Stiegen als Barriere: Ein gehbeeinträchtigter Wohnungsmieter im 3. Stock klagte den Hauseigentümer, der den Lift nicht sanierte. Das Bezirksgericht entschied "überraschend", so der Behindertenanwalt.

Wien - Wenn in einem Wohnhaus der Personenaufzug abgeschaltet wird, ist das für einen stark gehbehinderten Mann, der in einer Mietwohnung im dritten Stock lebt, logischerweise fatal. So erging es einem älteren Herren im 2. Bezirk in Wien, wie in dem am Mittwoch präsentierten Jahresbericht der Behindertenanwaltschaft nachzulesen ist.

Der Hauseigentümer hatte in dem Fall den Personenaufzug, Baujahr 1945, nicht sanieren lassen wollen, was aber für einen Weiterbetrieb notwendig gewesen wäre, also ging der Lift außer Betrieb. Der betroffene Mieter wandte sich an die Behindertenanwaltschaft, ein Schlichtungsverfahren scheiterte. Eine Klage beim Bezirksgericht Leopoldstadt endete mit einem für Behindertenanwalt Erwin Buchinger "überraschenden" Urteil: Das Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) sei nicht anwendbar, weil das Wohnrecht nicht unter seinen Anwendungsbereich falle, hieß es da. Der Fall liegt beim Landesgericht.

Für Buchinger ist klar, wenn das Landesgericht Wien als nächste (und zugleich letzte) Instanz nicht anders entscheidet, müsse das BGStG novelliert werden. "Ich habe das Gesetz damals teilweise mitentwickelt, das war so sicher nicht gedacht", sagte Buchinger dem Standard. Trotzdem bereite ihm das Urteil des Bezirksgerichts Sorgen.

"Klares Scheitern"

In Bezug auf die Arbeitsmarktpolitik diagnostizierte Buchinger ein "klares Scheitern". Die Zahl der Arbeitslosen mit gesundheitlichen Vermittlungseinschränkungen sei mehr als doppelt so stark (21,6 Prozent) gestiegen wie die Zahl der Personen ohne diese Einschränkungen (um 9,1 Prozent). Hinzu komme, dass eine Evaluierungsstudie des Sozialministeriums über die Lockerungen des Kündigungsschutzes gezeigt habe, dass diese Maßnahmen nichts gebracht hätten. Diese Studie wurde noch nicht veröffentlicht, auf Nachfrage im Ministerium hieß es, dazu könne inhaltlich nichts gesagt werden.

Man verwehre sich gegen den Vorwurf, nichts für Menschen mit Behinderungen zu tun, hieß es weiters aus dem Büro Rudolf Hundstorfers (SPÖ). So sei beispielsweise die Integrationsbeihilfe um zehn Millionen Euro aufgestockt worden - das Geld fließt unter anderem in die Lehrstellenförderung für Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Außerdem sei die Zahl der Arbeitslosen mit Behinderung im Jänner 2015 um 7,6 Prozent geringer gewesen als im Jänner 2014.

Mehr Kinder in Sonderschulen

Was langfristig in die Arbeitsmarktentwicklungen hineinspielt und nach wie vor Probleme bereitet, ist der Bildungsbereich. 2014 waren insgesamt um 2,6 Prozent mehr Kinder in Sonderschulen als 2013. Diese Entwicklung ist für Buchinger alarmierend. Zwar nehme der Bedarf an sonderpädagogischer Betreuung zu, es gebe aber nicht mehr Mittel dafür. Das zeige, dass es zu wenige inklusive Lösungen, bei denen Kinder mit besonderem Förderbedarf am Regelunterricht teilnehmen, gibt.

Insgesamt nahm die Zahl der Beschwerden bei der Behindertenanwaltschaft 2014 deutlich - nämlich um rund 20 Prozent - zu. 1324 Menschen wandten sich im Vorjahr mit der Bitte um Beratung und Unterstützung an Buchinger und sein Team. In 31 Fällen nahm die Behindertenanwaltschaft an Schlichtungsverfahren teil. Buchinger sieht die Zunahme der Beschwerdefälle positiv, denn das zeige, dass "die Bereitschaft, gegen Diskriminierung anzukämpfen, zugenommen hat". (Gudrun Springer, DER STANDARD, 5.2.2015)