Der eine Mieter will in den eigenen vier Wänden qualmen dürfen, der andere nicht zum Passivraucher werden: eine Interessenkollision.

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Nicht nur in Lokalen führt Rauchen zu hitzigen Diskussionen, auch in der eigenen Wohnung wird das Recht auf die Zigarette immer öfter infrage gestellt. In Deutschland mehren sich entsprechende Urteile - und auch in Österreich gerät die letzte Bastion der Raucher unter Beschuss: Vor kurzem entschied ein Wiener Bezirksgericht in erster Instanz, dass ein Mieter auf seiner Loggia und bei geöffnetem Fenster nicht mehr Zigarre rauchen darf. Der Qualm war in die Wohnung seines Nachbarn gezogen.

Beide Lager - Raucher und Nichtraucher - heben in der Debatte ein hohes Gut auf den Schild: die Verteidigung der persönlichen Freiheit. Während die einen befürchten, dass ihnen von Verbotsaposteln der letzte Rückzugsort genommen wird, klagen die anderen über die unzumutbare gesundheitliche Gefährdung durch das Passivrauchen. Ein Interessenkonflikt, der nun auch Gerichte beschäftigt.

"Ich glaube, dass ein Startschuss gegeben wurde", sagt der Wohnrechtsexperte Christoph Kothbauer. Er geht davon aus, dass nach dem Urteil auch andere, die sich vom Qualmen ihrer Nachbarn beeinträchtigt fühlen, vor Gericht ziehen. Der gesamtgesellschaftliche Sinneswandel in puncto Rauchen mache eben auch vor dem Wohnen nicht halt.

"Die Toleranz, die vielleicht früher da war, schwindet", sagt auch Barbara Walzl-Sirk, Bundesobfrau des Mieterschutzverbands. Immer wieder landen derartige Nachbarschaftskonflikte auf ihrem Schreibtisch, besonders in der wärmeren Jahreszeit, wenn Fenster und Balkontüren offen stehen. Die Beschwerden von Mietern, in deren Wohnung Zigarettenrauch oder Küchendunst einzieht, häufen sich auch bei ihren Kollegen.

Rauchverbot auf dem Papier

Scherereien, die sich manch gewitzter Vermieter ersparen will, indem er nur noch an Nichtraucher vermietet. Ein dementsprechender Passus im Mietvertrag sei aber unzulässig, betont Michaela Schinnagl, leitende Juristin bei der Mietervereinigung. Dabei gehe es vielen Vermietern eigentlich gar nicht darum, ein absolutes Verbot festzuschreiben, meint Wohnrechtsexperte Kothbauer. "Der Vermieter will bloß die Folgen des Rauchens für den Mietgegenstand im Rahmen halten." Gegen zwei Zigaretten mit anschließendem Lüften sei daher nichts einzuwenden.

Dass ein Rauchverbot vor Gericht tatsächlich halten würde, bezweifelt man in der Branche ohnehin. Judikatur gibt es dazu (noch) keine: Eine "heikle Frage" wäre für Kothbauer eine strikte Untersagung - besonders dann, wenn keine räumliche Alternative geboten wird. Denn so verlagert sich das Problem an Orte wie in den Hausflur (sofern ein Rauchverbot dort nicht ohnehin in der Hausordnung geregelt ist). "Sollte so ein Rauchverbot einmal thematisiert werden, wird die Rechtsprechung Farbe bekennen müssen", ist er sicher.

Interessenskollision im Wohnbereich

Doch nicht nur Mietrechtsexperten, auch die Rechtsphilosophie ist gefordert: "Momentan schaut es so aus, als würden die Einschränkungen für Raucher zunehmen", bestätigt Elisabeth Holzleithner, Vorständin des Instituts für Rechtsphilosophie, Religions- und Kulturrecht der Universität Wien. Die vielzitierte "individuelle Freiheit" von Rauchern ist für sie jedenfalls ein "recht schlichtes Argument": "Ich kann ja auch nicht aus meiner individuellen Freiheit heraus jemandem eine überziehen."

Im Wohnbereich komme es wegen des Gequalmes zu einer Interessenkollision: "Man raucht nicht für sich selbst, sondern es hat immer Auswirkungen auf andere Menschen."

Droht also die Ausweitung der von vielen beschworenen Verbotsgesellschaft? "Es ist in der Tat so, dass der Trend in Richtung Einschränkung von individuellem Verhalten geht", sagt Holzleithner - nämlich dann, wenn die Gesundheit anderer dadurch betroffen sei.

Trotz der teils emotional geführten Debatte wird sich die Judikatur in der goldenen Mitte einpendeln, glauben Experten. "Bis zu einem gewissen Grad wird man anerkennen müssen, dass jemand in seinen eigenen vier Wänden raucht", sagt Christoph Kothbauer - zumindest solange weder Mietgegenstand noch Nachbarn daran Schaden nehmen. Er rechnet mit vielen Einzelfallentscheidungen vor Gericht, aus denen sich dann ein Standard in der Rechtsprechung entwickle.

Änderung der Hausordnung

Der Wohnrechtsexperte fordert zudem ein "entsprechendes Augenmaß": Noch nie sei ein Mieter tatsächlich aus seiner Wohnung geworfen worden, weil er geraucht hatte. "Es ging bei diesen Urteilen immer um die Konsequenzen des Rauchens", betont er, also etwa um einen erheblich nachteiligen Gebrauch des Mietgegenstands. Auch das Qualmen in den eigenen vier Wänden sei bisher noch niemandem gänzlich verboten worden - sofern entsprechend Rücksicht genommen werde.

Ob das so bleibt, wagt Rechtsphilosophin Elisabeth Holzleithner nicht vorherzusagen: "Früher hat man das Rauchen wie eine Naturgewalt über sich ergehen lassen. Das hat sich geändert."

Doch nicht alle Streitigkeiten müssen vor Gericht landen: Besteht die Bereitschaft zum Gespräch, können Lösungen mit Mediatoren gefunden werden - etwa indem die Hausordnung so geändert wird, dass nur zu bestimmten Zeiten auf dem Balkon geraucht werden darf und die Nachbarn währenddessen die Fenster schließen. Für den eingangs erwähnten Fall dürfte dieser Zug jedoch abgefahren sein: Der Raucher will Berufung einlegen. Der Streit wird in der nächsten Instanz weitergehen. (Franziska Zoidl, DER STANDARD, 7.2.2015)