Beim EZB-Tower handelt es sich nicht nur um einen Turm, sondern um zwei getrennte Scheiben, ...

Foto: Robert Metsch / ECB

... die mittels Atriums und viel, viel Strebewerks dazwischen miteinander verbunden sind.

Foto: Robert Metsch / ECB

40. Stock oder so, keine Ahnung, nichts deutet auf die Etage hin, auf der man sich gerade befindet. Die genaue Position wird den Journalisten an diesem Tag nur so circa mitgeteilt. Die Aussicht von hier oben aber, die ist genial. Hinter der karierten Glashaut ragen hinten, irgendwo im alten Zentrum dieser nun polyzentrischen Stadt, wie der Wiener Architekt Wolf Prix das neue Frankfurt am Main immer wieder gerne bezeichnet, die Türme der Konkurrenzbanken hoch, der Commerzbank, der Deutschen Bank, der Länderbanken und wie sie nicht alle heißen mögen.

"Ja, wir hätten höher bauen können", sagt Andrea Jürges, Pressesprecherin für den EZB-Neubau. "Aber das wollten wir nicht, denn dann hätten wir auf die anderen Banken im Frankfurter Zentrum herabgesehen, und das hätte nicht gepasst." Mit 185 Meter Höhe, exklusive Antenne, versteht sich, denn das rechnen die anderen genauso, habe sich die Europäische Zentralbank ihre eigene, freiwillige Höhenbeschränkung auferlegt. Ein Beitrag zur symbolischen Gerechtigkeit zwischen den Großen und den noch Größeren.

Doch dafür ist alles andere dicker, fetter, mächtiger, beeindruckender und vor allem doppelter. Denn streng genommen handelt es sich beim neuen EZB-Tower, der kommenden Mittwoch, am 18. März, im Rahmen einer Sitzung des EZB-Rats mit sämtlichen Gouverneuren und Präsidenten der nationalen Zentralbanken der EU-Länder feierlich eröffnet wird, nicht um einen Turm, sondern um zwei getrennte Scheiben, die mittels Atriums und viel, viel Strebewerks dazwischen miteinander verbunden sind.

Challenge für jeden Geometrie-Test

Die Form der beiden Bauteile, die je nach Blickwinkel einmal wie Bergmassive, einmal wie tanzende, stürzende, balancierende Riesen erscheinen, leitet sich aus einem quaderförmigen Block ab, der in der Mitte entlang einer doppelt gekrümmten Hyperboloidfläche auseinandergesägt wurde. Anschließend wurden die beiden Elemente so zueinander verdreht, dass die geraden Flächen nach innen und die gekrümmten Glasfassaden nach außen zeigen. Die Vorstellung, die beiden Bausteine im Hirn wieder zusammenfügen zu müssen, ist eine Challenge für jeden Geometrie-Geek.

"Wir wollten die Masse luftiger gestalten, daher haben wir das Haus in der Mitte geteilt und um ein paar Meter, ich darf nicht sagen, wie viele, auseinandergeschoben", sagt Wolf Prix von Coop Himmelb(l)au, der 2003 - ausgerechnet er, dieser alte Haudegen, der damals noch, in seinen Anfängen, cyberästhetische Wohnblasen baute, Dachböden auseinandersägte und aufgehängte Stahlteile abfackelte - unter insgesamt 80 Mitbewerbern den zweistufigen Wettbewerb der EZB für sich beanspruchen konnte. "Mit diesem Trick bringen wir Licht und Luft ins Gebäude. An schönen Tagen, wenn die Sonne scheint, kann man sogar durchs Haus durchschauen."

Der Durchblick durch die architektonische Masse, das ist so ziemlich das Einzige, das an diesem Bau transparent ist. Wie sind die beiden Häuser miteinander verbunden? Wie funktioniert das statisch genau? Wie viele Verstrebungen sind das? Ist das Stahl oder Beton? Und gibt es besondere Betonfestigkeitsklassen und Sicherheitsauflagen, die erfüllt werden mussten? "Kein Kommentar", heißt es seitens der EZB. "Sie wissen schon. Eine Sicherheitsmaßnahme."

