Bild nicht mehr verfügbar.

Die Zahl der Personen im Maßnahmenvollzug ist über die Jahre stark angestiegen. Nun sollen nicht zurechnungsfähige Personen auch von den Ländern betreut werden, schlagen Experten vor.

Foto: APA/Fohringer

Wien - Vor einem Dreivierteljahr sorgte der Fall eines Häftlings in der Justizanstalt Stein für Aufsehen, dem die Füße verfault waren, weil er in seiner Zelle vergessen worden war. Als Reaktion auf die anhaltende Kritik am Maßnahmenvollzug - vor allem dann, wenn Personen wegen einer im Zusammenhang mit einer "geistigen Abnormität" begangenen Straftat angehalten werden - setzte Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) eine Arbeitsgruppe für eine Reform ein. Am Freitag tagte die Arbeitsgruppe - darin Vertreter des Justizministeriums und unabhängige Experten - zum letzten Mal und hat in ihrem 80-seitigen Abschlussbericht folgende Vorschläge aufgelistet:

  • Begrifflichkeit Die Experten raten, psychisch kranke Täter auch als solche zu bezeichnen. Der Begriff "geistige oder seelische Abartigkeit höheren Grades" solle durch eine "neutrale, so weit als möglich mit Artikel 14 der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vereinbare Definition" ersetzt werden. "Schwerwiegende geistige oder seelische Störung" schlägt die Arbeitsgruppe vor, weil durch den Begriff "Störung" der Krankheitsbegriff im Vordergrund stehe.
  • Verweildauer Derzeit befindet sich etwa jeder zehnte der rund 9000 Insassen im Maßnahmenvollzug, weil er als "geistig abnorm" eingestuft wird. Die Zahl ist in den letzten Jahren angestiegen. "Es gelingt nicht, die zunehmende Zahl der Einweisungen durch steigende Entlassungen zu kompensieren", stellen die Experten fest. Sie soll aber sinken. Bisher konnten Straftaten, die mit nur zwei Jahren Haft bedroht sind, zu einer Einweisung führen. Im Bericht heißt es nun: "Als Anlasstaten kommen nur solche in Betracht, die Verbrechen darstellen und mit einer mehr als dreijährigen Freiheitsstrafe bedroht sind. Eigentumsdelikte ohne Gewalt gegenüber Personen sind ausgenommen." Dass Jugendliche für unbestimmte Zeit in den Maßnahmenvollzug kommen, soll der Vergangenheit angehören.
  • Kompetenzen Die Justiz will nur mehr für die psychisch kranken zurechnungsfähigen Täter zuständig sein. "Nicht zurechnungsfähige Täter/-innen sollen dem Gesundheits- und Sozialsystem der Länder zur Behandlung und Betreuung übergeben werden." Neue Spitalsabteilungen (" therapeutische Zentren") sowie Wohn- und Heimeinrichtungen sollen das möglich machen.
  • Nachbetreuung verbessern Von Anfang an soll klar sein, welche Perspektiven die Häftlinge haben. Mithilfe der Sozialnetzkonferenz soll das soziale Umfeld der Personen einbezogen werden.
  • Gesetzesänderung Schließlich soll der Maßnahmenvollzug durch ein eigenes, bundesweit geltendes Gesetz geregelt werden.

Brandstetter will die Vorschläge prüfen, sagt er zum Standard: "Ich bin dankbar für die tolle Arbeit, die die Experten geleistet haben." Er werde mit den Ländern in Verhandlungen treten. Beate Meinl-Reisinger (Neos) forderte Qualitätsstandards bei Gutachten, Albert Steinhauser (Grüne) mahnte eine baldige Umsetzung ein.

Sollte das nicht passieren, könnte Österreich mit einer Verurteilung konfrontiert werden. Wie im STANDARD berichtet, kritisieren Experten, dass Österreich gegen Artikel fünf der Europäischen Menschenrechtskonvention verstoße, der das "Recht auf Freiheit und Sicherheit" garantiert. (rwh, DER STANDARD, 31.1.2015)