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Im Rif-Krieg wurden Schätzungen zufolge täglich bis zu 1.680 Senfgasbomben abgeworfen.

Foto: picturedesk.com / Roger Viollet / Albert Harlingue

Es ist ein schwarzer Fleck in Spaniens Geschichte: der Rif-Krieg (1921–1927) in den damaligen Nordafrikaprovinzen. Er richtete sich gegen die nach Selbstverwaltung strebende Rif-Republik der Kabylen, angeführt von Emir Mohammed Abd al-Karim al Chattabi, die den Besatzern Spaniens (rund 26.000 Mann) und dem späteren Expeditionsheer Frankreichs (knapp 700.000 Soldaten) mit anfangs nur 3.000 Kämpfern einen Guerilla-Krieg lieferten.

Doch die Rif-Kabylen galten bei den Spaniern nicht als Menschen, sondern Barbaren. So war der massive Chemiewaffeneinsatz für sie eine gerechtfertigte Reaktion – auch auf die Schlacht von Annual im Jahr 1921, in der binnen weniger Wochen rund 10.000 spanische Soldaten getötet wurden. Spaniens König Alfonso XIII. reagierte pragmatisch: "Lassen wir eitle humanitäre Überlegungen beiseite. Mithilfe des tödlichsten aller Gase werden wir viele Leben retten. Man muss den Feind ausrotten, als wäre er die böseste Bestie."

Täglich bis zu 1.680 Senfgasbomben

Ebenjene überlieferten Zeilen finden sich in der Ende Dezember des Vorjahres erschienenen Monografie "Chemische Massenvernichtungswaffen im Rif" aus der Feder des marokkanischen Historikers Mimoun Charqi. Er versucht, auch die Spätfolgen des blutigen Konflikts zu beleuchten.

In Armeearchiven fand Charqi dokumentierte Befehle wie jenen vom frühen Morgen des 22. März 1925 aus Melilla. Das dort stationierte Oberkommando ordnete den Abwurf von 100 Bomben des Typs "C-5" über den Grenzposten von Larbaa En Taourirt an. Diese waren mit Senfgas gefüllt und wurden nicht nur gegen feindliche Stellungen, sondern auch gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt.

Tausende starben bei den Angriffen, eine unbestimmte Zahl an Menschen litt noch lange an den langfristigen Folgen. Es galt, stets an sonnigen, warmen und windstillen Markttagen den Souk zu bombardieren, um die Zahl ziviler Opfer zu maximieren. Das ätzende Senfgas macht einen blind, greift die Atemwege an und führt zu einem qualvollen Erstickungstod. Und das Gift gelangte in die Umwelt, die Flüsse und das Grundwasser.

Von acht Flughäfen in Nordafrika flog man mit 127 Bombern Giftgasangriffe, bei denen Schätzungen zufolge täglich bis zu 1.680 Senfgasbomben abgeworfen wurden.

Reparationszahlungen

Charqi stieß auf ein beunruhigendes Detail. Fast 80 Prozent der Erwachsenen und 50 Prozent der Kinder, die auf der Krebsstation am Avicenas-Spital in der marokkanischen Hauptstadt Rabat behandelt werden, stammen aus ebendieser Region des Rif. Selbiges Bild zeigt sich am Spital von Nador oder der Provinz Al-Hoceima – landesweit Spitzenreiter bei Krebserkrankungen.

Die NGO "Für den Schutz der Opfer des Giftgases im Rif" wandte sich unlängst an Spaniens König Felipe VI. und Frankreichs Präsident François Hollande. Die Organisation fordert Anerkennung und Hilfe sowie Entschädigungen von Paris und Madrid. Beide Staaten mögen "endlich Verantwortung übernehmen".

Reparationszahlungen standen unter Spaniens sozialistischer Regierung von Expremier José Luis Rodríguez Zapatero zur Debatte, wurden jedoch von dessen Nachfolger Mariano Rajoy (Partido Popular) wieder verworfen. (Jan Marot aus Granada, DER STANDARD, 16.2.2015)