Und auch Klaus Bollinger von Bollinger+Grohmann Ingenieure, er hat das Haus berechnet, er muss es ja wissen, meint etwas verlegen: "Ich glaube, die EZB ist nicht unglücklich darüber, dass ich mir keine Zahlen und Fakten merken kann." Nur so viel: "An sich könnten die Türme auch getrennt voneinander, ohne Verbindung und Verstrebung zueinander stehen, ohne dass sie einstürzen oder zu wanken beginnen würden. Aber so stehen sie besser, sicherer für den Fall der Fälle."

Euromünzengraue Möbel

Das Angebot für die 2600 Mitarbeiter, die hier tätig sind, ist unter dem Hochhausblickwinkel kein schlechtes. Abgesehen von der Tatsache, dass die Teppiche, Trennwände und Möbel erwartungsgemäß euromünzengrau sind und wenig Aussicht auf einen bunten Arbeitstag bieten, gibt es allen erdenklichen Komfort mit Heizung, Kühlung und Lüftung, Letzteres sogar mit öffenbaren Fenstern bis ins letzte Stockwerk. Eine Doppelfassade mit 30 Zentimeter Luftraum und manuell bedienbaren Ausstellfenstern, die sich wie eine Ziehharmonika in den Zwischenraum stülpen, macht's möglich.

Gekühlt wird mittels Flusswassers aus dem Main, der sich nur wenige Meter neben dem neuen Stammsitz der Mächtigen seinen Weg durch die Stadt bahnt. Geheizt wird mit Fernwärme und Geothermie. Der größte Energiezuschuss kommt aus dem Rechenzentrum im Basisgebäude. Die Abwärme der Server und Computer wird direkt in den Haustechnikkreislauf gespeist. Unterm Strich, erklärt der Architekt, verbrauche der EZB-Tower um 30 Prozent weniger Energie, als in der Energieverordnung 2007, zum Zeitpunkt der Detailplanung, gefordert war.

Das Basisgebäude, wie die alte, denkmalgeschützte Großmarkthalle hier so gerne und unverfänglich bezeichnet wird, erregte im Vorfeld des Baus die Gemüter. Der Grund: Der von Martin Elsaesser 1928 errichtete Bau steht unter Denkmalschutz, denn die 220 mal 50 Meter große Betonhalle war - neben all ihren technischen und ästhetischen Raffinessen - für Frankfurt ein bedeutender Schritt in Richtung Metropole. Ein Teil dieses konstruktiven Meisterbaus wurde abgerissen und machte Platz für das neue Konferenzzentrum, das nun wie Mario Draghis Zeigefinger durch die alte Klinkerfassade stößt.

Symbol der Macht

"Wir haben lange und intensiv mit der Denkmalschutzbehörde zusammengearbeitet, und ich verwehre mich gegen den Vorwurf, hier Altes zerstört zu haben, wie ich ihn oft von Kollegen höre", sagt Prix mit starken Gesten. "Die Originalbausubstanz aus den Zwanzigern haben wir nicht angetastet. Wir haben nur jenen kleinen Teil bearbeitet, der im Zweiten Weltkrieg von Fliegerbomben zerstört wurde und bei dem es sich um eine Nachkriegsrekonstruktion handelt." Man dürfe nicht päpstlicher als der Papst, nicht denkmalschützender als der Denkmalschutz sein, so Prix.

Der abgeschottete EZB-Tower (Gesamtinvestitionsvolumen 1,3 Milliarden Euro), von dem weder Grundrisse noch Schnitte in Umlauf gebracht werden durften, ist ein Symbol für Macht. Ja, das ist er, sagt der Architekt. "Geld regiert die Welt. Aber ohne Geld würde unsere Gesellschaft nicht funktionieren. Ich halte die mentalen Angriffe auf die EZB für naiv. Die wahre Macht nämlich, die liegt bei Apple, Google und Facebook. Das sind die, die unsere Zukunft beherrschen werden."

Wolf Prix, nach einer kurzen Nachdenkpause: "Ich weiß schon, neue Formen rufen Widerspruch hervor. Doch das, das ist die gotische Kathedrale der Neuzeit. Mehr denn je nämlich braucht die Europäische Union dreidimensionale Ikonen." (Wojciech Czaja, DER STANDARD, 14.3.2015)