Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: REUTERS/Gonzalo Fuentes/Files

Zu Dieudonné fiel einem Zeitgenossen einst folgende Definition ein: "Das ist doch ein schwarzer Nazi. Der Typ trieft vor Hass, er wird sich mit seinen Negergeschichten noch etwas einbrocken."

Der Zeitgenosse war er selbst. Dieudonné M'Bala M'Bala, Sohn einer bretonischen Soziologin und eines Buchhalters aus Kamerun, frotzelte in seiner Show weiter, während sich die Zuschauer vor Lachen krümmten: "Hoffentlich sind die Mikros abgeschaltet. Ich muss aufpassen, was ich sage, ich wurde schon mit Hitler verglichen. Das ist nicht lustig."

Ist das lustig? Als der Attentäter Ahmedy Coulibaly im Jänner nach dem Terrorangriff auf das Satireblatt Charlie Hebdo in einem jüdischen Supermarkt in Paris Geiseln nahm und vier von ihnen erschoss, twitterte Dieudonné: "Je suis Charlie Coulibaly." Der Humorist mit dem dämonischen Grinsen kam wegen "apologie du terrorisme" (Terrorverherrlichung) in U-Haft, dann auf die Anklagebank. Am Mittwoch verurteilte ihn ein französisches Gericht zu zwei Monaten bedingter Haft.

Für die meist jugendlichen Fans des 49-Jährigen war die Sache klar: Ihrem Idol werde von der Zensur ein Maulkorb verpasst. Die unflätigen Charlie-Zeichner könnten sich hingegen alles erlauben, angefangen bei den Mohammed-Karikaturen. "Warum darf Dieudo nicht, was Charlie darf?", schallt es tausendfach im Internet. Die Kritik kommt vor allem aus Vorstadtzonen, die an der riesigen Pariser Solidaritätskundgebung für die 17 Attentatsopfer kaum vertreten waren.

Unbestreitbar ist: Die Charlie-Satire ist so unzimperlich wie die von Dieudonné. Ebenso grob, takt- und respektlos. Diese französische Tradition geht bis auf den Schriftsteller François Rabelais zurück, der im 16. Jahrhundert Figuren wie den "Seigneur de Baisecul" (der Herr Küss-den-Hintern) einführte und vor den Theologen der Sorbonne-Universität nach Italien flüchtete.

Französische Satire muss nicht unbedingt humorvoll sein. Dafür subversiv und schamlos. Nicht zufällig publizierte der Surrealist André Breton seine Anthologie des schwarzen Humors - mit Exponenten von Alfred Jarry ("König Ubu") bis zum Marquis de Sade - im Jahr 1940, das heißt während der Vichy-Ära, die ihn natürlich sogleich zensierte.

Nach dem Weltkrieg pries der Komiker Pierre Desproges Frankreichs Nazi-Kollaboration spöttisch als "schönstes Beispiel der deutsch-französischen Freundschaft". Coluche, der Archetyp des meckernden Franzosen mit dem großen Herz, kalauerte politisch unkorrekt: "Kein Alkohol am Steuer - Sie könnten ihn ausschütten." Und Charlie Hebdo ging, wie sich Liebhaber erinnern, 1970 aus dem legendären Magazin Hara-Kiri hervor, das sich im Untertitel "bête et méchant" nannte. "Dumm und gemein", wie es war, verspottete es - heute unvorstellbar - Behinderte, Kinder und Vergewaltigungsopfer, während es Päderasten, Folterer und Machos glorifizierte. Nicht alle verstanden dieses "deuxième degré", den Humor der zweiten Ebene. Nachdem das Magazin 1970 verboten worden war, gründeten die Anarcho-Publizisten Charlie Hebdo.

Wortgewalt gegen Staatsgewalt

Französische Satiriker sind keine Chorknaben - und sie haben ein dickes Fell. Eine Woche nach den Attentaten ist Charlie Hebdo wieder erschienen. In ihrer Tradition sehen sich die Satiriker als dreist-obszöne Hofnarren der Republik. Gegen Zentralstaatsgewalt hilft nur Wortgewalt - das ist die Legitimation des französischen Satirikers. Er kämpft für die Freiheit des Denkens, aber auch für die Schwachen, Armen, Kleinen, die Underdogs und Outlaws. Das republikanische Gesetz, nicht das Strafrecht ist ihm heilig.

Damit wären wir wieder beim Gottgegebenen. Dieudonné (das ist kein Künstlername) verletzt vor allem die republikanische, das heißt die menschliche Ordnung. Allein in diesem Jahrhundert wurde er schon mehr als ein Dutzend Mal wegen Beleidigung, Antisemitismus oder Rassenhasses verurteilt. Das bisher letzte Mal war im Jänner, nachdem er in einem Internetsketch geätzt hatte, die verstorbene (jüdische) Sängerin Barbara, die in dem Chanson L'Aigle noir mit verhaltenem Schmerz und verklausuliert vom sexuellen Missbrauch durch ihren Vater berichtet, sei "enculée". Weniger brutal ausgedrückt: von hinten genommen worden.

