Bild nicht mehr verfügbar.

"Sinn für Realität verloren": Premier Nikola Gruevski

Foto: EPA/GEORGI LICOVSKI

Skopje/Sarajevo - Wenn man die regierungsnahen Medien und die politischen Ereignisse verfolgt, könnte man meinen, es gäbe zwei sehr verschiedene Staaten namens Mazedonien auf dieser Welt. Die Propaganda wirkt. In normalen europäischen Ländern würde die Tatsache, dass jahrelang tausen- de Bürger illegalerweise abgehört wurden und dass aus diesen Telefonaten hervorgeht, dass die Regierungspartei Polizei und Justiz völlig unter ihre Kontrolle gebracht hat, zu Konsequenzen führen. Nicht so in dem kleinen Balkanstaat.

Die sozialdemokratische Opposition veröffentlicht sukzessive die abgehörten Telefongespräche, die zeigen, dass etwa die Polizeiministerin und die Gerichte im Interesse der Regierungspartei agieren und dass missliebige Personen inhaftiert und verurteilt werden. Die Telefonate dokumentieren ein Ausmaß an Korruption und Rechtlosigkeit, das der Regierung eigentlich die Schamesröte ins Gesicht treiben müsste.

In einem Gespräch ist etwa eine Stimme, die Premier Nikola Gruevski zugeordnet wird, zu hören. Gruevski fordert von Transportminister Mile Janakieski, dass ein Gebäude, das einem Oppositionspolitiker gehört, abgerissen werden soll. Der Oppositionspolitiker hatte zuvor den - mittlerweile geschlossenen - unabhängigen Fernsehsender A1 unterstützt. Die abgehörten Telefonate zeigen auch, dass selbst Mitglieder der Regierung nichts von Gruevski halten.

In einem Gespräch beschreibt etwa Finanzminister Zoran Stavreski die Regierungspolitik als "verrückt" und "verantwortungslos". Er beklagt, dass das Budget nicht für die megalomanen Projekte ausreiche. In den vergangenen Jahren hat die Regierung hunderte Statuen und dutzende kitschige Repräsentationsgebäude errichten lassen. "Das ist wahnsinnig. Wir sind Geisteskranke", so Stavreski über die eigene Führungsriege. "Wir geben Geld für Schokolade aus, wenn wir kein Brot haben." Stavreski beschreibt Regierungschef Gruevski als einen "Mann, der den Sinn für die Realität verloren hat".

In der EU sorgen Berichte, wonach auch sechs wichtige Botschafter in Mazedonien abgehört wurden, für Stirnrunzeln. Bisher wurde von betroffenen Personen die Authentizität der abgehörten Telefonate nicht bezweifelt.

CDU-Politiker Klaus Brähmig bezeichnete die politische Situation in Mazedonien als "zunehmend instabil und unklar". In der EU wird aber nach wie vor der Konflikt zwischen Regierung und Opposition als Hauptproblem gesehen. Die Opposition boykottiert seit Monaten das Parlament, was allerdings nichts Neues ist. EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und EU-Nachbarschaftskommissar Johannes Hahn wollen nun vermitteln. Der niederländische Diplomat Pieter Feith war bereits in Skopje.

Florian Bieber vom Südosteuropa-Zentrum der Universität Graz meint, dass die Regierung an einem Punkt angekommen sei, an dem es kein Zurück mehr gebe. Gruevski warf der Opposition ja sogar vor, einen Staatsstreich vorzubereiten und mit einem ausländischen Geheimdienst zusammenzuarbeiten. Oppositionschef Zoran Zaev sagt, er habe die Abhörprotokolle vom mazedonischen Geheimdienst. Eine Normalisierung zwischen den beiden Lagern ist schwer vorstellbar. "Entweder Gruevski wird noch autoritärer, oder er stürzt", glaubt Bieber. Er kritisiert auch die laue Haltung der EU. "Die Kritik müsste viel deutlicher ausfallen, man könnte Gelder sperren", so Bieber. "Es geht ja auch um die Glaubwürdigkeit der EU." (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 7.3.2015)