelegen. Diese haben nie vorgehabt, bei uns ein Studium abzuschließen. Das ist kein echter Drop-out, ebenso nicht die Auslandsstudierenden. Was ich als Problem sehe, sind Leute, die hier ein Studium abschließen wollen, dann aber aufgeben. Vor allem über die Gruppe, die nicht abschließt, weil sich das Studium aus Gründen, die sie nicht selbst verursacht haben, verzögert, gilt es zu diskutieren. Nach der Studieneingangsphase muss das Studieren an der WU ohne Verzögerungen möglich sein.

Foto: Matthias Cremer

derStandard.at: Wie wollen Sie die Verzögerungen verhindern?

Hanappi-Egger: Wir müssen in die Qualität des Bachelorstudiums investieren. Ich glaube, dass wir Studierende mehr motivieren und ihnen mehr Freude am Studium bereiten, wenn wir die Großlehrveranstaltungen reduzieren und dafür mehr Kleingruppen anbieten. Andererseits müssen wir die oft sehr ungleich verteilte Nachfrage am Lehrveranstaltungsangebot gezielter steuern. Denkbar wären etwa strukturierte Wartelistenverwaltungen, die den Studienfortschritt berücksichtigen.

derStandard.at: Müssen Lehrende die Studierenden auch stärker motivieren?

Hanappi-Egger: Lehre muss bei allen Universitätsangehörigen als Kernaufgabe der Universität anerkannt werden. Auch im Gesetz heißt es: Die Universität ist eine Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden. Man ist als Lehrperson nicht nur verantwortlich für die Wissensvermittlung, sondern auch für die Persönlichkeitsentwicklung von Studierenden. Und ganz ehrlich, Uni-Angehörige erleben viele Frustrationen: Projektanträge werden nicht angenommen, Publikationen werden abgelehnt. Diese Ablehnungen kann man durch positives Feedback von Studierenden wettmachen. Die Lehre ist also eine wichtige Motivationsquelle.

derStandard.at: Auf Ihrer Website heißt es, Studien an der WU sind Vollzeitstudien. Haben Sie Pläne, Berufstätigkeit und Studium besser vereinbar zu machen?

Hanappi-Egger: Es ist eine Realität, dass 80 Prozent unserer Studierenden einen Nebenjob haben. Die Vereinbarkeit von Studium mit Beruf und Familie wird uns in der nächsten Periode verstärkt beschäftigen. Eine andere Frage ist, ob es berufsbegleitende Studien zum Vollzeitjob geben soll. Das verlangt den Studierenden einfach wirklich viel ab, ein solches Studium dauert per Definition länger und muss in Abend- und Wochenendschienen gefahren werden. Die Frage ist, ob das ressourcentechnisch machbar und sinnvoll ist. Eine Möglichkeit wäre, das Teilzeitstudium einzuführen.

derStandard.at: Kommen weitere Zugangsbeschränkungen an der WU?

Hanappi-Egger: Wir müssen die bisherigen einmal evaluieren. Wir haben neue Masterplätze geschaffen, die wir in Assessmentverfahren vergeben. Für das wirtschafts- und sozialwissenschaftliche Bachelorstudium gibt es die Zulassungsprüfung, sollten mehr als 3.600 Leute dieses Studium aufnehmen wollen. Dieses Limit wurde zuletzt allerdings nicht überschritten.

derStandard.at: Würden Sie Studiengebühren für alle gutheißen?

Hanappi-Egger: Ich glaube nicht, dass Studiengebühren unsere Probleme lösen oder ein adäquates Mittel sind, um Studierendenströme zu steuern. Studiengebühren als isoliertes Instrument zu diskutieren ist eigenartig. Hinter der Studiengebührenfrage steht eine prinzipielle Frage, die diskutiert werden muss. Ist eine universitäre Ausbildung eine Investition in das sogenannte Humankapital und daher (teilweise) privat zu finanzieren, oder ist sie als öffentlicher Auftrag eine Investition in die gesellschaftliche Entwicklung?

derStandard.at: Wie sehen Sie das?

Hanappi-Egger: Ich glaube, dass die Universitäten einen öffentlichen Auftrag haben.

Foto: Matthias Cremer

derStandard.at: Wären Sie morgen Wissenschaftsministerin, was würden Sie als Erstes verändern?

