In Gewässern rund im Zürich fischen Schweizer Biologen nach genetischen Fußabdrücken von seltenen Tierspezies und entwickeln damit eine neue Methode zur Artenbestimmung.

Foto: Eawag

Dübendorf - Wer sie sucht, der wird sie finden. Und zwar an immer mehr Orten. Gewiss, die flinken Räuber kriechen gerne unter Steine oder graben sich im Sand ein, doch das wissen ihre Verfolger. Lange können sie sich also nicht verstecken. Die Fahnder machen sie dingfest, sind aber gleichzeitig machtlos. Kaum etwas scheint die fingernagelgroßen Invasoren aufhalten zu können.

Die Rede ist von Dikerogammarus villosus, zu Deutsch auch als Höckerflohkrebs bekannt. Seit gut 20 Jahren erobern die ursprünglich aus dem Schwarzmeergebiet stammenden Kleinkrebse und ihre nahen Verwandten der Art Dikerogammarus haemobaphes Europa. Inzwischen sind sie auch auf den Britischen Inseln gelandet. Biologen schlagen stetig Alarm. In ihrem Fachjargon haben sie den beiden aggressiven Spezies die Spitznamen "killer shrimp" und "demon shrimp" verpasst. Nicht ganz zu unrecht. Wo Dikerogammarus auftritt, haben es andere Wasserbewohner oft schwer. Im Rhein und seinen Nebenflüssen zum Beispiel sind die Populationen von einheimischen Flohkrebsen und diversen anderen Wirbellosen-Arten stark zurückgegangen. Manche wurden anscheinend sogar komplett ausgelöscht.

Überwachung der Gewässerfauna

Die Überwachung von solchen Veränderungen in der Gewässerfauna ist gleichwohl schwierig. Das genaue Bestimmen vieler Spezies gelingt nur ausgewiesenen Fachleuten, und auch die brauchen viel Zeit. Eine wahre Sisyphusarbeit. Die Unterscheidung erfolgt häufig anhand von Minimalmerkmalen wie Borstenhaaren auf Beinchen, der Länge von Antennengliedern und ähnlichen Details. Ist eine Art zudem selten oder dies geworden, muss man sie draußen in der Natur erst einmal finden. Wie eine Nadel im Heuhaufen. Im Fall Dikerogammarus heißt das: Der Täter ist viel leichter zu identifizieren als die Opfer.

Ihre Spuren jedoch sind da. Auch von den Rarsten. Über Hautzellen, Schleim, Kot und andere Ausscheidungen geben Organismen ständig Erbgut an ihre Umgebung ab – und hinterlassen so ihren genetischen Fingerabdruck. Diese so genannte Umwelt-DNA, kurz eDNA, versuchen Wissenschaftler zunehmend zum Nachweis von wasserlebenden Tierarten zu nutzen. Der Vergleich mit bereits bekannten, eindeutigen Identifikationsmustern macht es möglich. Das Verfahren ähnelt somit der in der Kriminalistik angewandten Methodik. Die eDNA wird mittels Spezialfiltern aus Wasserproben isoliert und anschließend molekulargenetisch analysiert. Zurzeit liegt, je nach zoologischer Gruppe, für bis zu 50 Prozent der europäischen Spezies die entsprechende Information vor, sagt der Schweizer Biologe Florian Altermatt. "Schon bald wird das auf alle zutreffen."

Altermatt ist als Forscher an der Eidgenössischen Anstalt für Wasserversorgung, Abwasserreinigung und Gewässerschutz (Eawag) in Dübendorf tätig und arbeitet zusammen mit seinem Team an der Erprobung und Weiterentwicklung der eDNA-Methode. Dabei geht es selbstverständlich auch um die Nachweiseffektivität. Das Erbgut hat in der Umwelt nur eine begrenzte Lebensdauer, betont der Experte. In der freien Wassersäule dauere der Abbau nur wenige Stunden bis einen Tag. Zum einen wird es durch UV-Licht zerstört. Die von Wasserbewegungen verursachten Scherkräfte setzen den Strängen ebenfalls zu. Mindestens genauso wichtig sei allerdings die bakterielle Verdauung. "DNA ist ein sehr energiereiches Molekül", sagt Altermatt. Ein Festschmaus für allerlei Mikroorganismen.

Kurze Haltbarkeit

Die kurze Haltbarkeit der eDNA ist für Artnachweise durchaus von Vorteil. Sie schärft die Signale. Würde eine ausgeschiedene DNA-Kette wochenlang unbeschädigt erhalten bleiben, könnte sie vor allem in Fließgewässern über weite Entfernungen verdriftet werden – auch dorthin, wo die betreffenden Tiere gar nicht vorkommen. So kämen schnell falsch-positive Ergebnisse zustande. Die Eawag-Wissenschafter haben deshalb die Transportdistanzen von eDNA zweier Arten, der Muschel Unio tumidus und des Wasserflohs Daphnia longispina, im Flüsschen Glatt südöstlich von Zürich gemessen. Beide Spezies sind typische Seebewohner. Im Glatt selbst, der von Wasser aus dem Greifensee gespeist wird, kommen sie nicht vor.

Der Studie zufolge unterliegt die Nachweisbarkeit von eDNA starken Unterschieden, je nach Art, Häufigkeit und Jahreszeit. Erbgut von Unio tumidus war noch gut neun Kilometer stromabwärts vom Abfluss aus dem See anzutreffen, die genetischen Fingerabdrücke der in viel größeren Mengen auftretenden Wasserflöhe sogar darüber hinaus. Auch die Temperatur spielt offenbar eine Rolle. Im kühleren Oktober ließ sich die gesuchte eDNA öfter in den Wasserproben detektieren als im Juli (vgl.: PLoS One, Bd. 9, e86786). All diese Parameter gilt es für zukünftige Standardverfahren zu berücksichtigen.

Nach Erbgut fischen

Für das Aufspüren rarer und invasiver Tierspezies hat die eDNA-Methode ihre Effektivität zumindest teilweise unter Beweis gestellt. Florian Altermatt und seine Kollegen fischten, ebenfalls in Gewässern rundum Zürich, gezielt nach Erbgut von sechs unterschiedlichen Arten. Zum Vergleich kam auch die klassische Suchmethode mit Kescher und Watstiefeln zum Einsatz. Die Ergebnisse zeigen für einige Spezies eine gute Übereinstimmung. Im Fall der seltenen Eintagsfliege Baetis buceratus indes gelang der eDNA-Nachweis deutlich häufiger als "zu Fuß". Von Larven der Köcherfliege Timodes waeneri dagegen waren nirgendwo genetische Spuren zu finden, auch wenn die Biologen sie regelmäßig in ihren Netzen hatten (vgl.: Freshwater Science, Bd. 33, S. 1174). Vielleicht bleibt die DNA dieser Tiere zeitweilig in deren Hülle gebunden, mutmaßt Altermatt.

Der Bedarf an traditioneller Expertise zur Bestimmung von Arten wird nicht verschwinden, glauben die Eawag-Forscher. Vielmehr können sich beide Ansätze ausgezeichnet ergänzen. Weitere Fortschritte in der molekulargenetischen Analyse dürften vor allem für die schnelle Inventarisierung zahlreicher einzelner Spezies hilfreich sein, wie Alternmatt erklärt. "Dann kann man vom Bakterium bis zum Fisch praktisch alles abdecken." Ob eDNA allerdings auch Aussagen über Populationsgrößen ermöglichen wird, sei umstritten. "Das ist noch ein weites Feld." (Kurt de Swaaf, DER STANDARD, 25.3.2015)