Oben die Fälschung, unten das Original: Das Laniocera-Küken imitiert in Aussehen und Verhalten eine giftige Megalopygidae-Raupe. Die hätte der Forscher nicht in die Hand genommen.

Fotos: Santiago David Rivera und Wendy Valencia

Insekten, die durch Mimikry vorgeben, ein potenziell gefährliches Tier zu sein, um nicht gefressen zu werden, kennt man viele. Ein Vogel, der sich aus demselben Grund als Insekt tarnt, das jedoch ist außergewöhnlich. Im Amazonastiefland glauben Forscher auf einen solchen Fall gestoßen zu sein.

Gustavo A. Londoño von der Universität Kalifornien machte die Entdeckung zusammen mit kolumbianischen Kollegen im Tal des Río Madre de Dios im Südosten Perus. Dort lebt Laniocera hypopyrra, ein Sperlingsvogel aus der Familie der Tityridae, von dem insgesamt erst zwei Nester gefunden werden konnten.

Ähnlichkeiten

Während erwachsene Exemplare ein unauffälliges aschgraues Gefieder tragen, sind ihre Küken in ein flauschiges Daunenkleid von grellem Orange gehüllt. Die langgestreckten Federn, die in weißen Spitzen auslaufen, ähneln Borsten und finden laut den Forschern bei keinem anderen Vogel in der Region ihresgleichen.

Dafür sichteten die Forscher im selben Lebensraum ein völlig anderes Tier, dessen Aussehen sie sofort an die Vogelküken erinnerte: Die Raupen der Schmetterlingsfamilie Megalopygidae sind nicht nur groß, sondern auch dicht mit Haaren bedeckt - und bei einigen Arten auch leuchtend orange. In ihrem Fall dient das auffällige Äußere als Warnung an Fressfeinde: Ihre sogenannten Brennhaare sind nämlich giftig und setzen sich mit Widerhaken in der Haut eines Angreifers fest. Das enthaltene Gift ist auch für Menschen unangenehm und kann im Extremfall sogar Lähmungserscheinungen hervorrufen.

Verhalten verstärkt die optische Wirkung

Und hier kommt die Hypothese von Londoño und seinen Kollegen ins Spiel: Sie glauben, dass die Laniocera-Küken solche Raupen imitieren, um Angreifer abzuschrecken. In ihrem Lebensraum wimmelt es nur so vor potenziellen Nesträubern, von Schlangen über Kleinsäugetiere bis zu anderen Vögeln. In einem so lebensbedrohlichen Umfeld könnte die Evolution daher diese besondere Form der Mimikry hervorgebracht haben, so Londoño.

Als weiteres Indiz werten die Forscher das Verhalten der Küken. Sobald sich die Menschen dem gefundenen Nest näherten, begann das Küken darin nämlich, seinen Kopf langsam seitlich hin- und herzubewegen - ganz ähnlich also, wie es auch Megalopygidae-Raupen tun.

In ihrer in "The American Naturalist" veröffentlichten Studie kommen die Forscher daher zum Schluss, dass sie es hier mit einem Fall von Bates’scher Mimikry zu tun haben, also der Nachahmung eines gefährlichen Tiers. Trifft die Hypothese zu, würde es sich um einen der raren Fälle handeln, in denen ein Wirbeltier zu dieser unter Insekten weit verbreiteten Schutzstrategie greift. (jdo, derStandard.at, 27. 2. 2015)