Bild nicht mehr verfügbar.

An den österreichischen Kindern wird's nicht liegen, dass Österreich den international höchsten Anteil an Mobbing in Schulen hat, sagt Pflichtsschullehrergewerkschaftschef Paul Kimberger – an der mangelnden Ausstattung der Schulen mit Sozialarbeitern und Psychologen schon eher.

Foto: APA / Herbert Pfarrhofer

Wien - "Österreichische Kinder sind nicht anders als Kinder in anderen OECD-Ländern", betont Paul Kimberger gleich einmal vorneweg. Dass sie im neuen OECD-Report "Skills for Social Progress: The Power oft Social and Emotional Skills" beim internationalen Vergleich zum Thema "Bullying", also Mobbing in Schulen, den unrühmlichen Platz eins einnehmen, sei jedenfalls anders zu erklären, sagt der Vorsitzende der Pflichtschullehrergewerkschaft im Gespräch mit derStandard.at.

Laut der OECD-Analyse, die auf den letzten verfügbaren Daten von 2009/10 basiert, war in Österreich einer von fünf Buben (21 Prozent) im Alter von elf bis 15 Jahren zumindest zweimal in den vergangenen zwei Monaten Opfer von "Bullying". Dieser Anteil an Schulmobbingopfern ist doppelt so groß wie der OECD-Schnitt (elf Prozent) und beträgt sogar mehr als das Fünffache von schwedischen Schulen, wo nur vier Prozent der Schulbuben von Bullying-Erfahrungen berichtet haben. Die Zahlen für Mädchen sind in allen 27 verglichenen Ländern signifikant niedriger als die der Buben. Bei österreichischen Schülerinnen lag der Bullyingopferanteil bei 13,7 Prozent.

Wer ist da integrationsunwillig?

Laut Lehrergewerkschafter Kimberger ist es "ein Faktum, dass in den vergangenen Jahren vermehrt Probleme und Herausforderungen von außen in die Schulen getragen wurden, vor allem solche, die mehr mit Erziehung als mit Pädagogik zu tun haben. So werden Phänomene wie Bullying oder Mobbing in der Schule auch angefeuert." Und, ein großes Problem, betont der Lehrergewerkschaftschef: "Natürlich lassen die Eltern tendenziell immer mehr aus."

Was meint er damit? Er finde es fast "skurril, dass wir eine Diskussion über ,Integrationsunwilligkeit' von Migranten haben, denn das betrifft beileibe nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund, sondern auch österreichische, dass sie sich quasi nicht integrieren in den Schulalltag."

Überforderte Schulen

Angesichts dieser von außen an die Schule abgeschobenen Probleme mache sich dann eben ein Defizit – und eine Erklärung für das offenkundig zu wenig bearbeitete Mobbingproblem in den Schulen – nachdrücklich bemerkbar, sagt Kimberger: "In anderen OECD-Ländern, vor allem den skandinavischen, gibt es schon lange etablierte Unterstützungs- und Supportsysteme für die Lehrerinnen und Lehrer. In Österreich gibt es das nicht. Deswegen ist die Schule manchmal überfordert, wenn sie alle diese Probleme lösen soll. Die Lehrer übernehmen das, müssen das übernehmen, aber irgendwas kommt dann natürlich zu kurz. Sie haben viel zu wenig Unterstützung und können deswegen diesen Phänomenen nicht so effektiv entgegentreten", kritisiert Kimberger: "Das ist wirklich Verantwortungslosigkeit."

Die Gewerkschaft hat nicht zuletzt bei den Verhandlungen über das neue Lehrerdienstrecht immer wieder eine massive Aufstockung des (pädagogischen und administrativen) Unterstützungspersonals in Schulen gefordert. Wollte Österreich an das OECD-Niveau herankommen, dann müssten 13.500 Posten zusätzlich geschaffen werden, würde man sich an den OECD-Besten orientieren, fehlen laut Kimberger sogar 23.500 Fachleute mit psychologischer und sozialarbeiterischer Expertise.

Soziale Medien ein "Riesenproblem"

Kimberger weist auch auf einen wachsenden Problembereich hin, der im OECD-Report bzw. der internationalen "Health-Behaviour in School-aged Children" (HBSC)-Studie, auf die er sich datentechnisch stützt, nicht berücksichtigt wurde: Cyber-Bullying im Internet oder via Telefon – nicht nur unter Schülern, sondern auch immer öfter gegen Lehrer gerichtet.

"Die Sozialen Medien sind ein Riesenproblem, auch auf rechtlicher Ebene." Die Schulen müssten in einem "rechtlichen Graubereich" agieren, wenn es etwa "zu Beleidigungen, Beschimpfungen oder Drohungen im Internet oder in Social Networks kommt. Da stoßen wir sehr oft an unsere Grenzen", berichtet der oberste Pflichtschullehrervertreter.