Hanappi-Egger: Ich würde mich dafür starkmachen, dass Universitäten als wichtige gesellschaftliche Institutionen Anerkennung finden. Öffentliche Universitäten übernehmen mit ihrer Unabhängigkeit eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, sie sind hoffentlich Orte des Diskurses, der kritischen Reflexion und der Innovation. Ich würde mich dafür starkmachen, dass die Wertschätzung dafür auch in der breiten Gesellschaft verankert wird.

derStandard.at: Die Politik müsste mehr PR für die Hochschulen machen?

Hanappi-Egger: Es braucht die Bereitschaft der Politik, sich zu Universitäten als wichtigen Institutionen zu bekennen. Dieses Bekenntnis muss sich in einer ausreichenden Finanzierung der Hochschulen sowie in Investitionen in Wissenschaft und Forschung niederschlagen.

derStandard.at: Sie haben Informatik studiert. Zu welchem Schluss sind Sie gekommen, was die Geschlechterdiskrepanz in technischen und naturwissenschaftlichen Studien betrifft?

Hanappi-Egger: Es geht um die Wissenschaftskultur in diesen Fächern. Wenn man attraktiv sein will, nicht nur für Frauen, sondern für ein breites Spektrum von Leuten, muss man sich schon auch mit der eigenen Organisationskultur beschäftigen, welche Vorstellungen von Technik vermittelt werden und wie diese offener gestaltet werden können.

Die Carnegie Mellon University hat sich einem kritischen Selbstreflexionsprozess unterzogen und ist zu dem Schluss gekommen: Das Image, das man über die Informatik hatte, lautete "coding, sleeping, coding". Das Nerdimage fanden viele, Männer wie Frauen, nicht attraktiv. Um das zu ändern, wurden weitreichende Veränderungen durchgeführt.

derStandard.at: Verbreitet die Informatik heute noch das Nerdimage?

Hanappi-Egger: So ein Branchenimage wird natürlich auch stark über die Medien verbreitet. Als zum Beispiel vor Jahren "Black Beauty" lief, steigerte das das Interesse an Veterinärmedizin, diese ganzen Ärzte- und Ärztinnenserien verstärken sicher das Interesse am Medizinstudium. Das heißt, das ist ein gesamtgesellschaftliches Thema, aber auch die Unis müssen sich damit auseinandersetzen.

derStandard.at: Da Sie sich auch mit Diversität beschäftigen: Wie könnte man den geringen Anteil von "Arbeiterkindern" an den Unis erhöhen?

Hanappi-Egger: Die "soziale Mischung" an den Universitäten ist ein Thema. Ich bin selbst die Erste aus meiner Familie, die studiert hat. Wenn ich zurückdenke, weiß ich noch, dass meine Eltern nicht unmittelbar auf die Idee gekommen wären, dass ich ein Studium machen könnte. Für mich waren aufmerksame Lehrpersonen wichtig, die mich ermutigt haben. Ich meine daher, es kommt ganz stark auf Schulen und Lehrpersonen an, die mitdenken und Jugendliche ermutigen. Außerdem ist natürlich auch die Finanzierungsfrage relevant. Ich halte daher Stehzeiten an den Universitäten auch für ein soziales Problem, weil Studierende ja einen entsprechenden materiellen Hintergrund brauchen, um sie zu überbrücken.

derStandard.at: Steht die "soziale Mischung" der Studierenden auf Ihrer Agenda?

Hanappi-Egger: Ja, ich möchte mir verstärkt anschauen, aus welchen Schulen unsere Studierenden kommen, und über geeignete Kooperationsprojekte nachdenken.

derStandard.at: Sind Sie Fußballfan?

Hanappi-Egger: Das ist eine Anspielung auf meinen Namen, oder? (lacht)

derStandard.at: Ja.

Hanappi-Egger: Ich komme mit meiner Familiengeschichte nicht umhin, auch das Fußballgeschehen ein bisschen zu beobachten. Aber ganz im Sinne meines Schwiegervaters Gerhard Hanappi bin ich der Meinung, dass Fußballspiele zwar hochemotional sein dürfen, aber niemals Anlass für gewalttätige Ausschreitungen. (Katrin Burgstaller, derStandard.at. 29.1.2015)