Spinnennetz aus biotechnologisch hergestellten Spinnenseidenproteinen.

Foto: Gregor Lang/Uni Bayreuth

Bayreuth - Spinnenseide ist ein technologisch hochinteressantes Material, weil sie Festigkeit und Elastizität in einzigartiger Weise verbindet: Sie ist stärker belastbar als alle anderen in der Natur vorkommenden oder vom Menschen produzierten Fasern. Forschern der Universität Bayreuth um Thomas Scheibel ist es nun gelungen, den Prozess der Seidenherstellung in der Spinne vollständig zu entschlüsseln und nachzuahmen.

Jede Faser aus Spinnenseide enthält Millionen von Proteinen, die auf einzigartige Weise miteinander vernetzt sind. Jedes Protein besteht dabei aus drei Teilen, aus sogenannten Domänen: Eine lange Kette von kurzen, sich hundertfach wiederholenden Aminosäuresequenzen bildet die große Kerndomäne. An ihrem einen Ende befindet sich eine Molekülgruppe, die eine freie Aminogruppe enthält und deshalb "N-terminale Domäne" heißt. Am anderen Ende der Kette hängt eine Molekülgruppe, die als "C-terminale Domäne" bezeichnet wird.

Unterschätzte Proteindomänen

"Die herausragenden Eigenschaften der Spinnenseide resultieren aus dem Zusammenspiel dieser drei Proteindomänen", sagt Scheibel. "Dabei hängen die Festigkeit, Elastizität und weitere mechanische Eigenschaften einer Seidenfaser entscheidend davon ab, aus welchen Aminosäuren sich die Kerndomäne zusammensetzt." In dieser Hinsicht gäbe es große Unterschiede von Seidenart zu Seidenart und von Spinne zu Spinne.

Die C- und die N-terminalen Domänen seien hingegen bei allen Spinnen annähernd gleich: Sie übernehmen wichtige Steuerungsfunktionen, wenn es darum geht, die einzelnen Spinnenseidenmoleküle in eine reißfeste Seidenfaser zu verarbeiten. Die Bedeutung dieser beiden Steuerdomänen sei in früheren Forschungsarbeiten häufig unterschätzt worden, so Scheibel.

Kugelförmige Speicherform

In der Spinne finden sich die einzelnen, im Drüsengewebe entstandenen Proteine im Spinndrüsensack zusammen. Hier bilden sie kugelförmige Strukturen (Mizellen), die Eigenschaften von Flüssigkristallen aufweisen, wie die Forscher in "Advanced Materials" berichten. Die Kerndomänen der Seidenproteine sind im Inneren der Mizelle platziert, ihre Enddomänen befinden sich hingegen an der Mizellenoberfläche.

Dabei sind die C-terminalen Domänen paarweise verknüpft, während die N-terminalen Domänen lose Enden bilden. "Diese kugelförmige Anordnung der Seidenprotein-Paare ist eine extrem stabile Speicherform, die eine ungewollte Faserbildung komplett unterdrückt", erklärt Scheibel. "Sie hat zugleich den Vorteil, dass sie die Seidenproteine so vororientiert, dass sie für eine rasche Faserproduktion zur Verfügung stehen."

Vielfältige Anwendungsmöglichkeiten

Denn sobald die Spinne eine Faser benötigt, drückt sie die Spinnlösung aus dem Drüsensack in den Spinnkanal. Hier werden störende Wassermoleküle, die sich noch an den Oberflächen der Seidenproteine befinden, entfernt. Zugleich sinkt der pH-Wert, so dass die bisher losen N-terminalen Domänen der Seidenprotein-Paare ihre Struktur ändern und sich mit anderen N-terminalen Domänen verklammern. Die Spinne kann die Fasern dann aus dem Spinnkanal herausziehen, indem sie beispielsweise ihre Hinterbeine zu Hilfe nimmt.

Das bessere Verständnis und die erfolgreiche Nachahmung dieser Mechanismen eröffne weite Anwendungsgebiete, etwa in der Textilindustrie oder der Medizintechnik, so die Forscher. (red, derStandard.at, 28.2.2015)