Jetzt sind die Hecken noch nicht dicht und man kann sich wertvolle Anregungen für den eigenen Garten holen.

Illustration: Dennis Eriksson

Bald ist wieder viel zu tun. Doch zuvor soll man seinem wichtigsten Trieb, der Neugier, nachgeben. So viele Gärten gibt es in den Städten. Und so viele Hecken gibt es um diese Gärten. Jetzt ist die Zeit, sich all das anzusehen. Nicht, dass sich einem blühende Paradiese öffnen. Man muss nehmen, was man bekommt. Aber allein die Tatsache, etwas zu bekommen, ist Grund genug, es zu nehmen. Mit anderen Worten: Noch treiben Heckenpflanzen nicht aus, noch schieben sich keine frischen Triebe ins Bild, noch kann man durch blattfreie Sträucherwände in die Gärten der anderen sehen.

Jedoch nicht mehr lange, denn in wenigen Wochen stehen die grünen Mauern wieder habt acht. Dann können sich Villenbewohnerinnen, Cottagegartler und Kleingärtnerinnen geschützt vor fremden Blicken ihrem Tun völlig hingeben. Wie schade.

Nichts zu verbergen

Was könnte man schon von außen sehen? Was wäre denn verbergenswert? Hier ein schnarchender Gartler auf seiner Pritsch'n dösend, da eine Clematistriebe ordnende Gärtnerin vor ihrer Hausmauer – nichts Ungewöhnliches also. Und doch, blickdicht bleibt blickdicht und Käfig bleibt Käfig. Wie schade.

Wo man nicht hineinsehen kann, kann man auch nicht rausschauen. Wo Blicke einander nicht treffen können, findet keine Kommunikation statt. Und alles Leben ist Kommunikation. Es spricht nichts gegen blickdichte Winkel, in denen man unbeobachtet hinlullen oder unbemerkt das alte Frittierfett entsorgen kann. Soll man sich ruhig einrichten, ist schon gut so. Aber die weiten Teile des Gartens sollten lückenhaft umheckt bleiben, das öffnet den Horizont.

Weil das allerdings kaum wer tut, weil der Homo thuiaferensis, also der gemeine Thujenhochzieher, es nicht lassen kann, sich einzuschachteln, gibt es nur jetzt und das nur wenige Wochen lang die Möglichkeit, in fremde Gärten zu sehen. Nur dort sind Inspiration und Gesprächsthemen zu finden, nur dabei kann man sich am gärtnerischen Ungeschick anderer delektieren – oder an deren gestalterischem Können verzweifeln.

Ziehet also hin zu den Kleingärten auf der Schmelz, durchwandelt die Cottageviertel an den Hängen des Schafbergs und staunt, wozu die Mitmenschen in ihren Gärten imstande sind. Bald sind Hasel und Hainbuche wieder dicht, bald prallen Blicke an Forsythien, Pfeifen- und Ranunkelsträuchern ab, und die Menschen und Gärten dahinter tauchen wieder ein in die biedermeierliche Wohligkeit des abgeschlossenen Privaten. Wie schade. Es ist Zeit für einen neuen Vormärz! (Gregor Fauma, Rondo, DER STANDARD, 6.3.2015)