Vor einiger Zeit habe man daher mit den deutschen und den Schweizer Lehrergewerkschaften den Leitfaden "Social Media für Lehrerinnen und Lehrer" erarbeitet, in dem auf das Problem hingewiesen werde. Außerdem "fordern wir den Dienstgeber, also den Bund, auf, für diesen Problembereich rechtliche Grundlagen zu schaffen".

Gefahr im Internet

Ähnliche Aktivitäten müssten dringend auch für die Schülerinnen und Schüler gesetzt werden, fordert Kimberger, der ausgehend von Kooperationen mit der Polizei berichtet, "die nur in Netzen unterwegs sind – da kriegt man es mit der Angst zu tun. Da scheinen Pädophile en masse unterwegs zu sein, und zugleich geben Kinder dort Dinge preis, da kann man sich nur auf den Kopf greifen. Da brauchen wir viel mehr Prophylaxe."

Erhoben wurden die nun von den OECD-Analysten zusammengeführten diversen Bullying-Daten (Basis 2009/10, Vergleichsjahr 2005/06) für die HBSC-Studie von nationalen Forscherteams unter Schirmherrschaft der Weltgesundheitsorganisation (WHO), in Österreich war dies das Ludwig-Boltzmann-Institut Health Promotion Research. Das Thema Bullying wird darin seit 1994 abgefragt.

Schikane oder keine Schikane

Konkret wurde den Schülerinnen und Schülern im Alter von elf, 13, 15 und erstmalig 17 Jahren eine kurze Begriffsklärung vorgelegt, was unter "Schikanieren" überhaupt zu verstehen ist, etwa "wenn ein/e Schüler/in oder eine Gruppe von Schülern/Schülerinnen ihm/ihr gegenüber unfreundliche oder gemeine Dinge sagt oder tut". Schikaniert werde man auch, "wenn jemand wiederholt mit Dingen geärgert wird, die ihn oder sie stören oder wenn jemand absichtlich aus der Klassengemeinschaft ausgeschlossen wird".

Die befragten Schülerinnen und Schüler wurden auch aufgeklärt, was nicht unter Schikanieren fällt, zum Beispiel "wenn zwei etwa gleichstarke Schüler/innen miteinander kämpfen oder in Streit geraten" oder "wenn das Ärgern in einer verspielten oder freundlichen Art und Weise geschieht". Es wurde sowohl die Opfer- als auch die Täterperspektive abgefragt.

Opfer und Täter bei Bullying

Die erste Frage lautete: "Wie oft bist du in den letzten paar Monaten in der Schule schikaniert worden?" Die Antwortskala war fünfteilig: "Ich wurde in den letzten paar Monaten in der Schule nicht schikaniert – das ist mir nur ein- oder zweimal passiert – zwei- oder dreimal pro Monat – ungefähr einmal pro Woche – mehrmals pro Woche."

Diese galt auch für die Frage nach aktivem Mobbing: "Wie oft hast du in den letzten paar Monaten dabei mitgemacht, wenn jemand in der Schule schikaniert wurde?" Für die Auswertung wurden drei Kategorien gebildet: "nie", "ein- bis zweimal" und "dreimal oder öfter".

57,7 Prozent nicht an Bullying beteiligt

Demnach waren laut Selbstauskunft 57,7 Prozent der österreichischen Schülerinnen und Schüler in den vergangenen Monaten nicht an Bullying beteiligt. Buben sind generell stärker an schulischem Mobbing beteiligt als Mädchen (54,6 vs. 31 Prozent). Knapp ein Viertel der Kinder und Jugendlichen (Buben: 27,7 Prozent, Mädchen: 20,3 Prozent) schikanierten andere ein- bis zweimal. Öfter als Täter aktiv waren knapp ein Fünftel (18,5 Prozent) der Schüler (Buben: 26,9 Prozent, Mädchen: 10,6 Prozent). Zwischen elf und 15 steigt die Beteiligung an Bullying bei beiden Geschlechtern kontinuierlich an.

38,3 Prozent Opfer von Bullying

Opfer von Bullying waren 38,3 Prozent der Schülerinnen und Schüler, auch da ist der Wert bei den Buben höher (44,1 Prozent, Mädchen: 33 Prozent), bei beiden Geschlechtern gibt es einen Peak bei 13 Jahren, wo die meisten Mobbingopfer verzeichnet werden.

Vier von zehn Schülern (41 Prozent) waren weder Täter noch Opfer (Buben: 30,4 Prozent; Mädchen: 50,8 Prozent), der Prozentsatz der Täter hat bei 15 Jahren den Höchstwert.

Die OECD konzentrierte sich in ihrem Report auf die elf- bis 15-jährigen Schüler, die ein bis zweimal in den vergangenen zwei Monaten einer Bullying-Attacke in der Schule zum Opfer gefallen sind. Und hier reichte es für Österreich für Platz eins in einer internationalen Vergleichsstudie – oder für den letzten, je nach Sicht der Dinge. (Lisa Nimmervoll, derStandard.at, 23.3.2015)