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Am 24. Februar 1918 wurde die Unabhängigkeit Estlands proklamiert - seitdem ein Feiertag für Bevölkerung und Militär. Die Parade des Jahres 2015 hatte freilich eine besondere Konnotation.

Foto: AP / Liis Treimann

Tallinn/Moskau - Panzerfahrzeuge, mit US-Flaggen geschmückt, rollen durch das Zentrum von Narwa, der östlichsten Stadt Estlands. Amerikaner, Briten, Niederländer, Spanier, Letten und Litauer nehmen gemeinsam mit estnischen Soldaten an der Militärparade zum Unabhängigkeitstag des Landes teil. Die Nato demonstriert Präsenz - und das nur wenige Hundert Meter von der russischen Grenze entfernt.

Moskauer Medien sprachen von einer Provokation. Der Kreml reagierte auf seine Art: Mittwoch begann an der Grenze ein russisches Manöver mit rund 2000 Soldaten. Höhepunkt, so hieß es, sollte ein Massenabsprung von Fallschirmjägern sein. Die Beziehungen zwischen den beiden Nachbarländern sind seit Jahren gespannt.

Sowejt-Okkupation nicht vergessen

Der Ukraine-Konflikt hat den Gegensatz nur noch verschärft: "Die Ereignisse in der Ukraine, die die ganze Welt seit einem Jahr bebenden Herzens verfolgt, zeigt deutlich, dass wir uns selbst um unsere Sicherheit und die Unverletzlichkeit unseres Staates kümmern müssen", sagte Präsident Toomas Hendrik Ilves auf der Parade.

Die politische Elite des Landes hat das halbe Jahrhundert sowjetischer Okkupation nach dem Hitler-Stalin-Pakt nicht vergessen und fürchtet, dass Moskau mithilfe der russischen Minderheit ein ähnliches Szenario wie auf der Krim realisieren könnte. Die Angst vor dem so genannten "russischen Frühling" im Baltikum bestimmt auch den Wahlkampf in Estland.

Eine Million Stimmberechtigte, 101 Abgeordnete

Knapp eine Million Stimmberechtigte im Land sind aufgerufen, 101 Abgeordnete für das neue Parlament zu wählen. Zehn Parteien sind zur Wahl zugelassen, Chancen auf einen Einzug in die Riigikogu - estnisch für Staatsversammlung - haben allenfalls sechs Parteien, wobei die rechtspopulistischen Parteien EKRE und EVA es Umfragen zufolge schwer haben werden, die Fünf-Prozent-Hürde zu überwinden.

Das eigentliche Wettrennen um den Sieg findet zwischen der liberalen Reformpartei des amtierenden Ministerpräsidenten Taavi Roivas und der als prorussisch geltenden Zentrumspartei des Tallinner Bürgermeisters Edgar Savisaar statt. Umfragen sehen einmal die eine, einmal die andere Partei vorn; die Werte schwanken zwischen 22 und 26 Prozent.

Mögliche Linkskoalition

Dahinter liegen die estnischen Sozialdemokraten (zwischen 16 und 20 Prozent) und das konservative Bündnis Pro Patria und Respublica (IRL, 14 bis 15 Prozent). Potenziell wäre eine Koalition zwischen Sozialdemokraten und Zentrumspartei denkbar, da beide Parteien dem linken Spektrum zugeordnet werden - im Wahlkampf köderte Savisaar Anhänger mit dem Versprechen, einen Mindestlohn von 1000 Euro durchsetzen zu wollen.

In der Realität ist ein Pakt zwischen den beiden Kräften derzeit weit weniger wahrscheinlich. Die Sozialdemokraten haben stattdessen vor einem Jahr die IRL als Koalitionspartner der Reformpartei abgelöst. Grund für die Ausgrenzung der Zentrumspartei ist deren zumindest vermutete Nähe zu Moskau.

Kritik nach Sotschi-Reise

Dabei rücken Savisaar nicht die berechtigten Forderungen nach einer Gleichberechtigung der seit Jahren diskriminierten russischstämmigen Minderheit, immerhin fast 400.000 Menschen im Land, ins Zwielicht potenzieller Partner, sondern seine angeblich engen Kontakte zum russischen Bahnchef Wladimir Jakunin, einem engen Vertrauten Wladimir Putins.

Eine von der russischen Bahn teilfinanzierte Reise ins olympische Sotschi brachte ihm zuletzt Kritik ein. Eigentlich eine Lappalie - wäre da nicht ein vier Jahre zurückliegender Skandal: Damals sollen rund 1,5 Millionen Euro von Jakunin an Savisaar geflossen sein. Savisaar erkärte, das Geld sei für den Bau einer orthodoxen Kirche in Tallinn gedacht gewesen, doch der Verdacht blieb, dass die russische Führung der Zentrumspartei damit auch den Wahlkampf finanzierte. (André Ballin, DER STANDARD, 26.2.2015)