Also, wie war das gleich? Zwölf Stunden Flugzeit, und noch immer in Europa? Ja, das geht. Mitten im Indischen Ozean unterhält Frankreich - ganz im Stil der Grande Nation - eine kleine Dependance. La Réunion liegt zwar fast 10.000 Kilometer weit weg und deutlich südlich vom Äquator, hat aber ein Mandat im EU-Parlament und auch eines in der Pariser Nationalversammlung. Die ehemalige Kolonie genießt heute den Status eines Überseedepartments, eines "département d’outre-mer" - kurz DOM.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Cirque de Mafate beispielsweise - einer der drei großen Vulkankrater im Inselinneren - trägt den Namen eines Aufständischen.
Foto: REUTERS/Charles Platiau

Und auch sonst wirkt die Tropeninsel ziemlich französisch. Es gibt Baguettes statt Brot, Pasteten statt Wurst und Kreisverkehre statt Ampeln. An die Kolonialzeit erinnert wenig - heute genießt man nicht zuletzt aufgrund der hohen Förderungen einen nahezu europäischen Lebensstil. Nur die Hautfarbe der mehrheitlich kreolischen Bevölkerung weist auf die jahrhundertelange Unterdrückung der aus Afrika verschleppten Sklaven hin. Manche Flurnamen erinnern an die Anführer der zahlreichen Sklavenaufstände auf der Zuckerrohrinsel.

Opfer der Kopfgeldjäger

Der Cirque de Mafate beispielsweise - einer der drei großen Vulkankrater im Inselinneren - trägt den Namen eines Aufständischen. Wie viele seiner Mitkämpfer wurde auch er Opfer der Kopfgeldjäger. Wer in diesen dünn besiedelten, von dichtem Urwald überzogenen alten Krater vordringen will, muss dies zu Fuß unternehmen. Im gebirgigen, stark zergliederten Inselinneren gibt es keine Straße. Die Versorgung der wenigen Bewohner erfolgt mittels Heli. Auch viele Touristen gönnen sich so einen Luxus, den ganzen Vormittag über knattern Helis und Kleinflugzeuge für Aussichtsflüge über die Insel.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der Cirque de Salazie ist einer der drei Kraterkessel, die das Inselinnere bilden. Entflohene Sklaven waren in den abgeschiedenen Tälern die ersten Siedler.

Ab spätestens elf Uhr kehrt dann Ruhe ein: Dichter Nebel hüllt das Gebirge ein. Die schwül-heiße Luft hat sich mit Wasser vollgesogen, und die Wolken stauen sich an der Ostseite der Insel an den Hängen der fast 3.100 Meter hohen Gipfel. Kein Wunder, dass die kleine Insel den weltweiten Regenrekord hält. In 24 Stunden kann hier so viel Wasser vom Himmel stürzen wie in Österreich durchschnittlich in einem Jahr.

Sportlich, sportlich

Trotz der großen Niederschlagsmengen ist La Réunion ein Dorado für viele Outdooraktivitäten. Das Angebot ist vielfältigst, es wird gesportelt, was die Kondition hergibt: Canyoning, Rafting, Paragleiten, Mounainbiken, Reiten, Segeln, Hochseefischen. Und im Winter von Ende Juni bis September kommen noch die Ausflüge zu den Buckelwalen hinzu, die sich aus der Antarktis in wärmere Gefilde zurückziehen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Dichter Nebel hüllt das Gebirge ein.

Ähnlich wie beispielsweise auch auf den Azoren im Atlantik gibt es unzählige Mikroklimen. Während es an der Ostküste in der Regenzeit von Dezember bis März nahezu täglich regnet, bleibt es an der Westküste trotz drohend aufziehender Wolken meist trocken. Gepaart mit den durch die enormen Höhenunterschiede auf kleinstem Raum begünstigten verschiedenen Vegetationszonen kommt eine unüberschaubare Vielfalt an Landschaften zusammen. Fast die Hälfte der Insel ist von der Unesco zum Weltnaturerbe erklärt worden.

Für passionierte Wanderer ist das Eiland ein Paradies. Die Wege und Steige sind gut markiert und werden für die überwiegend aus Frankreich stammenden Touristen bestens gepflegt. Dazu kommt, dass es keinerlei gefährliche oder giftige Tiere gibt. Man kann also auch getrost mit Flip-Flops in den Wald gehen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der ganze kulinarische Stolz der Insel ist freilich eine Orchideensorte, die Vanille. Die Bourbonvanille gilt als eine der hochwertigsten Vanillesorten weltweit.

Die einzige Gefahr lauert in der Luft: Tagaktive Moskitos können das Dengue-Fieber übertragen. Da helfen nur Mückensprays. Und auch am Meer sollte man sich tunlichst an Badeverbote und Warnungen halten. Im Wasser lauern die gefährlichen Bullenhaie. Es ist in den vergangenen Jahren wiederholt zu tödlichen Haiunfällen gekommen. Wirklich sicher ist man nur hinter dem großen Riff an der Westküste, das für die Haie eine natürliche Barriere bildet.

Die Vanilleinsel

Dass sich der Tourismus hier fast ausschließlich auf Gäste aus dem Mutterland konzentriert, haben sich die Réunioner irgendwie selbst zuzuschreiben. Man spricht hier Französisch und nur Französisch. Englisch gibt’s bestenfalls am Flughafen in der Hauptstadt St. Denis. Und auch dort meist nur mit Händen und Füßen.

Wer des Französischen nicht mächtig ist, sollte sich zumindest einen kulinarischen Sprachführer mitnehmen. Sonst droht er das Beste zu versäumen: La Réunion ist nämlich eine Schlemmerinsel. Und das betrifft nicht nur die frisch geernteten Ananas, Litschis, Mangos, Bananen oder den Rum, der mit verschiedensten Gewürzen versetzt wird.

Bild nicht mehr verfügbar.

La Réunion ist eine Schlemmerinsel.

Die Küche von Réunion ist - obwohl mitten im Meer gelegen - erstaunlich fleischlastig. Die auch im europäischen Mutterland obligatorische Blutwurst findet man auf allen Karten. Das Nationalgericht ist aber das Carri, ein Curryeintopf, den es in so ziemlich allen erdenklichen Varianten gibt. Isst man als Ausländer ein Carri pat’cochons (eine Art Klachelsuppe mit Curry) mit Genuss, steigt man in der Achtung aller Wirtsleute gleich um mehrere Stufen.

Ein Zwölfjähriger hat's herausgefunden

Der ganze kulinarische Stolz der Insel ist freilich eine Orchideensorte, die Vanille. Die Bourbonvanille gilt als eine der hochwertigsten Vanillesorten weltweit. Dass auf Réunion diese überhaupt kultiviert werden kann, verdankt man übrigens einem Zwölfjährigen.

Alle Versuche, die Vanille in Réunion heimisch zu machen, scheiterten am Fehlen der richtigen Bienenart, die zum Bestäuben der Pflanze wichtig ist. Erst Mitte des 19. Jahrhunderts hat dann ein zwölfjähriger Sklave den Dreh gefunden, wie man Vanille künstlich bestäuben kann. Heute gehört die Vanille zu den wichtigsten Exportartikeln der Insel. (Thomas Neuhold, Rondo, DER STANDARD, 13.2.2015)