Helena Rizzo zaubert wohlschmeckende Gerichte aus wilden Früchten, Wurzeln und Kräutern, die im Gebiet des Amazonas wachsen.

Foto: Maní Manioca

Die Frau gilt zurzeit als heißestes Ticket der brasilianischen Küche, wo sich das Karussell der Hypes und Trends längst ähnlich schnell dreht wie in der Alten Welt. Wie Superstar Alex Atala (siehe RONDO vom 18. 10. 2013) schöpft auch sie aus der Schatzkiste an wilden Früchten, Wurzeln, Kräutern, die das gewaltige Ökosystem des Amazonas birgt - und von dem bis heute nur indigene Völker wirkliche Ahnung haben.

Eine Idee davon präsentierte sie zum Auftakt der Nespresso-Gourmet-Wochen heimischen Journalisten in Wien, wo die fulminant exekutierten Gerichte mit Caju (die Frucht, von der unsereins nur die Nuss - Cashew - kennt), Maniok und Pfeilwurz für Staunen und Begeisterung sorgten.

Unter anderem lässt Helena Rizzo in ihrem "Maní" in São Paulo ein Fine-Dining-Menü in neun Gängen auffahren, dabei "langweilt" sie das zusehends, wie sie im Interview anklingen lässt. Außerdem erklärt das 36-jährige Ex-Model, warum die neue brasilianische Küche Relevanz für den Rest der Welt hat, was gutes Essen heute sein soll und warum sie als Köchin Fragen zum Feminismus als Belästigung empfindet.

STANDARD: Alle reden vom Hype um die neue brasilianische Küche, Foodies balgen sich um Tische in den Top-Restaurants von São Paulo und Rio. Was wird bleiben, wenn der Hype verpufft ist?

Helena Rizzo: Zuerst einmal ein neues Selbstbewusstsein für unsere Küche. Wenn die Wichtigen von anderswo bemerken, dass unsere Küche ein paar eigenständige, gültige Akzente im internationalen Wettbewerb setzen kann, dann hat das auch Auswirkungen zu Hause.

STANDARD: Und für die Welt der Küche allgemein?

Rizzo: Wir sind ja erst am Anfang unserer Reise in die Geschmäcker des Amazonas. Aber ich denke, dass jeder, der einmal Tucupí gekostet hat, das immer wieder haben will.

STANDARD: Tucupí? Was ist das?

Rizzo: Der fermentierte Saft des Bittermanioks, der nach indianischer Tradition aus der Knolle gepresst und gekocht wird.

STANDARD: Klingt ad hoc nicht wie etwas, worauf die Stars der edlen Küche gewartet hätten.

Rizzo: Nicht, wenn man es nicht gekostet hat. Tucupí ist eine meiner Lieblingszutaten, es hat eine einzigartige Kombination aus Säure, Fruchtigkeit und Umami, die man immer wieder schmecken will! Ich verwende ihn zum Beispiel gebunden mit Pfeilwurzmehl, um darin Fisch zu servieren. Dazu eine speziell geröstete Farofa, fertig ist ein Gericht, das vor einzigartigen Aromen und Konsistenzen nur so strotzt und ganz von der indianischen Tradition Brasiliens beseelt ist.

STANDARD: Farofa? Noch so eine Zutat, von der hier niemand weiß.

Rizzo: Weil ihr keinen Maniok verwendet! Farofa ist das geröstete Mehl des Maniok, eine Zutat, die in Brasilien immer am Tisch steht, zu allem kombiniert wird. So wie ich das Mehl röste, schmeckt es aber ein wenig anders als sonst, mit rauchig-malzigen Noten und einer speziellen Knusprigkeit.

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Maniokwurzeln, Rohstoff für "Farofa".
Foto: ap/penner

STANDARD: Brasilien, Peru, Mexiko - die Latino-Küchen werden als neuer Megatrend der feinen Küche gefeiert. Freut Sie das?

Rizzo: Mir ist das eher unangenehm - es wirft kein so gutes Licht auf jene, die so was propagieren. Es gibt keine "Latino-Küche". Peru und Brasilien mit Mexiko in einen Topf zu werfen ist ein wenig so, als ob man die italienische mit der französischen und der neuen skandinavischen Küche als "Europäische Küche" vermarktet. Ich wurde sogar von einem Investor gefragt, ob ich nicht ein großes Restaurant in London aufmachen will "Helena - Cocina latina". Da wusste ich gleich: Da hat jemand keine Ahnung.

STANDARD: Und die klassische Hochküche - Speisefolgen mit neun Gängen, die große kulinarische Oper: Ist das noch zeitgemäß?

Rizzo: Wenn ich ehrlich bin, mich langweilt diese Art der Küche zusehends. Das ist nicht der Weg, eine neue Generation für große Küche zu interessieren.

STANDARD: Aber Sie lassen im Maní doch auch einen Neungänger auffahren?

Rizzo: Ich weiß! Aber ich bin gerade dabei, das ganz neu aufzuziehen. Die Küche muss geradliniger werden, schneller, weniger kompliziert. Großes Essen muss doch nicht damit einhergehen, dass man sich drei Stunden nicht vom Tisch bewegen darf und danach vollgegessen ist. Wir krempeln deshalb unser ganzes Konzept um. Auch, weil gutes Essen nicht an der Lebenswirklichkeit eines Landes vorbeigekocht werden sollte.

Und Brasilien ist ein junges, energetisches Land - aber auch ein Land, wo bis vor wenigen Jahren viele Menschen Hunger gelitten haben. Und jetzt geht es rasant in die andere Richtung - nämlich jene, dass die Leute zu viel schlechtes Essen zu sich nehmen. Da haben auch wir Spitzenköche Bewusstseinsarbeit zu leisten.

STANDARD: Sie waren Model, haben sich in der immer noch als männlich geltenden Welt der feinen Küche durchgesetzt. Wie war das? Man hört, dass es in großen Küchen sexistisch und ungehobelt zugeht.

Rizzo: Ach, ich kann das nicht mehr hören. Klar ist Kochen harte Arbeit, und dementsprechend hart geht es in einer Küche zu. Aber ich habe nie etwas Ungehöriges von meinen Kollegen erlebt, in Brasilien nicht, im Celler de Can Roca (das katalanische Restaurant ist derzeit als zweitbestes der Welt gereiht, Anm.) nicht, in Italien nicht. Wer gute Arbeit leistet, der wird respektiert, davon bin ich überzeugt. Da spielt das Geschlecht längst keine so wichtige Rolle mehr. Schauen Sie sich Brasilien an: Wenn ich Ihnen die besten Köche des Landes aufzähle, dann sind das fünf Frauen und fünf Männer!

STANDARD: Europäerinnen hingegen berichten, dass Alltagssexismus bei Reisen durch Brasilien an der Tagesordnung sei. Ständig wird man angemacht, Männer pfeifen einem nach ...

Rizzo: Hm, das habe ich nie als Belästigung empfunden. Wenn man mir nachpfeift, macht das Spaß, zaubert mir ein Lächeln auf die Lippen. Es stimmt, die Brasilianer zeigen, wenn ihnen etwas gefällt. Aber wir Brasilianerinnen wissen auch damit umzugehen! (Severin Corti, Rondo, DER STANDARD, 6.3.2015)

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