Die Identitären beim Aufmarsch im Mai 2014: Statt "Überfremdung" heißt es jetzt "Islamisierung".

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Hitlergruß und "Sieg Heil"-Rufe beim Pegida-Aufmarsch in Wien, eine nicht abreißende Serie an antisemitischen Attacken in Salzburg, die Schändung des Mauthausen-Memorials – rechtsextreme Vorfälle häufen sich. Das zeigt sich auch in der Anzeigenstatistik: Das letzte verfügbare Statistikjahr 2013 brachte einen Spitzenwert rechtsextremer Taten.

Rechtsextremismus kein Delikt

Experten warnen jedoch davor, das Problem nur von der strafrechtlichen Seite her zu betrachten. Einerseits deshalb, weil der größte Teil der Szene nie erwischt wird – und wenn es denn zu Verurteilungen kommt, sind diese oft von Märtyrermythen begleitet. Andererseits, weil Rechtsextremismus in Österreich, anders als in Deutschland, kein strafbares Delikt ist: Nur was unter den strengen Paragrafen des Verbotsgesetzes fällt, kann geahndet werden. Alles, was rechtsextrem, aber nicht unbedingt neonazistisch ist, bleibt ungestraft, ist deshalb aber nicht weniger bedrohlich. Wie mit dem Phänomen Rechtsextremismus umgegangen werden kann, war Thema einer vom grünen Nationalratsklub veranstalteten Tagung im Parlament am Freitag.

Den Erfolg verstehen

Wer den Erfolg des Rechtsextremismus verstehen will, müsse begreifen, welche Angebote er den Betroffenen macht – nur so könne man wirksam vorbeugen und Ausstiegsmöglichkeiten bieten, ist Andreas Peham vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (DÖW) überzeugt: Junge Menschen fänden in rechtsextremen Kreisen ein emotionales Umfeld, das sie anderswo vergeblich suchen.

Zentral ist dabei auch ein übersteigerter Maskulinismus, der auf junge, sich ohnmächtig fühlende Männer eine gewisse Faszination ausüben mag. Anders gesagt: Hier finden männliche Teenager einen klaren, auf pseudomännlichen Elementen basierenden Verhaltenskodex, eine eindeutige Hierarchie. Erfüllen sie die klaren Regeln, respektieren sie die hierarchische Ordnung, sind sie Teil der Gruppe – und erfahren eine Art von Akzeptanz, die sie in anderen Gruppen nie bekommen würden, weil sie dort möglicherweise als schüchtern und uninteressant gelten würden.

Vielen sei unklar, was Rechtsextremismus eigentlich ist, sagt Peham – schließlich finde sich Antisemitismus oder Rassismus auch in anderen Strömungen, die nicht rechtsextrem sind.

Straches "grobe Verharmlosung"

Rechtsextremismus geht darüber hinaus: Er behauptet nicht nur, dass es von Natur aus eine Ungleichheit zwischen bestimmten Menschengruppen gibt und dass jeder Versuch, sich aus dieser Ungleichheit zu emanzipieren, abzulehnen ist, sondern birgt auch einige andere Elemente: Rechtsextremen ist das Volk wichtiger als das Individuum, sie sind immer antisemitisch, antifeministisch und pflegen eine "weiche" Form der Geschichtsfälschung, sagt Peham. So etwa, wenn Heinz-Christian Strache deutschnationale Burschenschafter als "neue Juden" oder Antifaschisten als "SA" bezeichnet – und damit "eine grobe Verharmlosung nationalsozialistischer Verbrechen" betreibt, wie Peham meint.

Rechtsextreme als Ewiggestrige zu bezeichnen wird ihnen nicht gerecht: Sie passen sich durchaus an, unterwerfen sich Moden. Statt "Überfremdung" ist heute von "Islamisierung" die Rede, anstatt offen Juden anzugreifen, wird die "US-Ostküste" oder die "Hochfinanz" kritisiert. Die Betroffenen machen sich auf diese Weise zwar weniger leicht angreifbar, an der dahinterstehenden Ideologie hat sich aber wenig geändert.