Das war nicht einmal mehr satirisch, das war nur noch mies. Dieudonné, einst einer der Begabtesten seines Fachs, hatte mit dem jüdischen Humoristen Elie Semoun ein unschlagbares Duo gebildet. Bis sich die beiden über Palästina in die Haare gerieten und trennten, so wie sie es sich in einem großartigen Sketch selbst vorgestellt hatten. Nun ist Dieudonné ins andere Extrem gefallen. Einmal holte er den notorischen Holocaust-Leugner Robert Faurisson auf die Bühne und ließ ihm durch einen als KZ-Häftling verkleideten Mitarbeiter eine Medaille verleihen. Ein anderes Mal trällerte er ein fröhliches Chanson namens Shoananas - ein Wortspiel aus Shoah und Ananas, das zusammengezogen etwa mit "Shoah-Girls" zu übersetzen wäre.

Darin liegt der Unterschied. Charlie Hebdo pocht mit den Mohammed-Karikaturen auf die Denkfreiheit, ist aber nicht islamophob. Dieudonné ist ein Antisemit. "Es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen der Freiheit zur Frechheit und Antisemitismus, Rassismus, Terrorverherrlichung und Negationismus", erklärte der französische Premierminister Manuel Valls.

Dann beging er den Fehler, den stämmigen Komiker nach dessen Charlie-Coulibaly-Gezwitscher verhaften zu lassen. Das war der typische Reflex eines französischen Polizeiministers, der Valls einmal gewesen war. Und Justizministerin Christiane Taubira verfügte in einem Rundschreiben, als habe sie noch nie etwas von der Gewaltentrennungsidee ihres Landsmannes Montesquieu gehört, dass die Richter den Tatbestand der "Terrorverherrlichung" streng auszulegen hätten. Das führte dazu, dass nach den Charlie-Anschlägen Dutzende von Franzosen, darunter ein achtjähriger Junge, in U-Haft kamen, weil sie im Alkohol- oder einem anderen Delirium etwas von Coulibaly oder seinen Komplizen Kouachi gefaselt hatten.

Die Polizei setzte die meisten dieser unfreiwilligen Verbal-Jihadisten wieder auf freien Fuß. Auch Dieudonné, der noch keine seiner 50.000-Euro-Bußen bezahlt hat, da er all seine Einnahmen über seine Lebensgefährtin laufen lässt, kam nach ein paar Stunden frei und lachte sich ins Fäustchen. Bereits 2014 hatte der nervöse Premier Dieudonnés Spektakel Le Mur untersagt. Darauf spielte der Gründer einer "antizionistischen Partei" auf dem Trottoir vor dem Konzertsaal Olympia und inszenierte sich als Märtyrer, der von den Behörden gegängelt wird.

Obsessive Opferkonkurrenz

Noch ein Register beherrscht Dieudonné meisterlich: Während er über die Juden und die "eingeborenen" Franzosen herzieht, spricht er den muslimischen Einwandererkids unter seinen Fans aus dem Herzen, indem er deren Benachteiligung bei der Arbeits- oder Wohnungssuche thematisiert. Dem katholisch erzogenen Humoristen sind Religion und der Islam im Grunde so unwichtig wie den Charlie-Machern. Ihm geht es auch nicht um die Meinungsfreiheit. Seine Obsession ist die "Opferkonkurrenz" von Holocaust und Sklaverei. Auschwitz ist für Dieudonné heute pure "Gedenk-Pornografie".

Mit solchen Vergleichen nährt er bewusst Neidreflexe und spaltet die Gesellschaft. Der Riss verläuft entlang der Debatte um den Sinn oder Unsinn der Mohammed-Karikaturen: Diese beruhten auf "westlichem" Denken und missachteten die Gefühle der Muslime, behaupten Dieudo-Anhänger. Für die Facebook-Seite "Je suis toujours Charlie" gibt es in Frankreich 197.000 hochgehaltene Daumen, für "Je ne suis pas Charlie" 47.000. Auch darin äußert sich die urbanistische und soziale Kluft zwischen den Banlieue-Ghettos und dem übrigen Frankreich. Dieudonné schaufelt fleißig Erde aus dem Graben. Und die Regierung schaufelt mit, indem sie ihm Mund- und Saalverbote erteilt und dafür sorgt, dass er für sein Bonmot "Charlie Coulibaly" bestraft wird.

Frankreich saß seinen Demagogen und Provokateuren schon immer auf - in jüngerer Vergangenheit den Le Pens oder Michel Houellebecq. Die erzlaizistische und doch tiefreligiöse Nation hegt eine geheime Faszination für seine Wortkünstler und Volksverzauberer. Und wenn die Franzosen wieder einmal realisiert haben, dass die größten Heilsbringer oft das größte Leid über die Republik bringen, setzt sie ihre Napoleons oder Pétains auf einer Insel aus, auf die Gefahr hin, ihren Märtyrer- oder Glorienschein noch zu vergrößern.

In Québec und anderswo im frankofonen Raum kann Dieudonné auftreten, solange er die Rassismus-Strafnormen nicht verletzt. In Paris will man Dieudonné aber nicht einfach reden lassen, das heißt überhören. Frankreich war noch nie gut in dem, was es selbst erfunden hat, wie etwa dem Laisser-faire.

(Stefan Brändle aus Paris, DER STANDARD, 21.3.2015)