Völlig außer Atem biegen die Mädchen um die Ecke und flüchten in die Friedenskirche. Bestimmt bietet ihnen eine der Sitzbänke für insgesamt 3.000 Menschen ein gutes Versteck, vielleicht suchen sie auch im Schatten der gewaltigen Kanzel Schutz. Zwei mit Wasserkübeln bewaffnete Burschen haben die jungen Frauen quer durch die Altstadt von Świdnica verfolgt, nun aber deren Fährte verloren. Die kalte Dusche bleibt den Mädchen vorerst erspart.

Es ist ein ganz normaler Ostermontag im polnischen Świdnica, bloß hat er hier einen anderen Namen: Lany poniedziałek oder "gegossener Montag" wird er genannt, und die Verfolgungsjagd heißt Śmigus-dyngus. Dabei bespritzen oder übergießen einander überall junge wie alte Menschen mit Wasser – angeblich vor dem Hintergrund, dass sich der polnische Herrscher Mieszko I. im Jahr 966 taufen und damit Polen zum Katholizismus bekehren ließ.

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Eine schlichte Fachwerkkirche sollte es für die Protestanten sein. Mit Albrecht von Säbisch fanden die Schweidnitzer einen Baumeister, der den technischen Herausforderungen dieser Aufgabe gewachsen war.

Historisch um einiges spannender als diese Wasserschlacht ist in Świdnica (Schweidnitz) aber ein architektonischer Wettstreit unter den Konfessionen. Zwar hat die katholische Pfarrkirche mit 103 Metern den höchsten Turm Schlesiens, doch die Touristen ziehen heute allesamt zur evangelischen Friedenskirche. Das Schlimmste daran: Die Katholiken sind selbst schuld an der Popularität des protestantischen Bauwerks. Hätten sie sich zur rechten Zeit großzügig gezeigt, stünde in Świdnica einfach eine weitere Kirche herum – bulliger Backstein außen, kalkweiße Ödnis innen. Protestantische Langeweile hätte es sich darin gemütlich gemacht.

Es kam anders, weil katholische Kleinkrämerseelen es nicht lassen konnten, der christlichen Konkurrenz das Leben schwer zu machen – selbst nach dreißig Jahren Krieg.

Vergängliche Materialien

Durch die Westfälischen Friedensverträge ließ Kaiser Ferdinand III. sich zwar die Genehmigung für den Bau von drei evangelischen Kirchen abtrotzen, von der Gleichrangigkeit evangelischen und katholischen Glaubens wollte er allerdings nichts wissen. Für die Ewigkeit würden die Evangelischen ihre Kirchen ohnehin nicht bauen. Man erlaubte ihnen daher nur vergängliche Materialien wie Holz, Lehm und Stroh zu nutzen. Außerhalb der Stadtmauern mussten sie ihre Kirchen errichten, auf Turm und Glocken verzichten und die Arbeiten binnen eines Jahres abschließen. Ein schöner Frieden war das.

Und was sagten die Protestanten dazu? Die hielten sich an die Auflagen und machten das Beste aus der verordneten Bescheidenheit. Eine schlichte Fachwerkkirche sollte es für sie sein. Mit Albrecht von Säbisch fanden die Schweidnitzer einen Baumeister, der den technischen Herausforderungen dieser Aufgabe gewachsen war. Im August 1656 wurde der Grundstein gelegt, und bereits zehn Monate später konnte der erste Gottesdienst gehalten werden. Berichte über ein kollektives Zähneknirschen der Schweidnitzer Katholiken sind nicht überliefert. Dass der Triumph ihrer Gegner groß ausfallen könnte, musste ihnen aber klar gewesen sein. Niemand lässt dreitausend Bäume fällen für einen Bau im Format eines Schrebergartenhäuschens.

Geschickt hinter Fachwerk getarnt trifft einen das barocke Brimborium im Kircheninnern wie ein Schlag auf den Kopf: So sagt man "Ätsch" mit architektonischen Mitteln.
Foto: bildbaendiger.de / Thomas Schneider

Geschickt hinter Fachwerk getarnt trifft einen das barocke Brimborium im Kircheninnern wie ein Schlag auf den Kopf: doppelstöckige Emporen, hölzerne Epitaphe, korinthische Säulen, vergoldeter Stuck, umherschwirrende Putten und feinste Intarsienarbeiten. So sagt man "Ätsch" mit architektonischen Mitteln.

Tatsächlich vergingen rund einhundert Jahre, bis die Friedenskirche so ausstaffiert war, wie sie sich heute präsentiert. Dann aber stand sie da als einer der größten sakralen Fachwerkbauten Europas samt 3.500 Pfeifen starker Orgel. Als die Schweidnitzer Friedenskirche im Dezember 2001 Unesco-Weltkulturerbe wurde, erinnerte sich schon niemand mehr daran, dass sie das Ergebnis katholischer Schikane und protestantischer Beharrlichkeit ist.

Viel Platz für die Ökumene

Sie macht sich aber ganz gut als Symbol der konfessionellen Aussöhnung, zumal katholische und evangelische Gemeinde versichern, dass es heute super laufe mit der Ökumene. De facto sind die Verhältnisse in der Stadt nicht mehr ausgewogen. Świdnica ist heute wieder fast völlig katholisch. Die evangelische Gemeinde hat kaum mehr als hundert Mitglieder, aber ihre Friedenskirche bietet insgesamt 7.500 Besuchern Platz.

"Ohne uns Katholiken kriegt ihr eure Kirche doch gar nicht voll", spöttelt da schon mal einer und erhält als Antwort: "Ihr dürft gern zu uns kommen. Die Touristen, die alle bei uns sitzen, rücken bestimmt gern für euch zusammen." (Nicole Quint, DER STANDARD, 21.03.2015)