"Es laufen draußen noch sehr viele Breiviks herum", warnt Peham. Die von dem rechtsextremen Terroristen aus Norwegen gepredigte und militant vertretene "Wahnvorstellung, dass Europa strukturell islamisiert wird", sei durch dessen Verurteilung nicht getilgt.

Wenn Eltern gewalttätig sind

Der in Österreich strafbare Neonazismus ist die militante, gewaltsame Ausprägung des – legalen – Rechtsextremismus. Während die Kader der Neonazi-Szenen oft aus Familien stammen, die seit Generationen in der extremen Rechten verortet sind, handelt es sich bei der breiten Basis der Szene um Ideologieferne, die oft selbst zuhause Gewalt erlebt hätten. Diese unbewältigten Erfahrungen in eigener Aggression auszuleben sei ihnen oft nur in der rechtsextremen Szene möglich, meint Peham – hier erhalten sie die Botschaft "Du darfst hassen".

Warum aber bleiben rechtsextreme Gewaltakte und neonazistische Wiederbetätigung so oft unbestraft – ist die Polizei, wie oft behauptet wird, tatsächlich "auf dem rechten Auge blind"? Tatsächlich laste auch auf den ermittelnden Beamten politischer Druck, sagt Robert Eiter vom oberösterreichischen Mauthausen-Komitee. So werde Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) nicht müde zu betonen, dass "Oberösterreich kein Naziland ist", so Eiter. Anders gesagt: Um das Bundesland vor schlechter Nachrede zu bewahren, rede man das Problem der – in Oberösterreich gut organisierten – rechtsextremen Szene klein. Jungen, engagierten Beamten werde schnell vermittelt, dass sie die Finger von dem Thema lassen sollen, wenn sie sich die Karriere nicht verbauen wollen, meint Politikwissenschafter Lars Ostermeier vom Wiener Zentrum für Sozialwissenschaftliche Sicherheitsforschung (VICESSE): "Wie kann ich mich bei meinem Vorgesetzten beliebt oder unbeliebt machen? Die meisten Beamten spüren das sehr genau", sagt Ostermeier.

Darüber hinaus feiert die FPÖ-Polizeigewerkschaft AUF Erfolge, die zum Teil einer latenten Unzufriedenheit mit der Arbeit der traditionellen Gewerkschaftsfraktionen geschuldet ist. Dass freiheitlich gesinnte Polizisten zum Teil weniger ambitioniert gegen rechtsextreme Szenen, die häufig eine personelle Nähe zur FPÖ aufweisen, ermitteln, wäre zumindest theoretisch nicht verwunderlich.

Rechtsextreme als Facebook-Meister

Der frühere grüne Nationalratsabgeordnete und Szenekenner Karl Öllinger sieht die hohe Social-Media-Kompetenz der rechtsextremen Szenen als Hauptproblem der heutigen Zeit: Das Arbeiten mit eindrucksvollen Bildern und Videos erzeuge Emotionen – "und in dieser Emotion vergessen sich die Leute". Auch die FPÖ begnüge sich oft damit, Bilder oder Videos von Enthauptungen zu zeigen, ohne dem einordnende Informationen beizustellen – die Bilder sprechen für sich selbst und vereinnahmen die Betrachter für die Partei.

Ex-Polizist und Rechtsextremismus-Experte Uwe Sailer hält die Verfolgung von Neonazi-Gruppen für "einfache Polizeiarbeit": "Der Neonazismus spricht Deutsch, die Gruppe ist relativ überschaubar, ich muss sie nur unter Beobachtung halten – aber das passiert nicht." Das habe auch organisatorische Gründe: Beim Verfassungsschutz wechsle das Personal zu häufig, dadurch gehe Expertise verloren. Denn der beste Kriminologe sei kein Computeralgorithmus, meint Ostermeier, sondern "der gute alte Wachmann, der an der Ecke steht und die Leute vom Gesicht her kennt".

Dass Gesellschaften die Aufgabe, Rechtsextremismus zurückzudrängen, nicht vollends an die Polizei delegieren können, glaubt auch der grüne Justizsprecher Albert Steinhauser: "Gewinnen kann man den Kampf nur, wenn es eine starke Zivilgesellschaft gibt, die zeigt, dass die Straße nicht den Rechtsextremen gehört." (Maria Sterkl, derStandard.at, 13.2.2015)